Dieser Wahlgang ist seiner Auffassung nach ein prägendes Element der Regelung über die Arbeitnehmerbeteiligung in Deutschland und kann nicht Gegenstand von Verhandlungen im Rahmen der Umwandlung sein.
Umwandlung, Mitbestimmung und die Gewerkschaften
Im Jahr 2014 wurde die deutsche Aktiengesellschaft SAP in eine Europäische Gesellschaft (SE),die SAP SE, umgewandelt. Vor und nach der Umwandlung setzt sich der Aufsichtsrat der Gesellschaft zu gleichen Teilen aus Vertretern der Aktionäre und Vertretern der Arbeitnehmerzusammen. Vor der Umwandlung wurden die Arbeitnehmervertreter jedoch gemäß den deutschen Rechtsvorschriften in zwei getrennten Wahlgängen gewählt, von denen einer der Wahl der Kandidaten der Gewerkschaften vorbehalten war.
Der Umwandlung ging der Abschluss einer Vereinbarung zwischen SAP und einem besonderen Verhandlungsgremium, das die Arbeitnehmer vertrat, über die künftige Arbeitnehmerbeteiligung in der SAP SE voraus. Diese Vereinbarung sieht vor, dass die Gewerkschaften bei Verringerung der Zahl der Aufsichtsratsmitglieder auf 12 weiterhin das Recht haben, Kandidaten vorzuschlagen, für deren Wahl aber nicht mehr in den Genuss eines getrennten Wahlgangs kommen.
Aufsichtsrat-Verkleinerung landet vor den Gerichten
Als die SAP SE tatsächlich beabsichtigte, ihren Aufsichtsrat auf 12 Mitglieder zu verkleinern, wandten sich deutsche Gewerkschaften, darunter die IG Metall (Industriegewerkschaft Metall) und die ver.di (Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft), an deutsche Gerichte.
In diesem Kontext hat das BAG den EuGH um Auslegung der Richtlinie zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer ersucht. Nach dieser Richtlinie muss in der Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer (Beteiligungsvereinbarung) in Bezug auf alle Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung zumindest das gleiche Ausmaß gewährleistet werden, das vor der Umwandlung in eine SE bestand.
Das BAG möchte daher wissen, ob der gesonderte Wahlgang für die Wahl der Gewerkschaftsvertreter in den Aufsichtsrat einer aus der Umwandlung einer Aktiengesellschaft deutschen Rechts hervorgegangenen SE beibehalten werden muss oder ob durch die Aushandlung der Beteiligungsvereinbarung davon abgewichen werden kann (Beschl. v. 18.08.2020 – 1 ABR 43/18 [A]; vgl. dazu auch den Beitrag von #EFAR-Autorin Dr. Caroline Fündling: „Unternehmensmitbestimmung in der SE: Sitzgarantie der Gewerkschaften im Aufsichtsrat?“).
GenA EuGH: prägendes Element der Beteiligungsregelung in Deutschland
In seinen Schlussanträgen vom 28.04.2022 (Rs. C-677/20; Pressemitteilung des EuGH v. 28.04.2022) schlägt Generalanwalt Jean Richard de la Tour als Antwort vor, dass die Verhandlungsautonomie des besonderen Verhandlungsgremiums die Durchführung eines getrennten Wahlgangs für die Wahl eines bestimmten, von den Gewerkschaften vorgeschlagenen Teils der Kandidaten zu Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat nicht beeinträchtigen darf, wenn diese Besonderheit existiert und in dem für die umzuwandelnde Gesellschaft geltenden nationalen Recht zwingend ist.
Was Deutschland und somit den Fall der SAP SE betrifft, ist nach seiner Auffassung der gesonderte Wahlgang für die Gewerkschaftsvertreter unbestreitbar ein prägendes Element der Beteiligungsregelung in Deutschland und kann nicht Gegenstand von Verhandlungen sein.