Das Thema
Die Arbeitnehmerin war seit 2009 als Therapeutin beschäftigt. Sie bezog zuletzt eine Bruttomonatsvergütung von 3.700 Euro. Ihr arbeitsvertraglicher Jahresurlaub betrug 29 Arbeitstage. Vom 24.08.2015 bis zum Ablauf des 25.11.2020 nahm sie anlässlich der Geburt ihrer zwei Kinder sowohl Mutterschutzfristen als auch Elternzeit in Anspruch. Die Zeiträume gingen nahtlos ineinander über. Zum Ablauf der zweiten Elternzeit kündigte die Therapeutin ihr Arbeitsverhältnis. Bis zu dessen Beendigung hatte die Arbeitgeberin keine Erklärung dahingehend abgegeben, den auf die Elternzeit entfallenden Urlaub zu kürzen.
Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangte die Arbeitnehmerin Urlaubsabgeltung für die Jahre 2015 bis 2020 in Höhe von insgesamt 146 Arbeitstagen (ein Tag für das Jahr 2015 und je 29 Tage für die Jahre 2016 bis 2020). Dies entspricht einem Gesamtbetrag von knapp 25.000 Euro brutto.
Sowohl in der ersten als auch in der zweiten Instanz hatte die Klägerin Erfolg. Dagegen wehrte sich die Arbeitgeberin und legte Revision vor dem BAG ein.
Die Entscheidung
Das BAG (Urt. v. 16.04.2024 – 9 AZR 165/23) gab der Therapeutin Recht. Ihr stehe der geltend gemachte Urlaubsabgeltungsanspruch zu.
Die Urlaubsansprüche seien entstanden. Weder der zweimalige Mutterschutz noch die zweimalige Elternzeit stünden dem entgegen. Für die Mutterschutzfristen ergebe sich dies aus § 24 Satz 1 MuSchG. Für die Zeiten der Inanspruchnahme von Elternzeit folge dies aus § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG.
Die entstandenen Urlaubsansprüche der Arbeitnehmerin seien nicht gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen. Das Fristenregime dieser Vorschrift finde während der mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbote und der Elternzeit keine Anwendung. Die vorrangig zu beachtenden Vorschriften des § 24 Satz 2 MuSchG und § 17 Abs. 2 BEEG gäben ein abweichendes maßgebliches Urlaubsjahr vor.
Die auf die Elternzeit entfallenden Urlaubsansprüche der Arbeitnehmerin seien auch nicht aufgrund einer Kürzungserklärung der Arbeitgeberin nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG teilweise untergegangen. Ihr stehe nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses kein Recht mehr zu, die auf die Elternzeit entfallenden Urlaubsansprüche zu kürzen.
Schließlich sei die Arbeitgeberin nicht berechtigt, die Abgeltung des Urlaubs aus den Jahren 2015 bis 2017 wegen Eintritts der Verjährung zu verweigern. Insoweit seien die Besonderheiten zu beachten, die für während der Beschäftigungsverbote vor und nach der Geburt sowie während der Elternzeit entstandene Urlaubsansprüche gelten. Der Urlaubsanspruch werde nicht vor Ablauf der Mutterschutzfristen bzw. Beendigung der Elternzeit fällig.
Fazit und Handlungsempfehlung
Die Entscheidung zeigt, was passieren kann, wenn Arbeitgeber die ihnen gesetzlich zustehende Kürzungsmöglichkeit nicht oder nicht rechtzeitig nutzen. Aus Unternehmenssicht ist daher besondere Vorsicht geboten.
Möchten Arbeitgeber von ihrem Kürzungsrecht gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG Gebrauch machen, so ist Folgendes zu beachten:
- Erforderlich ist eine auf die Kürzung des auf die Elternzeit entfallenden Erholungsurlaubs gerichtete rechtsgeschäftliche Erklärung.
- Diese Erklärung muss dem Mitarbeiter zugehen.
- Die Kürzungserklärung kann ausdrücklich oder stillschweigend abgegeben werden. Um auf der sicheren Seite zu sein, sollte die Kürzung ausdrücklich erklärt werden und im Streitfall nachweisbar sein.
- Arbeitgeber müssen die entsprechende Erklärung im bestehenden Arbeitsverhältnis abgeben. Das Kürzungsrecht setzt somit voraus, dass der Anspruch auf Erholungsurlaub bei Zugang der Kürzungserklärung noch besteht. Man kann die Erklärung sogar noch nach Beendigung der Elternzeit abgeben, sofern dies im bestehenden Arbeitsverhältnis geschieht. Die Kürzung kann auch noch während einer laufenden Kündigungsfrist erklärt werden.
In der Praxis können Arbeitgeber dies mit einem Schreiben verbinden, in dem sie die Inanspruchnahme von Elternzeit bestätigen. Eine Kopie mit Empfangsbestätigung durch den Arbeitnehmer sollte zu Dokumentationszwecken zur Personalakte genommen werden.