Das Thema
Auch ein Entgeltanspruch für den Zeitraum der Freistellung aus Annahmeverzugsvergütung oder Entgeltfortzahlungsanspruch bestand nach Auffassung des BAG nicht. Im Zeitpunkt Frühjahr 2022 galt gemäß § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Infektionsschutzgesetz (lfSG) für Mitarbeiter in Einrichtungen zur Betreuung und Unterbringung älterer Menschen eine Impfpflicht, wenn die Beschäftigten diese nicht aus medizinischen Gründen verweigern durften.
Der Fall
Die Klägerin war seit dem 01.01.2009 als „Alltagsbegleiterin“ in Teilzeit in einem Seniorenzentrum angestellt. Ihr vertraglicher Urlaubsanspruch belief sich auf 30 Tage bei einer 5-Tage-Woche. Im März 2022 stellte die Arbeitgeberin fest, dass die Mitarbeiterin keinen gültigen Immunitätsnachweis gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 vorlegen konnte und auch kein medizinischer Grund für ein Fehlen hiervon vorlag. Daraufhin informierte sie die Beschäftigte über ihre Freistellung aufgrund des fehlenden Impfnachweises, die ab dem 01.04.2022 beginnen sollte. Die Freistellung konnte die Klägerin durch Vorlage eines Immunitätsnachweises jederzeit aufheben. Während dieser Freistellungszeit vom 01.04.2022 bis zum 31.08.2022 erhielt die Arbeitnehmerin keine Vergütung.
Im April 2022 erkrankte sie und legte eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor. Dennoch lehnte das Unternehmen die Entgeltfortzahlung mit der Begründung ab, dass die Arbeitsunfähigkeit in der unbezahlten Freistellung aufgrund des fehlenden Impfnachweises lag. Die Mitarbeiterin klagte daraufhin auf Vergütung für den Zeitraum der Freistellung. Diesen Anspruch stützte sie sowohl auf Annahmeverzug als auch Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Daneben begehrte sie Feststellung ihres Urlaubsanspruchs von (aufgerundet) 13 Tagen für das Jahr 2022.
Die Entscheidung
Kern der Auseinandersetzung (BAG, Urt v. 19.06.2024 – 5 AZR 167/23) war, ob die (unbezahlte) Freistellung eines Arbeitnehmers wegen fehlendem Immunitätsnachweis zu einer anteiligen Kürzung dessen Urlaubsanspruchs führt und ob ihm während dieser Freistellung Anspruch auf Annahmeverzugslohn oder Entgeltfortzahlung zusteht. Nach § 20a I IfSG a.F. bestand zu diesem Zeitpunkt für Einrichtungen zur Betreuung und Unterbringung älterer Menschen eine Impfpflicht.
Nach § 615 Satz 1 BGB hat der Arbeitgeber die nach § 611a Abs. 2 BGB vereinbarte Vergütung fortzuzahlen, wenn er mit der Annahme der Dienste in Verzug gerät. Gemäß § 293 BGB kommt er in Annahmeverzug, wenn er im erfüllbaren Arbeitsverhältnis die ihm angebotene Leistung nicht annimmt. Einen Anspruch der Klägerin hieraus lehnte das BAG jedoch ab, da der Annahmeverzug aufgrund § 297 BGB scheiterte, da diese leistungsunfähig und -unwillig war. Leistungsfähigkeit in diesem Sinne setze voraus, dass der Arbeitnehmer tatsächlich und rechtlich zur geschuldeten Arbeitsleistung in der Lage ist (MüKoBGB/Henssler, 9. Aufl., BGB § 615 Rn. 32). Leistungswille ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer den ernstlichen Willen hat, die Arbeit in dem geschuldeten Umfang zu erbringen. Dies ist nicht der Fall, wenn er es selbst in der Hand hat, den Hinderungsgrund zu beseitigen (vgl. BAG, Urt. v. 01.06.2022 – 5 AZR 28/22, Rn. 20).
Tätigkeitsvoraussetzung
Aus § 20a IfSG ließ sich zunächst kein unmittelbares Beschäftigungsverbot kraft Gesetzes entnehmen, sondern § 20a IfSG a.F. sah lediglich vor, dass Personen, die in Einrichtungen zur Betreuung vulnerabler Gruppen tätig sind, einen Impf- oder Genesenennachweis vorlegen müssen. Die Vorinstanz stellte fest, dass es dem Arbeitgeber zusteht, die Einhaltung der gesetzlichen Nachweispflicht durch den Arbeitnehmer als Voraussetzung für eine Weiterbeschäftigung zu verlangen, um selbst den gesetzlichen Vorgaben zu entsprechen. Das BAG bestätigte dies, indem es ausführte, dass die Beklagte im Rahmen ihrer Weisungsbefugnis ein solches Verhalten von der Klägerin verlangen durfte und vorliegend die Vorgabe der Erbringung des Immunitätsnachweises entsprechend ihrem Ermessensspielraum adäquat gem. § 106 GewO konkretisieren konnte.
Damit fehlte es der Klägerin an dieser vom Gesetz verlangte Tätigkeitsvoraussetzung. Ursache hierfür war ihre persönliche und freie Entscheidung gegen die Impfung. Da sie dem Nachweis hiervon nicht nachkam, lag eine Leistungsunwilligkeit und -unfähigkeit vor.
Entgeltfortzahlung
Auch der Anspruch auf Entgeltfortzahlung aus § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG wurde seitens des BAG wegen des Grundsatzes der Monokausalität abgewiesen.
Die Erkrankung der Klägerin war wegen des fehlenden Immunitätsnachweises nicht die alleinige Ursache für den Verdienstausfall. Denn auch ohne die Erkrankung wäre der Anspruch auf Vergütung entfallen, da Sie aufgrund des fehlenden Impfnachweises im Streitzeitraum die geschuldete Arbeitsleistung als Alltagsbegleiterin nicht erbringen konnte. Es besteht kein Entgeltfortzahlungsanspruch, wenn der Arbeitnehmer im Falle einer Nichterkrankung aus anderen Gründen nicht gearbeitet hat und kein Entgelt erhalten hätte (BAG, Urt. v. 20.03.2024 – 5 AZR 234/23, Rn. 16). Auch ohne Erkrankung hätte die Klägerin keinen Anspruch auf Vergütung gehabt, weil sie nicht in der Lage war, im Streitzeitraum die geschuldete Arbeitsleistung zu bewirken und die Beklagte trotz der Nichtbeschäftigung der Klägerin aufgrund § 297 BGB nicht in Annahmeverzug geraten ist.
Urlaubsanspruch
Im Hinblick auf den Urlaubsanspruch stellte das BAG fest, dass die Zeiten einer unbezahlten Freistellung wegen Nichtvorlage eines Nachweises im Sinne des § 20a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 IfSG a.F. bei der Berechnung des Jahresurlaubs zu berücksichtigen sind, was zu einem anteilig kürzeren Urlaubsanspruch der Klägerin führte.
Der Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub nach dem BUrlG soll es dem Arbeitnehmer ermöglichen, sich von der Ausübung der ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu erholen (vgl. BAG, Urt. v. 19.03.2019 – 9 AZR 406/17, Rn. 25 f.). Daher hängt die Anzahl der Urlaubstage von der Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht ab.
Auch die EuGH-Rechtsprechung setzt voraus, dass der Beschäftigte tatsächlich im Laufe des Bezugszeitpunktes gearbeitet haben muss, um einen Anspruch auf bezahlten Jahressurlaub zu haben. Denn ein solcher Urlaub diene der Erholung von arbeitsvertraglich obliegenden Aufgaben und gleichzeitig der Entspannung (EuGH, Urt. v. 12.10.2023 – C-57/22, Rn. 32 f.).
Der Zeitraum der Freistellung war nach Sicht des BAG bei der Berechnung des Urlaubsanspruchs mit „null“ Arbeitstagen zu berücksichtigen und der Umfang des Urlaubsanspruchs der Klägerin unter Berücksichtigung der Freistellungszeit neu zu berechnen. Dies betraf nicht nur den gesetzlichen, sondern auch den vertraglichen Urlaubsanspruch. Dies wäre nur dann anders zu bewerten, wenn die Freistellung aufgrund von Umständen, die allein auf der Entscheidung des Unternehmens beruhten, erfolgt wäre. Hier aber lag die Ursache in der Person der Klägerin, da sie sich weigerte, den Impfnachweis vorzulegen. Vorliegend war es außerdem nicht der freie Entschluss des Arbeitgebers, einen Impfnachweis durch seine Mitarbeiter vorlegen zu lassen, sondern eine gesetzliche Vorgabe, die er befolgte.
Die für die Klägerin aus dem Kalenderjahr 2022 zustehenden Urlaubstage durften daher wegen der fünfmonatigen Freistellung gekürzt werden. Die Arbeitnehmerin hätte durch Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen (vorliegend des Einreichens eines Impfnachweises), jederzeit ihre Arbeit wieder aufnehmen können, wodurch sie die anteilige Kürzung des Urlaubsanspruchs hätte abwenden können.
Dies unterscheidet nach Sicht des BAG die vorliegende Fallkonstellation auch von anderen Fällen einseitiger Freistellungen durch den Arbeitgeber, wie bspw. nach einer von ihm ausgesprochenen Kündigung während des Laufs der Kündigungsfrist. Lägen – anders als hier – keine besonderen Anhaltspunkte bei einer Freistellung vor, so wäre in der Regel nicht davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer auf das Anwachsen des Urlaubsanspruchs während der Freistellung verzichten wolle. Außerdem sei nicht anzunehmen, dass wegen der aufgrund eines Vergleichs vereinbarten Freistellung eine Zahlungspflicht für das Unternehmen geschaffen werden soll, die über die gesetzlich geregelten Fälle der Entgeltfortzahlung bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit hinausgehe.
Fazit – Praxisrelevanz der Entscheidung
Wird der Arbeitnehmer infolge einer unbegründeten Impfverweigerung unbezahlt freigestellt, so begründet dies keinen Anspruch auf Annahmeverzugslohn. Ebenso kann er infolge von Krankheit während der Freistellung keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung geltend machen. Daher mussten Beschäftigte sich darauf einstellen, bei medizinisch nicht begründeter Verweigerung einer „einrichtungsbezogenen Impfpflicht“ und einer darauffolgenden Freistellung, keine Vergütung zu bekommen und dass eine Neuberechnung des Jahresurlaubs erfolgt.
Der § 20a lfSG ist seit dem 01.01.2023 aufgehoben und das BAG bezieht sich vorliegend auf die alte Fassung. Praxisrelevanz hat die Klarstellung des Gerichts, dass regelmäßig nicht davon auszugehen sei, dass der Mitarbeiter bei Freistellung auf das Anwachsen des Urlaubsanspruchs verzichten wolle. Auf der anderen Seite solle für den Arbeitgeber bei einer in einem Vergleich vereinbarten Freistellung keine über die gesetzlich geregelten Fälle der Entgeltfortzahlung hinausgehende Zahlungspflicht geschaffen werden.