Das Thema
Das jährliche Mitarbeitergespräch steht in immer mehr Unternehmen auf dem Prüfstand. Ersetzt wird dieser Klassiker durch flexible, selbstgesteuerte und teambasierte Ansätze. Dieser Beitrag ist ein Einstieg in eine Serie von Artikeln rund um die Themen Leistungserwartungen, Beurteilung, Feedback im agilen Kontext.
Teil 1 (HR-Management)
Das jährliche Mitarbeitergespräch
Das jährliche Mitarbeitergespräch gehört seit vielen Jahren in fast allen Unternehmen zum Standard-Repertoire des Personalmanagements. Einmal im Jahr vereinbaren Führungskräfte individuell mit jedem Mitarbeiter Ziele, es erfolgt eine formale, rückblickende Beurteilung der Leistung und Kompetenzen. Letzteres wird nicht selten mit strukturiertem Feedback gleichgesetzt. Nun stellt man diese Prozedur in immer mehr Unternehmen in Frage. Im Kontext zunehmender Unsicherheit, Dynamik und Komplexität erscheint dieses Instrument zu langsam, zu wenig adaptiv, zu sehr auf das Individuum fokussiert und damit zu wenig auf das Team ausgerichtet, zu sehr top-down anstatt kundenbezogen (lateral, vernetzt).
Dieser Mix an Instrumenten, gebündelt im jährlichen Mitarbeitergespräch, verfolgte immer zahlreiche Zwecke. Aus der Beurteilung wurden Konsequenzen für variable Gehaltsbestandteile, für eine mögliche Promotion oder gar die Versetzung bzw. Entlassung von Mitarbeitern gezogen. Dokumentierte Ziele dienten einer Orchestrierung der Gesamtziele ganzer Unternehmensbereiche und schufen auf Seiten der Mitarbeiter eine verbindliche Verpflichtung. Feedback diente zur Planung etwaiger Entwicklungsmaßnahmen.
Alternative Ansätze in einem agilen Umfeld
Dieser klassische Ansatz des jährlichen Mitarbeitergesprächs passt sehr gut in einen hierarchischen, stabilen, arbeitsteiligen Kontext. In einem vernetzten, dynamischen, von Unsicherheit geprägten Umfeld erscheint das jährliche Mitarbeitergespräch in seiner klassischen, verbreiteten Form hingegen als wenig kompatibel oder gar toxisch. Immer mehr Unternehmen erkennen dies. Bei einer Neuausrichtung ihrer Instrumente beginnen sie mit der Frage nach dem Nutzen, ziehen den jeweiligen Kontext in Betracht und entwickeln davon ausgehend alternative Ansätze. Stand heute kann man beobachten, dass sich viele Unternehmen hier noch in einer Experimentierphase befinden.
Die Klärung von Leistungserwartungen
Im jährlichen Mitarbeitergespräch ist es üblich, dass zwischen der direkten Führungskraft und einem individuellen Mitarbeiter möglichst spezifische, messbare, attraktive, realistische und terminierte (SMART) Ziele vereinbart werden, die für ein Jahr Bestand haben. Immer mehr Unternehmen erkennen darin eine mangelnde Flexibilität (zu statisch), was insbesondere dann eine Rolle spielt, wenn Teams an unsicheren, komplexen Projekten arbeiten, bei denen von Anfang an nicht klar ist, was die Ergebnisse und wie die Wege dorthin sind. Er wird daher zunehmend durch alternative Ansätze ersetzt. Im Folgenden seien eine Reihe konkreter Beispiele skizziert:
- Ganze Teams (häufig mit vergleichbaren Aufgabenprofilen) vereinbaren eigenständig gemeinsame Leistungs- und Qualitätsstandards. Dies erfolgt mit dem Blick auf die Bedürfnisse interner und externer Kunden.
- Ziele und Ergebnisse werden eher kurzfristig und gemeinsam festgelegt und je nach Bedarf laufend angepasst. Diese iterativen Zyklen können wenige Wochen oder Monate umfassen.
- Leistungserwartungen auf individueller und Gruppenebene werden übergeordneten Zielen bzw. Prioritäten des gesamten Unternehmens oder einer größeren Unternehmenseinheit untergeordnet. Diese wiederum sind nicht selten qualitativer Art.
- Leistungserwartungen, Prioritäten, Standards etc. werden innerhalb des Unternehmens transparent gemacht bzw. aktiv kommuniziert. Sie verschwinden nicht in individuellen Personalakten.
Mit diesen Alternativen gehen individuelle Verbindlichkeiten und Verpflichtungen zum Teil in kurzfristige Gruppenverpflichtungen über. Hinzu kommen individuelle Arbeitspakete oder Aufgaben, die zeitnah zu erfüllen sind (To-dos).
Teil 2 (Arbeitsrechtliche Gestaltung)
Rechtliche Verantwortung des Arbeitgebers
Im agilen Kontext ist es eine besondere Herausforderung für Arbeitgeber, solche Leistungserwartungen hinreichend zu definieren. Denn zum einen soll den Mitarbeitern hierbei ja ein eigener Raum bei der Gestaltung und der inhaltlichen Entwicklung gegeben werden, zum anderen aber bleibt es bei der arbeitsrechtlichen Anforderung an Arbeitgeber, einen transparenten Rahmen zu schaffen.
Denn der Arbeitgeber trägt allein bereits aus dem zugrunde liegenden Arbeitsvertrag und der hierin vereinbarten Rolle des Mitarbeiters die besondere Verantwortung, dafür Sorge zu tragen, dass seine Mitarbeiter vollumfänglich im Bilde sind über die (rechtlich zulässigen) Erwartungen des Arbeitgebers an deren Leistungen.
Welche Gesetze und Grundsätze sind dabei heranzuziehen?
- Der gem. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB statuierte Transparenzgrundsatz, wonach der „Verwender“ von AGB, also der Arbeitgeber, verpflichtet ist, die Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar, verständlich und nachvollziehbar zu gestalten. Zwar findet § 307 Abs. 1 S. 2 BGB direkt nur auf vorformulierte Arbeitsverträge und nicht auf individuell vereinbarte Elemente, wie individuelle Leistungserwartungen, Anwendung. Jedoch ist die analoge Anwendung dieses Grundsatzes allein aufgrund der Verantwortung des Arbeitgebers, jegliche Missverständnisse bei der Formulierung der Leistungserwartungen zu vermeiden, empfehlenswert.
- Auch die sich aus § 241 Abs. 2 BGB i.V.m. dem Grundsatz von Treu und Glauben gem. § 242 BGB für den Arbeitgeber ergebenden Rücksichtnahme- und Fürsorgepflichten gebieten eine verantwortungsvolle Rahmensetzung bei den Leistungserwartungen. Nur so lässt sich dann auch bei unterschiedlicher Auffassung über die Art und Erfüllung der Leistungserwartungen ein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers im Einzelfall begründen (so auch Grobys/Panzer, Kommentar Arbeitsrecht, 3. Aufl. 2021 zu § 241 BGB Rz.5).
- Des Weiteren sind Arbeitgeber hierbei gut beraten, auch die Grundsätze der sog. Billigkeitskontrolle, also einer Angemessenheitskontrolle gem. § 315 BGB, § 106 GewO analog heranzuziehen, auch wenn diese in erster Linie bei verbindlichen Zielvorgaben zum Tragen kommen.
Rechtliche Verantwortung der Arbeitnehmer als Adressaten der Leistungserwartungen
Aber auch für die Arbeitnehmer ergeben sich besondere Mitwirkungspflichten bei der Erarbeitung, der Schaffung eines Verständnisses und bei der Umsetzung von zulässigen und berechtigten Leistungserwartungen des Arbeitgebers aus dem Arbeitsvertrag. Hierbei handelt es sich entweder um sog. Nebenpflichten oder sogar um Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis.
Beteiligung des Betriebsrates bei der Implementierung von Leistungserwartungen
Existiert kein Betriebsrat, lassen sich solche neuen Zielerwartungen im Rahmen des arbeitgeberseitigen Direktionsrechtes gem. § 106 GewO einseitig einführen; natürlich empfehlenswerter ist eine vom gemeinsamen Verständnis getragene Vereinbarung.
Existiert ein Betriebsrat, so ist bei der Einführung solcher Ziele ohne Vergütungsrelevanz eine Betriebsvereinbarung wegen § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG abzuschließen. Bestehende Betriebsvereinbarungen über Ziele sind durch eine anderslautende Betriebsvereinbarung abzulösen.
Ohne Vergütungsrelevanz sind solche Verhandlungen erfahrungsgemäß unkompliziert.
Umgang mit High und Low Performance im agilen Kontext
Kritik wird insoweit an der teamorientierten Leistungserwartung im agilen Kontext erhoben, als dass hierbei sowohl High- als auch Low Performer in der großen Gruppe untergehen würden. High Performer würden um fehlende Anerkennung ihrer Leistungen in der Gruppe fürchten. Low Performer könnten sich hinter den Leistungen anderer verstecken.
Arbeitsrechtlich sollte man daher die oben beschriebenen Leistungserwartungen an bestimmte Mitarbeitergruppen völlig vom individuellen Umgang mit High- und Low Performern separieren.
- Bei High Performern werden Arbeitgeber Anerkennung durch sog. „Performance Based Pays“ oder Beförderungen – soweit zulässig – zollen können. Dazu müssen gesonderte Voraussetzungen definiert werden, was in einem späteren Beitrag behandelt wird.
- Sog. Low Performer gehen erfahrungsgemäß dann nicht in der Gruppe unter, wenn ihre Vorgesetzten die Low Performance identifizieren. Im Fall von häufigen Teamwechseln erfordert dies eine gute Kommunikation zwischen den Teamleitern. Im Umgang mit einer Low Performance sind die Anforderungen des BAG zu beachten. Im Mittelpunkt steht dabei – wenn für den Arbeitgeber erkennbar ist, dass der Betreffende seine Arbeit „zwar kann, aber nicht will“ – eine verhaltensbedingte Kündigung nach vorherigen Abmahnungen im Unterschied zu einem Mitarbeiter, der offensichtlich „will, aber nicht kann“, was am Ende zu einer personenbedingte Kündigung führen kann. Im zweiten Fall hat der Arbeitgeber zunächst aber erhebliche regelmäßige Unterstützungsleistungen zur Leistungsverbesserung anzustrengen (mit Hilfe von sog. wöchentlichen Leistungsverbesserungsplänen), die über einen längeren Zeitraum zu dokumentieren sind (so auch zuletzt LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 5. November 2020 – 5 Sa 167/20). Am Ziel steht entweder eine Leistungsverbesserung oder die nachweisbare Dokumentation, dass der Arbeitnehmer regelmäßig Minderleistungen erbringt, die um mehr als 1/3 von der Durchschnittsleistung vergleichbarer Arbeitnehmer abweichen.
Mit anderen Worten: Die geforderte Herangehensweise der Rechtsprechung an identifizierte Low Performer, die nicht dauerhaft mit dem Team in der Gruppe ungeachtet ihrer Leistungen mitgenommen werden sollen, lässt sich nicht im Rahmen von definierten Leistungserwartungen im agilen Kontext ermöglichen. Denn: Bei den Leistungserwartungen im agilen Kontext zählt die Gruppenleistung, während im Fall der Low Performance gerade die (minderen) Leistungen des Einzelnen zu ermitteln sind. Arbeitgeber haben deshalb in solchen Situationen wie auch bisher mit den individuellen Leistungsverbesserungsplänen zu agieren.
Fazit
Arbeitgeber sollten sich mit der Kreierung neuer Leistungserwartungen in identifizierten Bereichen als Steuerungsinstrument befassen, um auf diese Weise die Implementierung eines teamorientierten Arbeitens im agilen Kontext Schritt für Schritt erreichen zu können. Arbeitsrechtlich ist bei der Gestaltung im agilen Kontext in besonderem Maß analog auf die klassischen Prinzipien bei der vertraglichen Gestaltung sowohl zum Schutz der betroffenen Arbeitnehmer als auch zum Zweck der Durchsetzung berechtigter Interessen des Arbeitgebers zurückzugreifen.
Ausblick auf den nächsten Beitrag zu Feedback im agilen Kontext
Formale Beurteilung und Feedback im agilen Kontext – Ein Blick aus der personalstrategischen sowie aus der arbeitsrechtlichen Sicht