Das Thema
Bereits 2018 hatte der Europäische Gerichtshof dem Verfall von Urlaubsansprüchen enge Grenzen gesetzt. Nunmehr entschied er zu den Anforderungen an die Verjährung von Urlaubsansprüchen.
Mit der Frage, ob (zumindest) die Verjährung von Ansprüchen auf bezahlten Jahresurlaub gemäß den §§ 194 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Betracht kommt, wenn Arbeitgeber ihre Mitwirkungsobliegenheiten nicht erfüllen, hatte sich der Europäische Gerichtshof in seiner nunmehr am 22. September 2022 (EuGH, Urteil vom 22. September 2022 – C-120/21) ergangenen Entscheidung auseinanderzusetzen. Die Entscheidung verdeutlicht insofern, dass Mitwirkungsobliegenheiten nicht nur für den Verfall sondern auch für die Verjährung von Urlaubsansprüchen relevant werden können. Die Folgeentscheidung des Bundesarbeitsgerichts steht unmittelbar bevor (angekündigt ist die Entscheidung für den 20. Dezember 2022 – Az.: 9 AZR 266/20).
Grundsatz: Deutsches Urlaubsrecht widerspricht europarechtlichen Vorgaben
Nationale Regelungen zum Verfall von Urlaubsansprüchen am Ende eines Kalenderjahres (vgl. § 7 Abs. 3 S. 1 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG)) oder eines Übertragungszeitraums in das Folgejahr (vgl. § 7 Abs. 3 S. 2 und 3 BUrlG) stehen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht mit europarechtlichen Vorgaben in Einklang, soweit Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerinnen nicht in die Lage versetzt worden sind, ihren Urlaub tatsächlich auch zu nehmen (siehe insb. Urteil vom 6. November 2018 – C-684/16).
Das Bundesarbeitsgericht übernahm diese Rechtsprechung in der Folge (siehe insb. Urteil vom 19. Februar 2019 – 9 AZR 423/16) dahingehend, dass nun an den Verfall des Urlaubs grundsätzlich besondere Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers geknüpft sind. Diese Mitwirkungsobliegenheiten erfordern nach der vorstehenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts insbesondere, dass Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen rechtzeitig und transparent vom Arbeitgeber aufgefordert werden, ihren Urlaub zu nehmen, ihnen mitgeteilt wird, wie viel Urlaub ihnen zusteht und, dass der Urlaub verfällt, wenn er nicht genommen wird, wobei bloß abstrakte Angaben nicht ausreichen. Die Gewährung des Urlaubs muss zudem auch tatsächlich noch möglich sein.
Mit der Frage, ob (zumindest) die Verjährung von Ansprüchen auf bezahlten Jahresurlaub gemäß den §§ 194 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Betracht kommt, wenn Arbeitgeber ihre Mitwirkungsobliegenheiten nicht erfüllen, musste sich also der Europäische Gerichtshof in seiner im September ergangenen Entscheidung auseinandersetzen.
Darum ging es
Arbeitgeber und Arbeitnehmerin stritten in dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt (dazu auch BAG, Vorlagebeschluss vom 29. September 2020 – 9 AZR 266/20 (A)) über die Abgeltung von Urlaubsansprüchen. Die Arbeitnehmerin war von 1996 bis 2017 bei ihrem Arbeitgeber beschäftigt. Über einen Zeitraum von mehreren Jahren hatte sie über 100 offene Urlaubstage angesammelt, deren Abgeltung sie sodann gerichtlich geltend machte. Der Arbeitgeber hatte die Arbeitnehmerin dabei zu keinem Zeitpunkt aufgefordert, ihren Urlaub zu nehmen und ebenso wenig darauf hingewiesen, dass nicht beantragter Urlaub verfallen werde. Im Verfahren berief er sich sowohl auf den Verfall als auch auf die (teilweise) Verjährung von Urlaubsansprüchen aus vorangegangenen Jahren.
Das Bundesarbeitsgericht wendete sich in der Folge im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens an den Europäischen Gerichtshof (Vorlagebeschluss vom 29. September 2020 – 9 AZR 266/20 (A)) mit der Frage, ob die Verjährung von Urlaubsansprüchen mit europarechtlichen Vorgaben im Einklang stehe, sofern Arbeitgeber die ihnen auch im Rahmen des Verfalls von Urlaubsansprüchen auferlegten Mitwirkungsobliegenheiten nicht beachten.
Die Entscheidung des EuGH
Der Europäische Gerichtshof entschied nunmehr, dass nationale Regelungen zur Verjährung von Urlaubsansprüchen den europarechtlichen Vorgaben entgegenstehen, wenn Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen nicht in die Lage versetzt werden, ihren Urlaub auch tatsächlich zu nehmen.
Eine Verjährung des Urlaubsanspruchs nach in der Regel drei Jahren (vgl. § 195 BGB) kommt also grundsätzlich nicht in Betracht, wenn der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin nicht in der Lage war, den Urlaub auch tatsächlich zu nehmen.
Folgeentscheidungen des BAG erwartet: Das sind die Folgen
Die Entscheidung verdeutlicht insofern, dass Mitwirkungsobliegenheiten nicht nur für den Verfall sondern auch für die Verjährung von Urlaubsansprüchen relevant werden können.
Die Folgeentscheidung des Bundesarbeitsgerichts steht zwar noch aus (angekündigt ist die Entscheidung für den 20. Dezember 2022 – Az.: 9 AZR 266/20). Bereits im Rahmen des Vorlagebeschlusses und seiner Entscheidung aus 2019 (BAG, Urteil vom 19. Februar 2019 – 9 AZR 423/16) hatte das Bundesarbeitsgericht zum Verfall allerdings klargestellt, dass Arbeitgeber überbordende Urlaubsansprüche aus vergangenen Jahren dadurch vermeiden können, indem sie ihre Mitwirkungsobliegenheiten im aktuellen Urlaubsjahr nachholen.
Jedenfalls im Hinblick auf den Verfall von Urlaubsansprüchen können Arbeitgeber ihren Obliegenheiten dadurch nachkommen, dass sie sich auf den Urlaub aus einem konkreten Jahr beziehen und den betroffenen Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen bereits zu Beginn des Jahres – zumindest in Textform – mitteilen, wie viele Urlaubstage ihnen zustehen. Auch sollten Arbeitgeber die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen auffordern, den Urlaub rechtzeitig zu beantragen und diese darüber aufklären, dass nicht genommener Urlaub – je nach vertraglicher Situation – verfällt, wenn er nicht beantragt wird, der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin aber in der Lage war, diesen zu nehmen (siehe dazu BAG, Urteil vom 19. Februar 2019 – 9 AZR 423/16).