Mal einen ausgeben…
„Für Sorgen sorgt das liebe Leben / Und Sorgenbrecher sind die Reben“, schrieb einst Johann Wolfgang von Goethe. So ähnlich dachte wohl auch die Kundin eines selbständigen Versicherungsvertreters. Nur sorgte genau das bei ihm für Sorgen.
Der Versicherungsvertreter suchte die Kundin in ihren Geschäftsräumen auf, weil ihr Hund gewildert und dabei Geflügel gerissen hatte. Das wollte sie der Versicherung melden und er half ihr dabei. Nachdem die Schadensmeldung zu diesem Vorfall bearbeitet war, forderte sie ihn auf, ihr „einen auszugeben“. Und da sie selbst einen Getränkehandel hatte, erwarb der Versicherungskaufmann kurzerhand eine Flasche aus ihrem Bestand, um der Bitte nachzukommen.
Ein Gläschen in Ehren…
Bei dem Versuch, die Flasche zu öffnen, explodierte diese. Dabei bohrten sich größere Glasscherben in die linke Hand des Versicherungsvertreters. Die entstandene Wunde musste chirurgisch versorgt werden. Der freiwillig versicherte, selbständig tätige Versicherungsvertreter begehrte wegen dieses Vorfalls nun Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung.
Zur Begründung verwies er darauf, dass es in seiner Branche üblich sei, „nach erfolgreich abgeschlossenem Geschäft mit dem Geschäftspartner ein Glas Wein zu trinken bzw. dies nach erfolgreich vorgenommenen Versicherungsregulierungen“ zu tun. Daher handle es sich nicht um eine rein private Tätigkeit, sondern um eine, die in innerem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehe.
Der Träger der Unfallversicherung sah das anders und lehnte die begehrten Leistungen ab. Dagegen klagte der Mann. Allerdings ohne Erfolg. Dafür gab ihm das Landessozialgericht Thüringen (Urteil vom 22.11.2000 – L 1 U 681/98) Tipps zur Kundenpflege. Nur sollte er die wohl besser ignorieren – jedenfalls, wenn er nicht allzu viele Kunden verlieren möchte.
Tätigkeit als Versicherungsvertreter ist kein Ausnahmefall
Das Thüringer Gericht wies zunächst darauf hin, dass Alkoholgenuss nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nur in eng begrenzten Ausnahmefällen als unternehmensbedingt in Betracht kommt:
„Die Rechtsprechung hat Tätigkeiten als Barmixer, Spirituosenvertreter und Weinprüfer angeführt und darauf abgestellt, dass in diesen Beispielsfällen die Betriebstätigkeit Alkoholgenuss notwendig mit sich bringe oder doch der Alkoholgenuss im Rahmen der Betriebstätigkeit unvermeidbar sei. Als unternehmensbedingt hat das Bundessozialgericht aber auch in diesen Fällen einen Alkoholgenuss nur dann bezeichnet, wenn sich der Versicherte im Interesse des Betriebes nicht entziehen kann, also eine praktisch unvermeidbare Notwendigkeit zum Trinken besteht (…)“.
Wie man (besser nicht) mit Kunden umgehen sollte
Eine solche Tätigkeit liegt hier nicht vor, und anders als der Kläger behauptet, hätte er sich nach Meinung des Landessozialgerichts in „seiner Eigenschaft als Versicherungsvertreter an einem Samstagnachmittag dem angedienten Alkoholgenuss“ durchaus entziehen können. Das Gericht führte insofern an, dass „eine kurze höfliche Bemerkung (hätte) reichen dürfen, um nicht selbst in dieser Situation trinken zu müssen“.
Dagegen ließe sich auch nicht, wie vom Kläger vorgetragen, einwenden, dass er sich aus Angst vor schädlichen Auswirkungen auf die Geschäftsbeziehung zu einer Großkundin nicht ablehnend verhalten wollte. „Dem muss“, wie das Thüringer Gericht ausführt, „entgegengehalten werden, dass zur Pflege der Geschäftsbeziehungen auch Geschenke möglich sind.“
Eine gewagte These, über die wohl jeder, der das Privatkundengeschäft in der Versicherungsbranche kennt (und ja: der Verfasser dieses Beitrags kennt es), schmunzeln muss.
Von Wein und Kuchen
Natürlich muss ein Versicherungsvertreter nach einem Vertragsschluss oder einer Schadensregulierung der Aufforderung, gemeinsam noch etwas zu trinken, nicht nachkommen. Er kann das mit einer „kurze(n) höfliche(n) Bemerkung“ ebenso ablehnen wie zum Beispiel das zweite Stück eines grauenhaft schmeckenden, selbst gebackenen Kuchens oder andere Dinge, die Kunden ihm kredenzen. Allzu oft sollte er das aber nicht machen – jedenfalls wenn er seine Kunden behalten möchte. Denn so richtig gut kommen solche Bemerkungen – bei aller Höflichkeit – nicht an.
Zuzustimmen ist dem Gericht allerdings darin, dass normalerweise der Kunde „einen ausgibt“ und nicht den Vertreter auffordert das zu tun. Das gilt zumindest, wenn er dem Kunden bei einer Schadensmeldung hilft, an der der Vertreter ja nichts verdient. Aber auch das gibt es – insbesondere wenn, wie im vorliegenden Fall, eine langjährige Kundenbeziehung besteht und der Versicherungsnehmer zu den „Großkunden“ des Versicherungsvertreters zählt.
Dem Kläger helfen solche Erwägungen nichts. Wie er mit Kunden umgehen muss, weiß er. Seine Berufung wurde indes trotz entsprechenden Vorbringens vom Landessozialgericht Thüringen zurückgewiesen, die Revision nicht zugelassen. Leistungen für die Verletzung bekam er damit nicht. Und auf Reben als „Sorgenbrecher“, wie Goethe es formuliert hat, hatte er nach diesem Unfall wohl auch keine allzu große Lust mehr – jedenfalls wenn er die Flasche öffnen soll.
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