Das Thema
Die Frage, wie lange Arbeitgeber Aufzeichnungen von Überwachungskameras aufbewahren dürfen, beschäftigt die Praxis seit geraumer Zeit. Die unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder (Datenschutzkonferenz – DSK) gehen hierbei davon aus, dass auch unter Geltung der EU Datenschutz-Grundverordnung (“DSGVO”) Daten aus einer Videoüberwachung grundsätzlich innerhalb von 48 Stunden gelöscht werden sollten (Kurzpapier Nr. 15). Demgegenüber hat nun das Bundearbeitsgericht entschieden, dass auch eine monatelange Aufbewahrung und spätere Auswertung von Aufzeichnungen aus einer rechtmäßigen offenen Videoüberwachung verhältnismäßig sein kann (Urteil vom 23.08.2018 – 2 AZR 133/18). Die Entscheidung liegt bislang nur als Pressemitteilung vor. Aus Arbeitgebersicht ist das Urteil erfreulich, wirft aber auch zahlreiche neue Fragen auf.
Videoüberwachung gegen Warenschwund
Ein Betreiber eines Tabak- und Zeitschriftenhandels mit angeschlossener Lottoannahmestelle hatte einer auf 450 Euro-Basis beschäftigten Mitarbeiterin am 13.08.2016 fristlos aus wichtigem Grund wegen des Verdachts gekündigt, die Mitarbeiterin habe Einnahmen veruntreut.
Der Kioskbetreiber hatte nach eigenen Angaben bei einer stichprobenartigen Kontrolle im dritten Quartal 2016 Warenschwund festgestellt. Dies nahm er zum Anlass, Aufzeichnungen der Überwachungskamera auswerten zu lassen, welche den Verkaufsraum einschließlich des Arbeitsplatzes der Mitarbeiterin an der Kasse erfasste. Die Auswertung hätte ergeben, dass die Mitarbeiterin an zwei Tagen im Februar 2016 Einnahmen aus Tabakwarenverkäufen nicht in die Registrierkasse gelegt habe. Sie habe die Einnahmen stattdessen in die Lottokasse gelegt, mit der sie sich kurzfristig in den nicht überwachten Nebenraum zurückgezogen habe. Dies begründete nach Auffassung des Kioskbetreibers den dringenden Verdacht, dass die Mitarbeiterin die betreffenden Gelder vorsätzlich unterschlagen habe.
Die Mitarbeiterin bestritt die gegen sie erhobenen Vorwürfe und setzte sich gegen die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses mit einer Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht Iserlohn zur Wehr. Der Kioskbetreiber machte daraufhin per Widerklage Ansprüche auf Ersatz der Kosten der Videoauswertung geltend.
Vorinstanz lässt Videoaufzeichnungen wegen unzulässig langer Speicherdauer nicht als Beweise zu
Das Arbeitsgericht Iserlohn (Urteil vom 19.01.2017 – 4 Ca 1501/16) und in der Berufungsinstanz das Landesarbeitsgericht Hamm (Urteil vom 20.12.2017 – 2 Sa 192/17) hatten die Kündigung aus Mangel an Beweisen für eine schwerwiegende Pflichtverletzung für unwirksam erklärt. Es war dem Kioskbetreiber nicht gelungen, Tatsachen darzulegen und zu beweisen, die den dringenden Verdacht begründet hätten, dass die Mitarbeiterin sein Vermögen vorsätzlich geschädigt hätte.
Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts durfte sich der Kioskbetreiber jedenfalls nicht auf die Videoaufzeichnung berufen, um die Kündigung zu rechtfertigen. Sowohl für die Videoaufzeichnung als auch für die Zeugenaussage der Person, die das Video ausgewertet hatte, bestehe ein Beweisverwertungsverbot. Dies sei aus Gründen des Daten- und Persönlichkeitsschutzes erforderlich. Denn der Kioskbetreiber habe die Videoaufzeichnung nicht gemäß § 6b Abs. 5 BDSG a.F. unverzüglich, sondern erst rund sechs Monate später gelöscht. Dies verstoße eindeutig und besonders schwerwiegend gegen § 6b Abs. 5 BDSG a.F. Alleine aus der unzulässig langen Speicherung der personenbezogenen Daten folge ein Beweisverwertungsverbot. Es komme hier deshalb gar nicht darauf an, ob die dauerhafte Videoüberwachung am Arbeitsplatz ursprünglich rechtmäßig erfolgt war.
BAG erklärt Speicherung von Aufnahmen aus einer rechtmäßigen offenen Videoüberwachung für zulässig
Mit der Revision wehrte sich der Kioskbetreiber erfolgreich gegen die Entscheidung der Vorinstanzen. Das Bundesarbeitsgericht kam zu dem in der Sache überzeugenden Ergebnis, dass die vom Kioskbetreiber angebotenen Beweise für die Pflichtverletzung der Mitarbeiterin nicht unverwertbar waren. Die Speicherung von Aufnahmen aus einer rechtmäßigen offenen Videoüberwachung, die vorsätzliche Verletzungen des Eigentums eines Arbeitgebers durch einen Arbeitnehmer zeigt, würde nicht durch bloßen Zeitablauf unverhältnismäßig. Dies gelte jedenfalls solange der Arbeitgeber eine arbeitsrechtliche Pflichtverletzung noch ahnden könne.
Der Kioskbetreiber habe das Bildmaterial nicht sofort auswerten müssen. Er durfte damit solange warten, bis er hierfür einen berechtigten Anlass sah.
Damit stellte sich das Bundesarbeitsgericht gegen die Auffassung des Berufungsgerichts. Dieses hatte geurteilt, der Arbeitgeber hätte die Videoaufzeichnungen jedenfalls nach wenigen Tagen löschen müssen. Alleine durch das Unterlassen der Löschung hätte der Arbeitgeber das Persönlichkeitsrecht der betroffenen Mitarbeiterin schwerwiegend verletzt. Das Bundesarbeitsgericht hielt die Videoaufzeichnungen und die entsprechenden Zeugenaussagen jedoch grundsätzlich für verwertbar, sofern der Arbeitgeber die Videoüberwachung ursprünglich nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG a.F. zulässigerweise durchgeführt habe.
Konsequenter Weise hob das Bundesarbeitsgericht das Berufungsurteil auf und verwies den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurück. Wie das Landesarbeitsgericht den Rechtsstreit letztendlich entscheiden wird, ist offen. An ihren alten Arbeitsplatz wird die klagende Mitarbeiterin jedenfalls nicht zurückkehren können. Der Kiosk wurde inzwischen geschlossen.
Rechtliche Vorgaben für offene Videoüberwachung unter der DSGVO und dem BDSG n.F.
Unter der Datenschutz-Grundverordnung und dem neuen Bundesdatenschutzgesetz (BDSG n.F.) gelten für eine rechtmäßige offene Videoüberwachung ähnlich strenge Anforderungen wie unter dem BDSG a.F. Verstöße gegen diese Vorgaben können jedoch hohe Bußgelder (Art. 83 DSGVO), Entschädigungsansprüche der betroffenen Personen (Art. 82 DSGVO) und andere Nachteile für Arbeitgeber nach sich ziehen.
Der Arbeitgeber muss die Verarbeitung personenbezogener Daten insbesondere auf eine Rechtsgrundlage stützen können. Hierfür kommt in der Regel die Wahrung berechtigter Interessen nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO in Betracht. Nach dieser Vorschrift ist eine Datenverarbeitung rechtmäßig, wenn diese zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist. Eine Verarbeitung muss unterbleiben, wenn die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person überwiegen. Grundsätzlich darf der Arbeitgeber mittels Videoüberwachung nur in dem Umfang personenbezogen Daten verarbeiten, in dem dies zur Erreichung vorab festgelegter zulässiger Zwecke erforderlich ist. Zudem erfordert jede Videoüberwachung eine umfassende Interessenabwägung im konkreten Einzelfall, deren Ergebnis der Arbeitgeber dokumentieren muss (Art. 24 Abs. 1 DSGVO).
Darüber hinaus macht auch § 4 BDSG n.F. Vorgaben für eine rechtmäßige Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume. Diese Vorschrift entspricht § 6b BDSG a.F. Allerdings ist noch fraglich, welcher sachliche Anwendungsbereich für § 4 BDSG n.F. wegen des generellen Anwendungsvorrangs der DSGVO verbleibt (vergleiche hierzu Kurzpapier Nr. 15).
Auch eine Betriebsvereinbarung, die den Anforderungen von Art. 88 Abs. 2 DSGVO i.V.m. § 26 Abs. 4 BDSG n.F. genügt, kann als Rechtsgrundlage für die Verarbeitung von Beschäftigtendaten durch eine Videoüberwachung dienen. Betriebsräte haben bei der Einführung und Nutzung von Videoüberwachung im Betrieb ohnehin umfassende Informations- und Mitbestimmungsrechte (§§ 80 Abs. 1, 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG). Daher bietet es sich an, Betriebsvereinbarung als datenschutzrechtlichen Erlaubnistatbestand auszugestalten, um den zulässigen Umfang der Videoüberwachung am Arbeitsplatz einschließlich der damit verbundenen Verarbeitung personenbezogener Mitarbeiterdaten rechtssicher zu regeln.
Neben der Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung muss der Arbeitgeber gegenüber den betroffenen Personen, d.h. gegenüber Arbeitnehmern, Kunden und Lieferanten die erforderliche Transparenz schaffen (Art. 5 Abs. 1 lit. a DSGVO sowie Art. 12 ff. DSGVO). Hierfür hat der Arbeitgeber geeignete Hinweisschilder z.B. im Eingangsbereich aufzuhängen, die deutlich erkennbar auf die Videoüberwachung aufmerksam machen. Beispiele finden sich etwa auf der Internetseite der Landesbeauftragten für den Datenschutz Niedersachsen. Darüber hinaus muss der Arbeitgeber ausführliche Datenschutzhinweise erteilen, die den Anforderungen der Art. 13, 14 DSGVO genügen.
Bei einer offenen Videoüberwachung muss der Arbeitgeber die Grundsätze der Datenminimierung und der Speicherbegrenzung umsetzen (Art. 5 Abs. 1 lit. c und lit. e DSGVO). Personenbezogene Daten aus einer Videoüberwachung sind grundsätzlich unverzüglich zu löschen, wenn sie zur Zweckerreichung nicht mehr benötigt werden und auch keine gesetzlichen Vorgaben eine längere Aufbewahrung erfordern (Art. 17 Abs. 1 lit. a DSGVO).
In aller Regel bedarf es vor einer offenen Videoüberwachung auch einer Datenschutz-Folgenabschätzung, insbesondere bei der systematischen, umfangreichen Überwachung öffentlich zugänglicher Räume (Art. 35 Abs. 3 lit. c DSGVO). Dabei hat der Arbeitgeber auch den betrieblichen Datenschutzbeauftragten einzubeziehen Art. 35 Abs. 2 DSGVO.
Die offene Videoüberwachung muss der Arbeitgeber in das Verzeichnis der Verarbeitungstätigkeiten aufnehmen. Darin hat er neben der Dauer der Verarbeitung und einer Reihe anderer Angaben unter anderem auch die Zwecke zu dokumentieren, die er mit der Videoüberwachung verfolgt (Art. 30 Abs. 1 Satz 2 lit. b DSGVO).
BAG setzt sich in Widerspruch zu Datenschutzaufsichtsbehörden
Mit der vorliegenden Entscheidung legt das Bundesarbeitsgericht bei der zulässigen Speicherdauer einen großzügigeren Maßstab an. Die Erfurter Bundesrichter setzen sich mit dieser Linie offenbar in Widerspruch zu den von Datenschutzaufsichtsbehörden veröffentlichten Leitlinien und zu Teilen der Fachliteratur, die ebenfalls eine Löschung von Videoaufzeichnungen spätestens nach wenigen Tagen befürworten. Dabei lässt sich jedenfalls der am 23.08.2018 veröffentlichten Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts nicht entnehmen, wie lange eine Speicherung von Videoaufnahmen konkret zulässig ist.
Möglichkeit der Ahndung arbeitsrechtlicher Pflichtverletzung als Kriterium zur Bestimmung konkreter Löschfristen nur bedingt tauglich
Auch der Hinweis der Erfurter Bundesrichter auf die noch bestehende Möglichkeit einer Ahndung einer arbeitsrechtlichen Pflichtverletzung liefert noch keine konkreten Anhaltspunkte für die Festlegung zulässiger Speicherfristen. Das Gewicht einer Pflichtverletzung kann mit Zeitablauf abnehmen, sodass eine drauf gestützte Kündigung, die ursprünglich verhältnismäßig gewesen wäre, gegebenenfalls nach einiger Zeit unverhältnismäßig werden kann. Dabei ist unter anderem zu berücksichtigen, wie lange das Fehlverhalten zurückliegt und ob das Arbeitsverhältnis seither störungsfrei verlaufen ist. Dies kann gegebenenfalls den Rückschluss zulassen, dass der Arbeitnehmer sich auch in Zukunft pflichtgemäß verhalten werde, dem Arbeitgeber also ein Festhalten am Arbeitsverhältnis zumutbar sein kann. Konkrete Zeitvorgaben fehlen allerdings auch insoweit.
So dürfte die Frage, nach welcher Zeit eine Kündigung wegen Fehlverhaltens nicht mehr wirksam möglich ist, neben vielen anderen Faktoren auch von der Schwere der Pflichtverletzung und damit zusammenhängendem Vertrauensverlust abhängen. Ein verspäteter Arbeitsantritt mag dabei früher “verjähren” als etwa eine vorsätzliche Untreuehandlung, die zu einem hohen Schaden geführt hat. Welches Fehlverhalten eine Überwachungskamera aufzeichnen wird, ist dabei aber in den meisten Fällen im Voraus nicht klar vorhersehbar.
Festlegung konkreter Löschfristen für die Praxis oft unerlässlich
Dennoch ist es für die Praxis unerlässlich, konkrete Löschfristen zu bestimmen. Löschfristen muss der Arbeitgeber als Verantwortlicher unter anderem in seinen Datenschutzhinweisen benennen (Art. 13 Abs. 2 lit. a DSGVO). Auch im Verzeichnis der Verarbeitungstätigkeiten sind Fristen für die Löschung anzugeben (Art. 30 Abs. 1 Satz 2 lit. f DSGVO).
Zwar eröffnet die DSGVO Arbeitgebern die Möglichkeit, die betroffenen Personen lediglich abstrakt über die Kriterien für die Festlegung der Speicherdauer zu informieren, falls eine konkrete Benennung der Löschfristen nicht möglich ist. In der Praxis ist die rechtssichere und handhabbare Löschung personenbezogener Daten aus dem Einsatz von Überwachungskameras oder anderen automatischen Aufzeichnungsvorgängen ohne ein Löschkonzept mit konkreten Löschfristen kaum möglich. Werden Videoaufzeichnungen nicht automatisch gelöscht oder turnusmäßig überschrieben, müssen diese “von Hand” gelöscht werden. Auch dies ist letztlich in vielen Fällen aber nur sinnvoll umsetzbar, wenn der Arbeitgeber zuvor in seinem Löschkonzept festlegt, nach welcher Frist eine Löschung erfolgen soll.
Relevanz für andere Formen der automatischen Speicherung von Mitarbeiterdaten
Neben offener Videoaufzeichnung hat die vorliegende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts erhebliche Relevanz für Compliance-Sachverhalte sowie für andere Formen der automatischen, anlassunabhängigen Speicherung von Mitarbeiterdaten. Dies betrifft etwa Software, die automatische Log-Dateien der Nutzer generiert und speichert. Ähnliche Fragen zur zulässigen Speicherdauer stellen sich etwa auch bei der Aufzeichnung des Browserverlaufs, der Rückschlüsse auf das Surfverhalten eines Mitarbeiters im Internet erlaubt. Auch hier erfolgt eine Auswertung in der Regel nicht täglich, sondern nur anlassbezogen, z.B. bei Verdacht der unerlaubten oder übermäßigen Privatnutzung des dienstlichen Internetzugangs.
Das Bundesarbeitsgericht erkennt mit seiner Entscheidung das grundsätzliche berechtigte Interesse des Arbeitgebers an, Pflichtverletzungen durch Arbeitnehmer aufzuklären und zu ahnden. Dieses besteht gleichermaßen auch bei den vorstehend dargestellten Formen der Überwachung am Arbeitsplatz.
Fazit und Handlungsempfehlung
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist aus Arbeitsgebersicht zu begrüßen. Sie lässt aber noch viele Fragen für die Praxis offen. Für den Rechtsanwender wäre insbesondere eine einheitliche Linie der Arbeitsgerichtsbarkeit und der Datenschutzaufsichtsbehörden mit praktisch handhabbaren und verlässlichen Leitlinien zu interessengerechten Löschfristen wünschenswert. Daran mangelt es bislang noch.
Generell sind Arbeitgeber gut beraten, sorgfältig im Voraus die Zwecke zu definieren, für die die Aufzeichnung personenbezogener Mitarbeiterdaten erforderlich ist. Zudem müssen Arbeitgeber gerade auch gegenüber ihren Beschäftigten durch deutliche Hinweise auf offene Videoüberwachung oder andere Formen der Erfassung personenbezogener Daten sowie durch umfassende und verständliche Datenschutzhinweise, die den Anforderungen von Art. 13, 14 DSGVO genügen, die erforderliche Transparenz schaffen. Je sorgfältiger Arbeitgeber diese Vorgaben umsetzen, desto eher lassen sich längere Aufbewahrungsfristen z.B. für Videoaufzeichnungen rechtfertigen.
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