Das Thema
Unternehmen stehen aktuell vor der Herausforderung, für die Zeit nach der Pandemie neue Arbeitsmodelle anzubieten oder zu erklären, warum ihnen dies ganz oder teilweise nicht möglich ist.
Und das im Dickicht der existierenden Arbeitsverträge, ggf. Betriebsvereinbarungen und tariflichen Regelungen sowie mit Blick auf weitere Planungen des Gesetzgebers, etwa bezüglich eines Referentenentwurfs des BMAS zum „Mobile Arbeit-Gesetz“. Und das ist noch nicht alles: Auch die Rechtsprechung – etwa das jüngste Urteil des LAG Niedersachsen (Urt. v. 6. Mai 2021 – 5 Sa 1292/20) – oder die Erwartungen der Arbeitnehmer, die aus dem Vierten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage erfahren haben, dass sie bis 30. Juni 2021 sogar eine Art Pflicht haben, ein Home Office-Angebot des Arbeitgebers anzunehmen, sofern keine Gründe entgegenstehen, ist zu berücksichtigen. Unklar aus heutiger Sicht: Wird die Pflicht für Arbeitgeber, Home-Office anzubieten verlängert? Und was ist eigentlich mit den Vorgaben der ebenfalls befristeten Corona-Arbeitsschutzverordnung etwa für die Präsenzarbeit in den Büros, Stichwort Rückkehr?
Wie also die Weichen für Arbeitszeit und Arbeitsort für die Zeit nach Corona stellen?
Arbeitsrechtliche Herausforderungen in Bezug auf den Arbeitsort
Auch wenn unklar ist, ob der Referentenentwurf eines Mobile Arbeit-Gesetzes (überhaupt noch) zeitnah verabschiedet wird, lassen sich hieraus zumindest Kernbotschaften für die künftige Gestaltung rund um den Arbeitsort ableiten:
Nach dem Entwurf soll in der Gewerbeordnung (GewO) geregelt werden, dass der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer einen etwaigen Wunsch nach mobiler Arbeit erörtern soll und für den Fall, dass die Arbeitsvertragsparteien sich über Umfang und Lage der mobilen Arbeitszeit nicht einigen, der Arbeitgeber seine ablehnende Entscheidung form- und fristgerecht begründen muss. Versäumt der Arbeitgeber dies, so soll eine gesetzliche Funktion eintreten und die mobile Arbeit gilt entsprechend den Wünschen des Arbeitnehmers für die Dauer von maximal 6 Monaten als festgelegt.
Dieses gesetzlich gedachte Prozedere erinnert an das Prozedere bei der Durchsetzung eines Teilzeitwunsches gemäß § 8 TzBfG, der nur in absoluten Ausnahmefällen vom Arbeitgeber abgelehnt werden kann. Erschwerend kommt dabei noch hinzu, dass bereits ein gewisser Maßstab des Gesetzgebers in Bezug auf die Geeignetheit eines Arbeitsplatzes als Home Office Arbeitsplatz durch das Vierte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite bis 30.6.2021 gesetzt wurde. So hat das BMAS lediglich folgende Gründe als zwingende betriebliche Gründe definiert:
Tätigkeiten wie Produktion, Dienstleistung, Handel, Logistik oder wenn die Betriebsabläufe sonst erheblich eingeschränkt würden oder gar nicht aufrechterhalten werden könnten, z.B. Postbearbeitung, Bearbeitung des Warenein- und –ausgangs, Schalterdienste, Materialausgabe, Reparatur- und Wartungsaufgaben, Hausmeisterdienste und Notdienste. Auch technische oder organisatorische Gründe wurden genannt.
Welche Aufgaben sind für Home Office oder mobiles Arbeiten geeignet?
Mit Blick auf das Prüfschema des möglichen Mobile Arbeit-Gesetzes oder künftiger vergleichbarer Gesetze sollten Arbeitgeber daher bereits jetzt identifizieren und klar definieren, welche Positionen aus welchen sachlichen Gründen für Home Office oder mobile Tätigkeit in ihrem Unternehmen ungeeignet sind.
In Betrieben mit Betriebsräten bietet sich insoweit eine Protokollnotiz zu einer Betriebsvereinbarung Home Office/Mobile Office an, die die Motive der Parteien definieren kann. Wichtig ist dabei aber auch, dass Unternehmen diese erarbeiteten Definitionen tatsächlich konsequent leben und gerade keine hiervon abweichenden ungewollten Präzedenzfälle schaffen.
Aktuelle Arbeitsverträge und Betriebsvereinbarungen “fit machen”
Es sind nicht nur Gesetzesvorhaben bei der Planung zu beachten, sondern auch die Tatsache, dass es zumeist bereits Arbeitsverträge oder Betriebsvereinbaren gibt, die den Arbeitsort näher regeln.
Wollen Arbeitgeber die bestehenden Regelungen nunmehr abändern, etwa durch die Einführung eines hybriden Arbeitsortes, würden sie hierfür die Zustimmung des Arbeitnehmers bzw. des Betriebsrates zur Änderung der bestehenden Regelungen benötigen, sofern es sich nicht lediglich um ein zusätzliches Angebot auf freiwilliger Basis handelt.
Aber auch für die Vereinbarung über ein solches freiwilliges Angebot sollte die Zustimmung der anderen Seite allein wegen der Arbeitssicherheit und des Datenschutzes eingeholt werden.
Mobiles Arbeiten und Co.: Arbeitsrechtliche Herausforderungen in Bezug auf die Arbeitszeit
Home Office-Tätigkeit bzw. Mobile Arbeit bedeutet gleichzeitig eine Arbeit im Vertrauensarbeitszeitmodell. Denn der Arbeitgeber ist hierbei auf die Aufzeichnung der Arbeitszeit durch die Arbeitnehmer angewiesen. Auch das Mobile Arbeit-Gesetz bzw. das BMAS äussert sich zur Aufzeichnung von Arbeitszeit: Gem. § 112 GewO–RefE soll für Arbeitnehmer, die regelmäßig mobil arbeiten, die Pflicht nach § 16 Abs. 2 Satz 1 ArbZG dahingehend geändert werden, dass der Arbeitgeber verpflichtet wird, nicht nur die über die werktägliche Arbeitszeit hinausgehende Arbeitszeit aufzuzeichnen, sondern auch Beginn, Ende und Dauer der Arbeitsleistung.
Gem. § 112 Abs. 2 GewO-RefE kann die Aufzeichnung auch durch den Arbeitnehmer erfolgen, wobei der Arbeitgeber hierfür verantwortlich ist. Dazu kommen weitere Kontroll- und Aufbewahrungspflichten sowie entsprechende Sanktionen für den Arbeitgeber bei Verstößen.
Brennpunkt Aufzeichnungspflicht der Arbeitszeit
Das LAG Niedersachsen (Urt. v. 6. Mai 2021 – 5 Sa 1292/20) hat aktuell zur Erfassung der Arbeitszeit anders als der EuGH mit seinem Urteil vom 14. Mai 2019 Grenzen dahingehend gesetzt, dass auch weiterhin im Falle der Geltendmachung von Überstundenvergütung nicht allein die Aufzeichnung durch den Arbeitnehmer ausreichend sein kann, sondern – wie auch bisher vom BAG geurteilt – der Arbeitnehmer jeweils darlegen und beweisen muss, dass Überstunden vom Arbeitgeber auch tatsächlich angeordnet, geduldet oder zumindest notwendig waren, um das geforderte Arbeitsvolumen mit Fristsetzung leisten zu können.
Mit anderen Worten: Das BMAS folgt in Bezug auf die Arbeitszeit den Vorgaben des EuGHs, was die volle Arbeitszeiterfassung angeht, während das LAG Niedersachsen Grenzen für die Erfassung von Überstunden setzt.
Wie es allerdings mit den Überlegungen des Gesetzgebers iS Arbeitszeiterfassung infolge des bekannten Gutachterstreits in Berlin weitergeht – und vor allem wann – ist bi dato völlig unklar. Seit einer Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales im Herbst 2020 hat sich leider zum Thema jedenfalls in Berlin nichts mehr konkretes getan.
Arbeitszeiterfassung: Was tun?
Werden alle Entwicklungen der letzten Monate, Stimmen in der Literatur, Rechtsprechung und Informationen vom “Hören-Sagen” aus Berlin in einen Topf geworfen, bleibt nur die Empfehlung an Unternehmen übrig, sich deshalb (doch) auf die volle (technische) Arbeitszeiterfassung nebst den damit verbundenen Sorgfalts- und Kontrollpflichten vorzubereiten.
Die vom LAG Niedersachen definierten Grenzen bei Überstundenvergütung dürfen sie dabei bis auf Weiteres berücksichtigen.
Strategieentwicklung durch Fahren auf Sicht?
Natürlich sollten Unternehmen jetzt nicht ohne arbeitsrechtliche Vorbereitungs- und Anpassungsmaßnahmen in die neue Welt des hybriden Arbeitens schliddern. Und diese neue Welt wird – einmal mehr einmal weniger – kommen. Es bleibt nur, die ersten Signale, die vom BMAS aber auch von der Rechtsprechung gegeben werden, jetzt schon arbeitsrechtlich zu berücksichtigen.
Auf eine finale Rechtsklarheit etwa infolge von Gesetzgebung zu warten, ist allerdings nicht zu empfehlen.