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Wirksamkeit der Sachgrundbefristung zur Vertretung bei durchgehender Arbeitsunfähigkeit

  • 30. September 2024 |
  • Samira Jessl
  • - Dr. Benjamin Kesisoglugil

Weiß ein Arbeitgeber, dass ein befristet eingestellter Arbeitnehmer während der gesamten Vertragsdauer arbeitsunfähig sein wird, kann er die Befristung nicht mit dem Sachgrund der Vertretung gem. § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG rechtfertigen.

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Das Thema

Das BAG (Urt. v. 12.06.2024 – 7 AZR 188/23) hatte den Fall eines Paketzusteller zu beurteilen, der während der gesamten Befristungsdauer arbeitsunfähig erkrankt war.

Im Rahmen einer Vertretungsbefristung werden Arbeitnehmer eingestellt, um den vorübergehenden Beschäftigungsbedarf abzudecken, der durch den zeitweiligen Ausfall des zu vertretenden Mitarbeiters entsteht. Kann dies aber auch dann erfolgen, wenn der zur Vertretung Eingestellte selbst mit Sicherheit für die gesamte Dauer der Vertretung ausfallen wird?

Der Fall

Der Kläger war bei der beklagten Arbeitgeberin auf Grundlage eines zuletzt bis zum 30.04.2022 befristeten Arbeitsvertrags als Paketzusteller beschäftigt. Am 23.04.2022 informierte er den für seine Vertragsangelegenheiten zuständigen Niederlassungsleiter per WhatsApp-Nachricht darüber, dass er „mit dem Körper abgestürzt“ sei, als er ein Paket aus der hinteren Beifahrertür geholt habe und dadurch einen Nabelbruch erlitten habe. Er müsse vielleicht noch am selben Tag operiert werden. Der genaue Inhalt der Konversation und ob die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit mittgeteilt wurde, ist zwischen den Parteien streitig geblieben.

Dem Kläger wurde am 25.04.2022 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als Erstbescheinigung für den Zeitraum vom 23.04.2022 bis voraussichtlich 08.05.2022 ausgestellt, welche er jedenfalls noch vor dem 27.04.2022 an die Beklagte übermittelte. An diesem Tag schlossen die Parteien einen vom 01.05.2022 bis zum 28.05.2022 befristeten Arbeitsvertrag zur Vertretung von vorübergehend abwesenden Mitarbeitern.

Der Kläger war während des gesamten Zeitraums des befristeten Arbeitsverhältnisses (01.05.2022 bis 28.05.2022) arbeitsunfähig erkrankt, was er durch weitere, jeweils nach Vertragsabschluss ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen belegte.

Die Voraussetzungen einer Sachgrundbefristung zur Vertretung

Nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG liegt ein sachlicher Grund für die Befristung eines Arbeitsvertrages vor, wenn der Mitarbeiter zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers beschäftigt wird. Der Grund für die Befristung liegt im Vertretungsfall darin, dass der Arbeitgeber bereits zu einem vorübergehend ausgefallenen Mitarbeiter in einem Rechtsverhältnis steht und mit dessen Rückkehr rechnet. Teil des Sachgrunds ist daher die Prognose des Arbeitgebers bei Vertragsschluss, dass der Vertretungsbedarf durch die erwartete Rückkehr des zu vertretenen Arbeitnehmers wieder entfällt (BAG, Urt. v. 15.12.2021 – 7 AZR 422/20, Rn. 13 m.w.N.).

Der Sachgrund der Vertretung setzt des Weiteren einen Kausalzusammenhang zwischen dem zeitweiligen Ausfall des Vertretenden und der Einstellung des Vertreters voraus. Notwendig aber auch ausreichend für eine Kausalkette ist, dass zwischen dem zeitweiligen Ausfall von Stammarbeitskräften und der befristeten Einstellung von Arbeitnehmern ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Dadurch wird sichergestellt, dass die Vertretungskraft gerade wegen des zeitweiligen Ausfall des zu vertretenden Mitarbeiters entstandenen vorübergehenden Beschäftigungsbedarfs einstellt worden ist (BAG, Urt. v. 21.02.2018 – 7 AZR 765/16, Rn. 16 m.w.N.).

Damit bestehen für den Sachgrund der Vertretungsbefristung letztlich zwei Voraussetzungen:

  • Die Prognose bei Vertragsschluss, dass der Vertretungsbedarf nur vorübergehend ist, sowie
  • Kausalität zwischen dem zeitweiligen Ausfall des „Vertretenden“ und der Einstellung des „Vertreters“.

LAG-Entscheidung: kein Sachgrund der Vertretung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG

Das LAG Niedersachsen (Urt. v. 11.05.2023 – 5 Sa 27/23) ließ im vorliegenden Fall die Wirksamkeit der Befristung am zweiten Merkmal, dem Kausalzusammenhang scheitern. Eine Kausalität sei dann nicht gegeben, wenn der Arbeitgeber bei Vertragsabschluss sicher weiß, dass der Arbeitnehmer während der gesamten Dauer des befristeten Arbeitsverhältnisses nicht arbeiten kann. In diesem Fall sei der Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrages sinnlos, weil der Zweck der Befristung, die Aufgabenwahrnehmung des vertretenen Arbeitnehmers durch den eingestellten Vertreter, nicht erfüllt werden kann.

Die Entscheidung traf das LAG anhand des konkreten Einzelfalls, da es als erwiesen ansah, dass die beklagte Arbeitgeberin bei lebensnaher Interpretation der Informationen des Klägers sicher wissen musste, dass dieser mehrere Wochen ausfallen werde. Die in den Nachrichten geschilderten Umstände – Sturz mit dem Körper, Nabelbruch – ließen keinen anderen Schluss zu. Dieses sichere Wissen werde auch nicht relativiert durch die erste Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, welche die Arbeitsunfähigkeit nur zeitabschnittsweise bestätigte.

BAG stimmt grundsätzlich zu – nur nicht im konkreten Fall

Das BAG stimmt dem LAG grundsätzlich dahingehend zu, dass die Befristung eines Arbeitsvertrags nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG nur zulässig ist, wenn der Arbeitnehmer zur (tatsächlichen) Vertretung eines anderen Arbeitnehmers beschäftigt wird. Steht bereits bei Vertragsabschluss fest, dass der Vertreter während der gesamten Dauer des befristeten Arbeitsvertrags die von ihm geschuldete Arbeitsleistung wegen Arbeitsunfähigkeit nicht wird erbringen können und ist dies dem Arbeitgeber bekannt, kann der Sachgrund der Vertretung vorgeschoben und die Befristung unwirksam sein.

Im konkreten Fall sei das LAG jedoch zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Beklagte Kenntnis von der Erkrankung des Klägers während des gesamten Befristungszeitraums gehabt habe. Die erste Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wurde für den Zeitraum vom 23.04.2022 bis voraussichtlich 08.05.2022 ausgestellt. Eine ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Für die Frage des Kenntnisstandes des Arbeitgebers hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit bedeutet dies, dass grundsätzlich allein auf den Inhalt der ihm vor Abschluss des befristeten Vertrages bekannt gewordenen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen abzustellen ist. Aus sonstigen Angaben des Arbeitnehmers muss der Arbeitgeber grundsätzlich nicht den Schluss ziehen, dass eine Arbeitsunfähigkeit „mit Sicherheit“ für die gesamte Dauer der befristeten Einstellung besteht.

Aus der in der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verwendeten Formulierung „voraussichtlich“ kann laut BAG entgegen der Auffassung des LAG nichts Gegenteiliges abgeleitet werden. Nach der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und die Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nr. 7 SGB V (AU RL) soll gem. § 5 Abs. 4 Satz 1 und 2 regelmäßig (nur) eine „voraussichtliche Dauer“ der Arbeitsunfähigkeit bescheinigt werden. Kurzum: Der Arbeitgeber darf in einem solchen Fall hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit im Rahmen der Prognose i.S.d. § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG auf die (voraussichtliche) ärztlich attestierte Arbeitsunfähigkeitsdauer vertrauen.

Fazit

Das BAG hat die Entscheidung des LAG insoweit zutreffend bestätigt, als es im Rahmen einer Sachgrundbefristung wegen Vertretung stets eines Kausalzusammenhangs zwischen dem Ausfall eines Arbeitnehmers und der Einstellung des befristet Beschäftigten bedarf und dieser Kausalzusammenhang nicht erfüllt ist, wenn der Mitarbeiter nach sicherer Kenntnis des Arbeitgebers während der gesamten Vertragsdauer arbeitsunfähig sein wird.

Wie die Aufhebung der Entscheidung des LAG zeigt, ist die Beurteilung der Kenntnis des Arbeitgebers von der Arbeitsunfähigkeit während des gesamten Befristungszeitraums stets eine Einzelfallentscheidung. Dass es dem Arbeitnehmer vor dem LAG gelungen war, eine sichere Kenntnis des Arbeitgebers darzulegen, lag auch an der kurzen Befristungsdauer von lediglich vier Wochen. Zudem hatte das LAG dem Vertrauen in die erste Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht die gleiche Bedeutung beigemessen wie das BAG.

Wird bei einer Erstbescheinigung nicht der gesamte Befristungszeitraum bescheinigt, dürfte es bei einer längeren Befristung von Monaten oder Jahren für Arbeitnehmer schwierig sein, die Kenntnis des Arbeitgebers von der Arbeitsunfähigkeit während des gesamten Befristungszeitraums darzulegen und zu beweisen.

Kategorien: #EFAR-Beiträge Tags: Befristung

  • Samira Jessl

    Rechtsanwältin, Associate Hogan Lovells International LLP (München) #EFAR - Profil
  • Dr. Benjamin Kesisoglugil

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