Das Thema
Das BSG hat mit Urteil vom 23.04.2024 (B 12 BA 9/22) entschieden, dass ein Pilot, der im Rahmen seiner Flugeinsätze für eine Auftraggeberin das von dieser zur Verfügung gestellte Flugzeug verwendet, als abhängig Beschäftigter einzuordnen ist und daher der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterliegt. Dabei misst das Gericht den Umständen, dass
- das Flugzeug als wesentliches Betriebsmittel von der Auftraggeberin zur Verfügung gestellt wird und dass
- dem Piloten bei der Erfüllung seiner Aufgaben keine eigenen unternehmerischen Einflussnahmemöglichkeiten zustanden,
maßgebliches Gewicht für die Eingliederung in die fremde Betriebsorganisation der Auftraggeberin bei. Dass dem Piloten nach dem mit der Auftraggeberin abgeschlossenen Rahmenvertrag das Recht zustand, einzelne Flugaufträge abzulehnen, ließe keinen eindeutigen Schluss auf eine selbstständige Tätigkeit ohne Versicherungspflicht zu. Gleiches gelte für die Regelungen im Rahmenvertrag zu Urlaub, Entgeltfortzahlung und Rechnungsstellung.
Sachverhalt
Die Klägerin und Auftraggeberin produziert und vertreibt Wurstwaren. Zu ihrer Unternehmensgruppe gehört ein Logistik-Unternehmen, welches neben Kraftfahrzeugen auch über ein Flugzeug verfügt, das sie regelmäßig an die Unternehmensgruppe vermietet. Die Klägerin nutzte das Flugzeug unter anderem für die Beförderung von Personal zu ihrem Produktionsstandort. Dazu schloss sie mit dem beigeladenen Piloten am 01.01.2015 einen „Rahmen-Dienstvertrag über freie Mitarbeiter eines Flugzeugführers (Freelance)“, der im Januar 2017 einvernehmlich aufgelöst wurde. Zeitpunkt, Dauer, Art und Umfang eines jeden Personaleinsatzes wurden zwischen den Parteien im Einzelfall individuell ausgehandelt. Der Beigeladene war dazu berechtigt, Angebote auf Durchführung eines Fluges gegenüber der Klägerin abzulehnen. Nach dem Vertragsinhalt unterlag der beigeladene Pilot auch im Übrigen nicht den Weisungen der Klägerin und war weder örtlich noch zeitlich an diese gebunden. Zu seinen Aufgaben gehörten die Vorbereitung und Durchführung von Flügen als verantwortlicher Flugzeugführer sowie deren Nachbereitung und Dokumentation einschließlich besonderer Vorkommnisse. Er war zur persönlichen Durchführung der Aufträge verpflichtet und wurde nach jedem Einsatz mit 300,00 Euro pro Tag vergütet. Neben seiner Tätigkeit für die Klägerin durfte der Beigeladene auch für Dritte tätig sein. Weitere Arbeitsmittel, als das vollgetankt zur Verfügung gestellte Flugzeug, wurden für die Erfüllung seiner Aufgaben nicht benötigt.
Die beklagte Rentenversicherung ordnete den beigeladenen Piloten in einem Statusfeststellungsverfahren als abhängig Beschäftigten ein und stellte mit Bescheid vom 15.02.2017 und mit Widerspruchsbescheid vom 07.06.2017 fest, dass für diesen Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung bestanden habe. Das SG Marburg hat diese Verwaltungsentscheidung durch Gerichtsbescheid aufgehoben und festgestellt, dass der Beigeladene nicht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zu der Klägerin gestanden habe. Gegen diesen Gerichtsbescheid hatte die Beklagte Berufung eingelegt. Auf die Berufung der Beklagten hin hat das Hessische LSG den Gerichtsbescheid aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es war der Auffassung, dass der Beigeladene im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses bei der Klägerin abhängig beschäftigt war und daher für diesen Versicherungspflicht bestünde.
Gegen dieses Urteil des LSG wandte sich die Klägerin im Wege der Revision zum BSG und rügte die Verletzung des § 7 Abs. 1 SGB IV (freie Rechtsformwahl).
Die Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg. Auch das BSG ordnete den Beigeladenen als abhängig Beschäftigten ein, der bei seinen Einsätzen für die Klägerin als Flugzeugführer der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterliege.
Abhängige Beschäftigung – Kriterien der Rechtsprechung
Der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterliegen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind (vgl. § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI). Beschäftigung ist die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV).
Nach ständiger Rechtsprechung des BSG setzt eine abhängige Beschäftigung voraus, dass eine persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber besteht. Diese liege vor bei einer Eingliederung in einen fremden Betrieb, wenn der Beschäftigte hinsichtlich Zeit, Ort und Art der Ausführung seiner Tätigkeit den Weisungen des Auftraggebers unterliegt. Demgegenüber sei eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch
- das eigene Unternehmerrisiko,
- das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte,
- die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und
- die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit
gekennzeichnet. Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richte sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BSG, Urt. v. 20.07.2023 – B 12 BA 1/23 R, Rn. 13; v. 28.06.2022 – B 12 R 3/20 R, Rn. 11). Die Abgrenzung sei dabei nicht abstrakt für bestimmte Berufs- und Tätigkeitsbilder vorzunehmen (vgl. BSG v. 28.06.2022, Rn. 13). Ein und derselbe Beruf könne daher sowohl als abhängige als auch als selbstständige Tätigkeit ausgeübt werden.
Ausgangspunkt sei stets der Inhalt der zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen. Dabei sei jedoch zu beachten, dass eine wertende Einordnung der Tätigkeit als abhängiges Beschäftigungsverhältnis oder als selbstständige Beschäftigung mit Wirkung für die Sozialversicherung nicht von den Parteien getroffen werden kann. Diese können nicht einfach vereinbaren, es liege eine selbstständige Tätigkeit vor, und können auf diese Weise nicht einer Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung entgegenwirken. Denn der besondere Schutzzweck der Sozialversicherung schließe es aus, dass über die rechtliche Einordnung einer Person als selbstständig oder abhängig beschäftigt allein die Vertragschließenden entscheiden. Über die zwingenden Normen des Sozialversicherungsrechts könne nicht im Wege der Privatautonomie verfügt werden. Es komme vielmehr entscheidend auf die tatsächliche Ausgestaltung und Durchführung des Vertragsverhältnisses an (vgl. BSG, Urt. v. 19.10.2021 – B 12 10/20 R, Rn. 22). Lediglich dann, wenn diese zu keinem eindeutigen Ergebnis führen, könne dem Willen der Vertragsparteien eine indizielle Bedeutung zukommen (vgl. BSG v. 28.06.2022, Rn. 12; Urt. v. 28.05.2008 – B 12 KR 13/07 R, Rn. 16).
Abhängiges Beschäftigungsverhältnis im vorliegenden Fall
Bei Anwendung dieser Kriterien auf den vorliegenden Sachverhalt kam das BSG zu dem Ergebnis, dass zwischen der klagenden Auftraggeberin und dem beigeladenen Piloten ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis bestehe.
Wille der Vertragsparteien und Bezeichnung des Vertrags nicht maßgeblich
Dabei komme dem Willen der Vertragsparteien und der Bezeichnung des Vertrages keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Auch Vertragsklauseln, wie der Ausschluss von Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, die darauf gerichtet sind, an den Arbeitnehmer- oder Beschäftigtenstatus ggf. anknüpfende arbeits-, steuer- und sozialrechtliche Regelungen abzubedingen oder zu vermeiden, komme keine eigenständige Bedeutung zu (vgl. BSG Urt. v. 18.11.2015 – B 12 KR 16/13 R, Rn. 27).
Abstellen auf Einzelaufträge
Bei Vertragsgestaltungen, in denen ein Rahmenvertrag geschlossen wurde, auf dessen Grundlage sodann Einzelaufträge ausgeführt werden und durch den kein Dauerschuldverhältnis mit Leistungen auf Abruf begründet wird, sei für die Frage der Versicherungspflicht auf die Verhältnisse bei der Ausführung der jeweiligen Einzelaufträge abzustellen. Auch im vorliegenden Fall, in dem der Beigeladene mit jedem Einzelauftrag gesondert beauftragt und jeder erbrachte Einzelauftrag gesondert abgerechnet und vergütet wird, komme es daher auf die Verhältnisse bei der Erbringung der Einzelaufträge an.
Eingliederung in eine fremde Betriebsorganisation
Die Eingliederung des Beigeladenen in die Betriebsorganisation der Klägerin und die Zurverfügungstellung des Flugzeugs als wesentliches Betriebsmittel ohne eigene unternehmerische Einflussmöglichkeiten des Beigeladenen führe nach Ansicht des BSG zu der Annahme einer abhängigen Beschäftigung mit der Folge der Versicherungspflicht.
Dieser Einordnung stehe auch nicht der Umstand entgegen, dass der Klägerin kein beschäftigungstypisches Weisungsrecht nach § 106 GewO gegenüber dem Beigeladenen zusteht. Nach sozialversicherungsrechtlichen Maßstäben könne sich die eine abhängige Beschäftigung kennzeichnende persönliche Abhängigkeit auch ohne typische Weisungsgebundenheit allein aus der Eingliederung in den Betrieb ergeben. Die in § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV genannten Merkmale („Tätigkeit nach Weisungen“ und „Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers“) seien schon nach dem Wortlaut der Vorschrift lediglich Anhaltspunkte für eine persönliche Abhängigkeit und keine abschließenden Bewertungskriterien. Weisungsgebundenheit und Eingliederung in den Betrieb stünden weder in einem Rangverhältnis zueinander noch müssten sie stets kumulativ vorliegen. Eine Eingliederung gehe daher nicht zwingend mit einem umfassenden Weisungsrecht des Auftraggebers einher (vgl. BSG, Urt. v. 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R, Rn. 29 f.).
Diese Maßstäbe würden auch für die hier vorliegende Tätigkeit des Beigeladenen als Flugzeugführer gelten, die mit einer besonderen Eigenverantwortung und fachlichen Selbstständigkeit bei der Erledigung seiner Aufgaben verbunden sind. Allein der Umstand, dass der Beigeladene die gesetzlichen und behördlichen Voraussetzungen für die Tätigkeit als Flugzeugführer und für den Betrieb des überlassenen Fluggeräts selbstverantwortlich einzuhalten hatte, begründe noch nicht den Schluss auf eine selbstständige Tätigkeit. Denn bei sog. Diensten höherer Art sei das Weisungsrecht des Arbeitgebers bzw. Auftraggebers häufig stark eingeschränkt. Dennoch könne die Dienstleistung auch in solchen Fällen fremdbestimmt sein, wenn sie ihr Gepräge von der Ordnung des Betriebes erhält, in deren Dienst die Arbeit verrichtet wird (vgl. BSG v. 04.06.2019, Rn. 29).
Für die Beurteilung der Frage der Eingliederung seien auch die in Rahmenvereinbarungen geregelten Bedingungen zu berücksichtigen (vgl. BSG v. 19.10.2021, Rn. 30; Urt. v. 27.04.2021 – B 12 R 16/19 R, Rn. 15; v. 28.06.2022, Rn. 18). Daher seien im vorliegenden Fall auch die vertraglichen Rahmenbedingungen, die zu einer geringeren Autonomie des Beigeladenen führen, von Bedeutung für die Beurteilung der persönlichen Abhängigkeit. Vorliegend ließen insbesondere die Aufgabenbeschreibung und die Durchführungspflicht dem Beigeladenen keinen eigenen Spielraum zur unternehmerischen Gestaltung seiner Tätigkeit. Die Eckdaten der einzelnen Flugaufträge wurden letztlich von der Klägerin durch Mitteilung der „durchzuführenden Aufträge“ und „Überlassung des entsprechenden Dienstplanes“ vorgegeben, wodurch die Einzelaufträge für beide Parteien bereits verbindlich wurden. Die Klägerin hat die einzelnen Einsätze des Beigeladenen auch hinsichtlich Einsatzflughafen, Ziel und zu transportierende Güter bzw. Personen entsprechend ihrem konkreten Bedarf bestimmt und der Beigeladene war daran gebunden. Er hatte sich mithin an den von ihm zur Verfügung gestellten Tagen in fremdbestimmte Betriebsabläufe einzufügen. Zudem hatte der Beigeladene wegen der vereinbarten höchstpersönlichen Leistungspflicht seine Arbeitskraft bei der Flugleistung und den vertraglich bestimmten Vor- und Nacharbeiten zur Verfügung zu stellen und nicht nur den Transport an einen bestimmten Ort durch eine ihm überlassene Vorgehensweise zu bewirken. Ihm verblieb mithin kein Freiraum, den Umfang seiner Arbeitskraft bei der Ausführung einzelner Aufträge selbst zu bestimmen, sondern dieser war vorgegeben. Auch dies stelle ein typisches Merkmal eines Arbeitsverhältnisses dar.
Nutzung der Betriebsmittel
Von wesentlicher Bedeutung sei ferner, dass der Beigeladene für die Erbringung seiner Leistung ausschließlich Betriebsmittel der Klägerin genutzt hat. Denn ihm wurde das für seine Arbeitsleistung unentbehrliche Flugzeug ohne Nutzungsentgelt oder Auswahlmöglichkeit von der Klägerin bereitgestellt.
Vergütung nach Tagessatz
Die Vergütung des Beigeladenen erfolgte auf Grundlage eines vereinbarten Tagessatzes in Höhe von 300,00 Euro. Der Beigeladene hatte daher keine Möglichkeit, seinen Umsatz aus den einzelnen Flugaufträgen durch eigene Gestaltung oder Vorhaltung von Betriebsmitteln oder Mitarbeitern zu beeinflussen.
Kein gewichtiges Unternehmerrisiko
Der Beigeladene trug bei seiner Tätigkeit zudem kein gewichtiges Unternehmerrisiko. Insoweit sei maßgebend, ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt werden, der Erfolg des Einsatzes der sächlichen oder persönlichen Mittel also ungewiss ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG, Urt. v. 07.06.2019 – B 12 KR 8/18 R, Rn. 27; v. 28.09.2011 – B 12 R 17/09 R, Rn. 25). Der Beigeladene hat seine Arbeitskraft angesichts der festen Vergütung vorliegend nicht mit dem Risiko ungewissen Erfolgs eingesetzt. Aus dem allgemeinen Risiko, außerhalb der Erledigung einzelner Aufträge zeitweise die eigene Arbeitskraft gegebenenfalls nicht verwerten zu können, folge kein Unternehmerrisiko bezüglich der einzelnen Einsätze (vgl. BSG v. 18.11.2015, Rn. 36).
Fazit und Praxishinweis
Die vorliegende Entscheidung verdeutlicht, dass der Abschluss eines Rahmenvertrags, auf dessen Grundlage sodann Einzelaufträge vereinbart werden und der die Möglichkeit des Auftragnehmers enthält, einzelne Einzelaufträge abzulehnen, nicht zwingend die Einordnung als selbstständige Tätigkeit zur Folge hat. Zentral für die Einordnung als versicherungspflichtige, abhängige Beschäftigung sei vielmehr die Eingliederung des Piloten in die fremde Betriebsorganisation der Auftraggeberin, die sich im Wesentlichen daraus ergibt, dass das Flugzeug als wesentliches Betriebsmittel von der Auftraggeberin zur Verfügung gestellt wird und dass dem Piloten bei der Erfüllung seiner Aufgaben keine eigenen unternehmerischen Einflussnahmemöglichkeiten zustanden.
In seiner Entscheidung aus dem Jahr 2008 hatte das BSG – anders als in der vorliegenden Entscheidung – die von den Parteien vertraglich vereinbarten Regelungen zur Entgeltfortzahlung, zum Urlaub und zur Rechnungsstellung sowie die fehlende ständige Dienstbereitschaft des Auftragnehmers als Indizien für eine selbstständige Tätigkeit angesehen. Diesen Umständen misst das Gericht in der vorliegenden Entscheidung keine entscheidende Bedeutung mehr bei und ordnet den beigeladenen Flugzeugführer auch vor dem Hintergrund der Regelungen des Rahmenvertrages und dass der Beilgeladene dazu berechtigt war, die Tage, an denen er Aufträge für die Klägerin ausführen möchte, selbst vorzugeben und einzelne Aufträge abzulehnen, als abhängig Beschäftigten ein. In der Folge bejaht es eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung.