Das Thema
Die mit Spannung erwartete Schlichtungsempfehlung der Kommission um Hans-Henning Lühr und Georg Milbradt im Tarifkonflikt für den öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen liegt vor.
Danach sollen die Beschäftigten zunächst für die ab dem 1.1.2023 beginnende Laufzeit eine steuer- und sozialversicherungsfreie Inflationsausgleichsprämie enthalten, die in Raten bis zum Februar 2024 ausgezahlt wird. Im März 2024 sollen die Gehälter um einen Sockelbetrag von EUR 200 und (offenbar die sich so ergebende Summe) sodann um weitere 5,5%, mindestens aber EUR 340, erhöht werden. Der Tarifvertrag soll eine Laufzeit von 24 Monaten haben, also am 31.12.2024 enden.
Mit dieser Empfehlung ist der Tarifstreit aber noch nicht beendet. Sie ist nur die Grundlage für die Fortsetzung der Tarifverhandlungen, die am 22. April in Potsdam wieder aufgenommen werden sollen. Wenn dort keine Einigung erzielt wird, könnten die Gewerkschaften ver.di und Deutscher Beamtenbund eine Urabstimmung über unbefristete Streiks einleiten.
Ungewöhnliches Zustandekommen der Gehaltssteigerung vorgesehen
Die von Mitgliedern der Schlichtungskommission als teurer, aber fairer Interessenausgleich bezeichnete Empfehlung ist sicherlich interessant, ungewöhnlich und innovativ. Der Tarifexperte stolpert aber schon bei einer ersten Analyse auf das seltsam anmutende Zusammentreffen der Steigerung der Gehälter im März 2024 sowohl um einen Sockelbetrag als auch um eine prozentuale Erhöhung. Was hat es damit auf sich?
Zumindest drängt sich der Eindruck auf, dass die Schlichtungskommission mit dem Sockelbetrag grundsätzlichen Bedenken von ver.di gegen eine erst später einsetzende prozentuale Erhöhung der Gehälter entgegenwirken möchte. Gewerkschaften mögen keine Einmalzahlungen, da sie die künftige Gehaltsentwicklung nicht weiter beeinflussen. Später einsetzende prozentuale Steigerungen setzen also auf dem ursprünglichen Gehaltsniveau auf und berücksichtigen die Einmalzahlung nicht. Unter Einbeziehung des Sockels sieht die Betrachtung anders aus.
Sockelbeitrag nach steuerfreier Inflationsausgleichsprämie: Vorsicht!
Werden den Gehältern zunächst pauschal EUR 200 zugeschlagen und dann auf dieser Grundlage die prozentualen Steigerungen ermittelt, verstetigt sich die Einmalzahlung zu einer dauerhaften Gehaltserhöhung. Es ist sicherlich kein Zufall, dass die Inflationsausgleichsprämie unter Berücksichtigung von 14 oder 15 Monaten bis zur Gehaltssteigerung im Monatsdurchschnitt rund oder exakt die Höhe des Sockels von EUR 200 ausmacht!
Was auf den ersten Blick als geschickter Schachzug der Schlichtungskommission erscheint, um die Interessen beider Seiten zu berücksichtigen und sogar zu optimieren, könnte sich als Rohrkreppierer erweisen: Die im Rahmen des dritten Entlastungspakets eingeführte Inflationsausgleichsprämie ist nur dann steuer- und sozialversicherungsfrei, wenn sie zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn gewährt wird. Zweck der Privilegierung war und ist es, einen befristeten Ausgleich für die starke Teuerung der Verbraucherpreise zu ermöglichen.
In dieser Situation sollen – ohne Belastung durch Steuer- und Sozialversicherungsabgaben – Leistungen gewährt werden können, die die Lohn-Preis-Spirale nicht weiter antreiben und damit nicht zu einem weiteren Anheizen der Inflation führen. Nimmt die Inflationsausgleichsprämie hingegen eine bereits vereinbarte künftige Erhöhung des Arbeitslohns vorweg, entfällt die Privilegierung.
Inflationsausgleichsprämie wird zur dauerhaften Gehaltssteigerung – mit Folgen
Vorbehaltlich der vertraglichen Umsetzung und einer genaueren Prüfung „riecht“ es zumindest danach, als sei genau dies hier der Fall. Die Inflationsausgleichsprämie wird von Beginn an dadurch verstetigt, dass man sie nach Auszahlung der letzten Rate durch den Sockelbetrag von monatlich EUR 200 fortführt.
Bei einer Gesamtbetrachtung beider Komponenten ist die Inflationsausgleichsprämie von Beginn an eine auf Dauer vereinbarte Gehaltssteigerung.
Steuer und sozialversicherungsfreie Gehaltserhöhungen für alle?!
Die Tarifvertragsparteien sollten sich bei den nun anstehenden weiteren Verhandlungen dieser Problematik bewusst sein. Man stelle sich einmal vor, die Schlichtungsempfehlung würde so tarifvertraglich vereinbart und die Finanzbehörden und Sozialversicherungsträger erkennen die Steuer- und Sozialversicherungsfreiheit für die rund 2,5 Mio. Beschäftigten nicht an.
Schwierige Haftungsfragen würden voraussichtlich – schon aus politischen Gründen – dahingehend geklärt, dass der Bund die Zeche zahlt. Oder mag es helfen, dass der Bund ja nicht nur Tarifvertragspartei ist, sondern auch Gesetzgeber?
Schon möglich, aber jegliche nachträglichen gesetzlichen Reparaturversuche müssen auch für alle anderen Tarifvertragsparteien gelten. Steuer und sozialversicherungsfreie Gehaltserhöhungen für alle! Allein die entstehenden Steuerausfälle würden ein neues Milliardenprogramm erforderlich machen… Aber vielleicht kommt es darauf dann ja auch nicht mehr an.