Das Thema
Das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) dient in erster Linie dem Schutz von Hinweisgebern vor Repressalien und damit der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1937 (HinSch-RL). Es hat lange auf sich warten lassen und ist zum 02.07.2023 in Kraft getreten. Gleichwohl ist der ganz große Wurf ausgeblieben. Vieles bleibt vage oder ungeregelt – was umso verwunderlicher ist, als das Thema Whistleblowing beileibe kein „Neuland“ mehr ist. Das ändert aber nichts daran, dass das Gesetz gilt und für Unternehmen Umsetzungsbedarf besteht. Hier setzt das „Praxishandbuch Hinweisgeberschutzgesetz“ an.
Sämtliche Bereiche des HinSchG werden auf den über 330 Seiten des Praxishandbuchs beleuchtet. Auch auf Themen, die das HinSchG – warum auch immer – nicht behandelt, gehen die Autoren umfassend ein. Zu nennen sind hier bspw. die Beteiligungsrechte des Betriebsrats. Das Auslassen jedweder Erwähnung des Betriebsrats (oder auch des Personalrats) lässt mitnichten den Schluss zu, Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte bestünden nicht. Ganze 31 Seiten sind den Beteiligungsrechten von Betriebs- und Personalrat gewidmet. Aber auch der Datenschutz und vor allem die Bezüge zu weiteren Gesetzen, insbesondere dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) und dem Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) werden hergestellt. Auch Unternehmen, die bereits ein Whistleblowing-System implementiert haben, müssen dieses daher nun den Vorgaben des HinSchG anpassen.
Anwendungsbereich
Die Autoren stellen zunächst den persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich des HinSchG dar. Dieser ist Grundlage für den Umfang des Schutzes des Hinweisgebers. In persönlicher Hinsicht werden gemäß § 1 Abs. 1 HinSchG Hinweisgeber geschützt, die im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit oder im Vorfeld einer beruflichen Tätigkeit Informationen über Verstöße erlangt haben und diese an die gesetzlich vorgesehenen Meldestellen melden oder offenlegen. Es bedarf also eines beruflichen Kontexts. Der Schutzbereich wird in § 34 HinSchG erweitert um Unterstützer des Hinweisgebers und grundsätzlich auch um Dritte, die mit dem Hinweisgeber in Verbindung stehen und in einem beruflichen Zusammenhang Repressalien erlitten haben. Schutz genießen zudem juristische Personen, rechtsfähige Personengesellschaften und sonstige rechtsfähige Personenvereinigungen, die mit der hinweisgebenden Person infolge einer Beteiligung rechtlich verbunden sind oder für die die hinweisgebende Person tätig ist oder mit denen sie in einem beruflichen Kontext anderweitig in Verbindung steht. Das Gesetz schützt zudem (natürliche und juristische) Personen, die Gegenstand einer Meldung oder Offenlegung sind, sowie sonstige Personen, die von einer Meldung oder Offenlegung betroffen sind.
Vom sachlichen Anwendungsbereich gemäß § 2 HinSchG erfasst sind – kurz gesagt – strafbewehrte Verstöße, bußgeldbewehrte Verstöße, soweit die verletzte Vorschrift dem Schutz von Leben, Leib oder Gesundheit oder dem Schutz der Rechte von Beschäftigten oder ihrer Vertretungsorgane dient, und Verstöße gegen eine umfangreiche Liste unionsrechtlicher Vorgaben. Trotz dieses Umfangs sind mitnichten alle Gesetze erfasst. Die Autoren empfehlen richtigerweise, bei der Ausgestaltung des Hinweisgebersystems im Unternehmen, gleichwohl weitere mögliche Rechtsverstöße aufzunehmen und ihnen nachzugehen.
Interne und externe Meldestellen
Der Gesetzgeber hat sich nicht allein auf einen Schutz von Hinweisgebern beschränkt. Vielmehr ist primär das Hinweisgeberverfahren geregelt. Den Schwerpunkt legen die Autoren daher zweckmäßigerweise auf die vorgesehene Einrichtung und Ausgestaltung der Meldestellen und deren Aufgaben – beginnend mit den internen Meldestellen. Der Gesetzgeber unterscheidet zwischen internen Meldestellen und externen Meldestellen. So sind Unternehmen mit in der Regel mindestens 50 Beschäftigten verpflichtet, eine interne Meldestelle einzurichten. Hinweisgeber sollen sich – so die gesetzgeberische Intention – primär an diese interne Meldestelle wenden, um Verstöße zu melden. Das Unternehmen soll hierfür Anreize schaffen. Die Autoren plädieren insgesamt ganz klar für ein umfassendes Hinweisgebersystem mit niederschwelligen, einfachen Zugangsmöglichkeiten.
Ein paar wichtige Aspekte bei der Ausgestaltung von internen Meldestellen sollen hier herausgegriffen werden:
Die interne Meldestelle kann durch die Beauftragung im Unternehmen beschäftigter Personen eingerichtet werden, aber auch ein Dritter kann die Aufgaben der internen Meldestelle übernehmen. Hier hat sich der Gesetzgeber unnötigerweise zu einer begrifflichen Ungenauigkeit entschlossen. Diese ausgegliederte interne Meldestelle wird nicht etwa zur externen Meldestelle. Sie bleibt interne Meldestelle. Das hat in der Beratungspraxis bereits zu Verwirrung gesorgt. Hier empfiehlt es sich, bspw. in einer Betriebsvereinbarung zur internen Meldestelle, genau zu beschreiben, was die interne Meldestelle genau ist. Ausführlich widmen sich die Autoren der wichtigen Frage, inwieweit eine konzernweite interne Meldestelle zulässig ist (sog. Konzernlösung). Mehrere private Beschäftigungsgeber mit in der Regel 50 bis 249 Beschäftigten können gemeinsame Meldestellen z.B. auf Konzernebene einrichten. Darüber hinaus ist diese Möglichkeit rechtlich nicht gegeben.
Der Kreis derjenigen, denen der Zugang zur internen Meldestelle offensteht, sollte nach Empfehlung der Autoren auch Dritten (bspw. Geschäftspartner wie Lieferanten, Kunden, Subunternehmer, Dienstleister bzw. deren jeweilige Mitarbeiter) eröffnet werden. In § 16 Abs. 1 Satz 3 HinSchG ist eine solche Option vorgesehen. Fällt das Unternehmen unter das LkSG und die Pflicht, ein Beschwerdeverfahren nach dem dortigen § 8 einzurichten, wäre das ein Baustein einer Kombination beider Verfahren. Aber auch kleinere Unternehmen sollten über diese Erweiterung der Zugangsberechtigten im Interesse einer umfassenden Informationsgewinnung nachdenken, so die Autoren.
Zutreffend weisen die Autoren darauf hin, dass für die Ermittlung der regelmäßigen Beschäftigtenzahl eines Unternehmens keine Konzernbetrachtung erfolgt. Eine Zurechnung von Beschäftigten von konzernangehörigen Unternehmen zur Konzernobergesellschaft – wie man sie bspw. aus der Unternehmensmitbestimmung, aber auch aus dem LkSG kennt – sieht das HinSchG nicht vor.
Eine grundlegende Fragestellung bei der Ausgestaltung der internen Meldestelle ist, ob anonyme Meldungen zugelassen werden sollen. Das Gesetz spricht davon, dass die interne Meldestelle auch anonym eingehende Meldungen bearbeiten „sollte“. Hier empfehlen die Autoren klar die Berücksichtigung anonymer Meldungen. Zutreffend weisen sie auf die gesellschaftsrechtlich etablierten Legalitäts- bzw. Legalitätskontrollpflicht hin, wozu letztlich auch gehört, substantiierten Hinweisen auf rechtliches bzw. compliancerelevantes (Fehl-)Verhalten nachzugehen. Ob der Hinweis anonym erfolgt, ist dafür nicht maßgeblich.
Auch bei den Folgemaßnahmen gemäß § 18 HinSchG kommen die Legalitäts- bzw. Legalitätskontrollpflicht wieder zum Tragen. Zwar ist das Ergreifen von Folgemaßnahmen nach dem HinSchG optional. Aus den genannten gesellschaftsrechtlichen Pflichten folgt aber in der Regel die Pflicht zur Aufklärung sich ergebender Verdachtsmomente, zum (nachhaltigen) Abstellen eines ggf. festgestellten rechtlichen bzw. compliance-relevanten (Fehl-)Verhaltens sowie dessen angemessene Sanktionierung, worauf die Autoren zutreffend hinweisen.
Das Praxishandbuch ist aber nicht auf privatrechtlich organisierte Akteure beschränkt. Die Autoren beschäftigen ich auch mit den externen Meldestellen und widmen der Bedeutung des HinSchG für die öffentliche Hand einen eigenen Abschnitt.
Schutz des Hinweisgebers
Natürlich gehen die Autoren auch auf den Kern des Gesetzes, nämlich den Schutz der Hinweisgeber, vertieft ein. Dieser Schutz, insb. vor Kündigungen, war bislang richterrechtlich ausgestaltet und konkretisiert worden und findet sich als wesentlicher Bestandteil in Compliance-Management-Systemen.
Der gutgläubige Hinweisgeber soll vor Repressalien geschützt sein. Hierfür sieht das HinSchG diverse Regelungen vor, die die Autoren näher erläutern. Wichtig ist, dass der Schutz durch das Gesetz nur soweit reicht wie sein Anwendungsbereich. Können also an die interne Meldestelle auch Verstöße gegen Regelungen gemeldet werden, die im Katalog von § 2 HinSchG nicht aufgeführt sind, so finden die Schutzvorschriften grundsätzlich keine Anwendung. Das bedeutet aber nicht, dass ein Schutz nicht bestünde. Zum einen besteht der gesetzliche Schutz, wenn der Hinweisgeber sich Gedanken über die Anwendbarkeit des HinSchG gemacht hat und irrtümlich, aber gutgläubig davon ausgegangen ist, dass der betreffende Normverstoß einer der Kategorien des § 2 HinSchG unterfällt. Zum andern bleibt das von der Rechtsprechung herausgearbeitete Schutzniveau für Hinweisgeber unberührt.
Für die praktische Handhabung des Kriteriums der Gutgläubigkeit empfehlen die Autoren zunächst grundsätzlich von der Gutgläubigkeit eines Hinweisgebers auszugehen und hiervon erst dann abzurücken, wenn sich aus dem Inhalt der Meldung oder aus anderen Informationsquellen konkrete Anhaltspunkte für eine Bösgläubigkeit ergeben.
Zusammenfassende Bewertung
Das Praxishandbuch zeichnet sich durch eine verständliche Sprache und zahlreiche nähere Erläuterungen aus. Viele Abschnitt beschließt – nach einer verständlichen Darstellung der Vorgaben des HinSchG – ein ausführlicher Praxistipp. Darin finden sich wertvolle Hinweise zur ganz konkreten Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben in der Praxis. Das ist extrem hilfreich. So kann der bereits mit Vorwissen ausgestattete Leser, dem es vordringlich um die Frage geht, welche Ausgestaltungsoptionen empfehlenswert sind, schnell fündig werden. Dabei spielt auch der konsequente Blick über den „Tellerrand“ eine Rolle. Was das HinSchG möglicherweise als „Kann“-Regelung ausgestaltet hat, mag sich nach dem LkSG oder den gesellschaftsrechtlichen Pflichten von Vorstand und Geschäftsführung als „Muss“-Vorschrift darstellen. Ohne diese stetigen Querverweise liefe so mancher Anwender in gefährliche Fallen. Weshalb der Gesetzgeber dieser erst legt, ist eine andere Frage. Gerade dieser Weitblick sorgt dafür, dass auch und gerade Rechtsanwender, die sich nicht schwerpunktmäßig durch die akademische Brille mit dem HinSchG beschäftigen, auf ihre Kosten kommen. Der Schwerpunkt liegt also – und das ist sehr zu begrüßen – auf dem praktischen Umgang mit dem Gesetz. Dieser Ansatz darf als gänzlich gelungen bezeichnet werden. Daher ist das Praxishandbuch HinSchG uneingeschränkt zu empfehlen.