Das Thema
Arbeitsrechtler können mit dem Thema „Whistleblowing“ in vielfältiger Weise konfrontiert sein. Zum einen, wenn sie prüfen sollen, ob arbeitsrechtliche Sanktionsmaßnahmen in Betracht kommen, weil ein Arbeitnehmer Unternehmensinterna an Dritte weitergeleitet hat. Zum anderen aber auch, wenn sie selbst feststellen, dass erhebliche Gesetzesverstöße im Unternehmen stattfinden, und überlegen, ob es diesbezüglich Meldepflichten für sie gibt.
Es kann im Einzelfall schwierig zu beurteilen sein, ob Gesetzesverstöße vorliegen. Erinnert sei hier beispielhaft an die rechtliche Diskussion, ob die sogenannten Cum-Ex-Geschäfte legale Steuervermeidungsinstrumente oder Steuerstraftaten sind.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte thematisierte in seiner Entscheidung Heinisch vs. Germany (Individualbeschwerde 28274/08, Urt. v. 21.07.2011) die damals fehlenden gesetzlichen Regelungen zum Whistleblowing und gab im Einzelfall einer Altenpflegerin, die Straftaten ihres Arbeitgebers angezeigt hatte und der daraufhin gekündigt wurde, der Meinungsfreiheit Vorrang.
Als ein Arbeitnehmer ein angebliches Fehlverhalten seines Arbeitgebers, das sich schließlich als rechtmäßig erwies, anzeigte, nahm das LAG Köln hingegen einen wichtigen Kündigungsgrund an (LAG Köln, Urt. v. 05.07.2012 – 6 Sa 71/12).
Gesetzliche Regelungen zum Whistleblowing stehen erst am Anfang. Rechtsprechung gibt es nur sehr vereinzelt. Daher ist eine rechtliche Einschätzung in weiten Teilen schwierig. Hier wird die bisherige wesentliche Entwicklung mit vielen Hinweisen zum Gesetzgebungsverfahren sowie zu Stellungnahmen von Verbänden, Organisationen, Unternehmen und Wissenschaftlern zusammengefasst.
Legaldefinitionen
„Whistleblower/Hinweisgeber“ sind: Personen […], die in Art. 2 Abs. 1 EU-Richtlinie 2019/1937 aufgeführte Verstöße gegen das Unionsrecht melden.
Geschäftsgeheimnisse im Sinne von § 2 Abs. 1 GeschGehG dürfen dann sanktionslos offengelegt werden, wenn ein berechtigtes Interesse im Sinne von § 5 GeschGehG vorliegt.
Chronologie (neueste Entwicklung zuerst)
14.12.2023:
EFAR-Autoren Jan-Patrick Vogel und Dr. Martin Knaup: Aktuelle Achtungspunkte bei der Umsetzung des Hinweisgeberschutzgesetzes
02.06.2023:
Das “Gesetz für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden” (Hinweisgeberschutzgesetz – HinSchG) wird im BGBl. verkündet und tritt am 02.07.2023 in Kraft.
12.05.2023:
EFAR-Redaktion: Bundestag und Bundesrat stimmen für Kompromiss zum Hinweisgeberschutz
10.02.2023:
Der Bundestagsbeschluss zum Schutz von so genannten Whistleblowern hat nicht die erforderliche Zustimmung im Bundesrat erhalten. Der Gesetzentwurf kann daher nicht in Kraft treten. Bundesregierung und Bundestag haben nun die Möglichkeit, den Vermittlungsausschuss anzurufen, um mit den Ländern über einen Kompromiss zu beraten.
16.12.2022:
Der Bundestag beschließt in dritter Lesung den Gesetzentwurf in einer vom Rechtsausschuss geänderten Fassung für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (20/3442; 20/3709; 20/4001 Nr. 1.2).
14.10.2022:
EFAR-Autor Sören Seidel: Hinweisgebersystem: Umfang und Grenzen der Mitbestimmung des Betriebsrats beim Whistleblowing
19.09.2022:
Offizieller Gesetzentwurf der Bundesregierung: “Entwurf eines Gesetzes für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden” (BT-Drs. 20/3442).
12.08.2022:
EFAR-Autoren Dr. Anne Dziuba, Maike Pflästerer und Dr. Michael Matthiessen: Hinweisgeberschutzgesetz: Was ist zu tun?
28.07.2022:
EFAR-Redaktion: Hinweisgeberschutzgesetz vom Kabinett beschlossen
18.05.2022:
EFAR-Redaktion: Hinweisgeberschutzgesetz: DAV fordert mehr Rechtssicherheit
13.04.2022:
Das Bundesjustizministerium hat den Referentenentwurf zum Hinweisgeberschutzgesetz – HinSchG nun veröffentlicht.
05.04.2022:
Bundesjustizminister Buschmann hat einen Referentenentwurf zum Hinweisgeberschutzgesetz – HinSchG in die Ressortabstimmung gegeben.
21.03.2022:
EFAR-Autor Dr. Jörn Claßen: Reputationsschutz bei Whistleblowing durch Arbeitnehmer
27.01.2022:
Die EU-Kommission hat ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet, weil die Richtlinie 2019/1937 nicht fristgemäß umgesetzt wurde.
18.12.2021:
Die Frist zur Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie 2019/1937 ist – mit Ausnahme der Regelungen für Unternehmen mit weniger als 250 Arbeitnehmern – abgelaufen (Art. 26 EU-Richtlinie 2019/1937), ohne dass diese in Deutschland umgesetzt wurde. Damit dürfte die Richtlinie in weiten Teilen des öffentlich-rechtlichen Sektors direkt anwendbar sein. Inwieweit das auch für den privaten Sektor über eine EU-rechtskonforme Auslegung im Rahmen gerichtlicher Auseinandersetzungen gilt, bleibt abzuwarten.
April 2021:
Der seitens der Justizministerin im Januar 2021 vorgelegte Gesetzesentwurf zur Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie 2019/1937 ist gescheitert.
Februar 2021:
Referentenentwurf des BMJV zum HinSchG (via whistleblower-net.de)
16.02.2021:
Urteil des EGMR vom 16.02.2021 – 23922/19 (GAWLIK v. LIECHTENSTEIN)
27.01.2021:
EFAR-Redaktion: Ministerin Lambrecht will Whistleblower umfassend schützen und legt Entwurf für Kabinettsbefassung vor
03.12.2020:
Eurocadres „Best-Practice-Leitfaden zum Thema Whistleblowing für Gewerkschaften“
05.11.2020:
EFAR-Autor Thomas Vogtmeier: Unternehmensinterne Untersuchungen nach dem VerSanG-E und der Arbeitnehmerdatenschutz
20.10.2020:
EFAR-Autorin Annabel Lehnen: Whistleblowing und Hinweisgebersysteme im Fokus: Das kommt auf Sie zu
03.09.2020:
Stellungnahmen zum VerSanG-E an das BMJV
23.10.2019:
Das Europäische Parlament und der Europäische Rat erlassen die Richtlinie 2019/1937/EU zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden.
Welche Pflichten sich daraus für Unternehmen ergeben, erläutern
EFAR-Autorin Annabel Lehnen: Whistleblowing und Hinweisgebersysteme im Fokus: Das kommt auf Sie zu
und
EFAR-Autor Dr. Werner Thienemann: Hinweisgebersysteme und Whistleblowing: Die Folgen der neuen EU-Richtlinie
23.07.2019:
G20 High-Level Principles for the Effective Protection of Whistleblowers
25.03.2019:
EFAR-Autor Paul Schreiner zum Verfahrensstand der Umsetzung der EU-Richtlinie 2016/943: Geschäftsgeheimnisgesetz auf der Zielgeraden: Änderungen und arbeitsrechtlicher Handlungsbedarf
14.06.2018:
Stellungnahmen zum GeschGehG-Entwurf an das BMJ
08.06.2016:
Das Europäische Parlament und der Europäische Rat erlassen die Richtlinie 2016/943 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung
29.04.2010:
Resolution des Europarates zum Schutz von Informanten (1729/10 – Protection for “whistle-blowers”)