Das Thema
Im vergangenen Jahr stellte das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz („BMJV“) einen Referentenentwurf zu einem neuen Verbandssanktionengesetz („VerSanG-E“) vor, der zunächst inoffiziell unter den Fachleuten kursierte. Im April 2020 veröffentlichte das BMJV sodann den offiziellen Referentenentwurf, dem bereits im Juni 2020 der Regierungsentwurf („RegE“) folgte. Zuletzt hat sich der Bundesrat am 18. September 2020 mit dem RegE befasst (BR-Drs. 440/20; vgl. nunmehr auch BT-Drs. 19/23568 – derzeit noch als Vorabfassung).
Da das Gesetzesvorhaben deutlich an Fahrt gewonnen hat, lohnt sich ein Blick auf das vorgeschlagene Regelwerk. Auch wenn das VerSanG-E eine ganze Reihe diskussionswürdiger Problemfelder aufwirft, befasst sich dieser Beitrag vorrangig mit den Regelungen zu internen bzw. – nach dem VerSanG-E – verbandsinternen Untersuchungen sowie der Frage, welche Bedeutung dem Arbeitnehmerdatenschutz im Kontext verbandsinterner Untersuchungen zukommt.
Verbandsverantwortlichkeit und ihre Sanktionierung
Zur besseren Einordung verbandsinterner Untersuchungen muss man sich zunächst dessen Sanktionsmechanismus vor Augen führen. Das VerSanG-E knüpft an den Verband an, wozu u.a. juristische Personen des Privatrechts und rechtsfähige Personengesellschafen zählen. Gemäß § 3 VerSanG-E wird eine Verbandssanktion verhängt, wenn eine Verbandsverantwortlichkeit vorliegt. Dies ist nach dem RegE insbesondere dann der Fall, wenn eine Verbandstat durch eine Leitungsperson begangen wurde. Bei einer Verbandstat handelt es sich nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 VerSanG-E um eine „Straftat, durch die Pflichten, die den Verband treffen, verletzt worden sind oder durch die der Verband bereichert worden ist oder werden sollte“. Das VerSanG-E sieht als mögliche Sanktionen – neben der Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt – vor allem die Verbandsgeldsanktion vor.
Hinsichtlich der Verbandsgeldsanktion hat der Schwellenwert von 100 Millionen Euro eine besondere Relevanz: Bei einem Verband mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als 100 Millionen Euro kann die Verbandsgeldsanktion bis zu zehn (10) Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes betragen (vgl. § 9 Abs. 2 Nr. 1 VerSanG-E). Zur Ermittlung des durchschnittlichen Jahresumsatzes ist nach § 9 Abs. 2 S. 2 VerSanG-E der weltweite Umsatz aller natürlichen Personen und Verbände der letzten drei Geschäftsjahre, die der Verurteilung vorausgehen, zugrunde zu legen, soweit diese Personen und Verbände mit dem Verband als wirtschaftliche Einheit operieren. Liegt der durchschnittliche Jahresumsatz hingegen bei bis zu 100 Millionen Euro, so soll die Verbandsgeldsanktion bei einem maximalen Betrag von zehn (10) Millionen Euro liegen (vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 1 VerSanG-E).
Verbandsinterne Untersuchung und ihre sanktionsmildernde Wirkung
Verbandsinternen Untersuchungen wird nach der Konzeption des VerSanG-E eine besondere Bedeutung zukommen, da sie zu einer Milderung der Verbandsgeldbuße führen können. Vorrangige Zielsetzung verbandsinterner Untersuchungen ist die Aufklärung von Verbandstaten. Vereinfacht ausgedrückt handelt es sich um strukturierte unternehmenseigene Ermittlungen auf der Grundlage einer bestehenden Verdachtslage. Gegenstand der Untersuchung sind konkrete Untersuchungsmaßnahmen, zu denen u.a. Mitarbeiterbefragungen, E-Mail-Screenings, Videoüberwachungsmaßnahmen oder die Durchsuchung des Arbeitsplatzes zählen können.
Hinsichtlich der sanktionsmildernden Wirkung verbandsinterner Untersuchungen sowie deren Begriffsbestimmung ist § 17 VerSanG-E in den Blick zu nehmen. In § 17 Abs. 1 VerSanG-E sind die Voraussetzungen normiert, bei deren Vorliegen das Gericht die Verbandssanktion unter Berücksichtigung der Vorgaben des § 18 VerSanG-E mildern soll (das Gericht ist also in seinem Ermessen gebunden). Diese Voraussetzungen, die kumulativ vorliegen müssen, konkretisieren zugleich den Begriff der verbandsinternen Untersuchung. Nach dessen Wortlaut fordert § 17 Abs. 1 VerSanG-E für eine entsprechende Sanktionsmilderung insbesondere, dass:
- der Verband einen wesentlichen Beitrag zur Aufklärung der Verbandstat und Verbandsverantwortlichkeit leistet (vgl. § 17 Abs. 1 Nr. 1 VerSanG-E),
- ein beauftragter Dritter (bspw. eine Rechtsanwaltskanzlei) oder die für den beauftragten Dritten bei den verbandsinternen Untersuchungen handelnde Person nicht Verteidiger des Verbandes ist (vgl. § 17 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG-E),
- eine ununterbrochene und uneingeschränkte Zusammenarbeit mit den Verfolgungsbehörden stattfindet (vgl. § 17 Abs. 1 Nr. 3 VerSanG-E),
- die Ergebnisse der verbandsinternen Untersuchung einschließlich aller für die verbandsinterne Untersuchung wesentlicher Dokumente nach Abschluss der Untersuchung den Verfolgungsbehörden zur Verfügung gestellt werden (vgl. § 17 Abs. 1 Nr. 4 VerSanG-E) und
- die Mitarbeiterbefragung im Rahmen der verbandsinternen Untersuchung – und damit eine der zentralen Ermittlungsmaßnahmen – unter Beachtung der Grundsätze eines fairen Verfahrens durchgeführt wird (vgl. § 17 Abs. 1 Nr. 5 VerSanG-E). Wann die Anforderungen an ein faires Verfahren erfüllt sind, wird in einer nicht abschließenden Aufzählung in § 17 Abs. 1 Nr. 5 lit. a) bis c) VerSanG-E konkretisiert. So müssen Mitarbeiter darauf hingewiesen werden, dass ihre Auskünfte in einem Strafverfahren gegen sie verwendet werden können. Ihnen muss außerdem das Recht eingeräumt werden, einen anwaltlichen Beistand oder ein Mitglied des Betriebsrats zu der Befragung hinzuzuziehen; auf dieses Recht ist vor der konkreten Befragung hinzuweisen. Darüber hinaus sieht der RegE vor, dass den Mitarbeitern für selbstbelastende Auskünfte ein Auskunftsverweigerungsrecht zustehen soll, womit eine bislang umstrittene Frage geklärt würde.
Liegen die Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 VerSanG-E vor und mildert das Gericht die Verbandsgeldsanktion, so reduzieren sich die o.g. Höchstgrenzen der Verbandsgeldsanktion um die Hälfte (vgl. § 18 VerSanG-E).
Unabhängig von der Milderungsmöglichkeit gemäß §§ 17, 18 VerSanG-E richtet sich die Bemessung der Verbandsgeldsanktion nach den Regelungen des § 15 VerSanG-E, wobei es maßgeblich auf die Gesamtumstände im Einzelfall ankommt.
Bedeutung des Arbeitnehmerdatenschutzes im Kontext verbandsinterner Untersuchungen
Eines lässt sich vorab festhalten: Dem Datenschutz und insbesondere dem Arbeitnehmerdatenschutz würde im Rahmen verbandsinterner Untersuchungen nach dem VerSanG-E eine wichtige Bedeutung zukommen, da dieser Einfluss auf eine etwaige Sanktionsmilderung haben könnte. Bezogen auf die Verarbeitung personenbezogener Beschäftigtendaten richtet sich die Bewertung der Untersuchungsmaßnahmen vor allem nach Art. 88 DS-GVO sowie § 26 BDSG.
Mögliche Anknüpfungspunkte für den Datenschutz innerhalb des § 17 VerSanG-E:
- Atypischer Sachverhalt (Abs. 1): Es lässt sich zumindest die Frage aufwerfen, ob ein Verstoß gegen den Datenschutz einen „atypischen“ Sachverhalt begründen könnte, der wiederum dazu führen würde, dass keine Bindung hinsichtlich der Ermessensentscheidung bestünde. Dies dürfte jedoch allenfalls bei besonders schweren Verstößen in Betracht kommen.
- Wesentlicher Beitrag (Abs. 1 Nr. 1): Um eine Sanktionsmilderung zu erreichen, soll der Verband einen wesentlichen Beitrag zur Aufklärung leisten. Dies ist im Ergebnis nur möglich, wenn die übermittelten Ermittlungsergebnisse verwertet werden können. In diesem Zusammenhang sind die datenschutzrechtlichen Anforderungen zu beachten. Die Zulässigkeit wesentlicher Ermittlungsmaßnahmen, wie z.B. das E-Mail-Screening oder die Videoüberwachung, aber auch neuere Maßnahmen, wie der Einsatz spezieller Überwachungssoftware (Stichwort „Keylogger“), sind an den datenschutzrechtlichen Bestimmungen der DS-GVO sowie des BDSG zu messen. Dies gilt auch für die Mitarbeiterbefragung. Insoweit gelten die Regelungen des § 26 BDSG nach dessen Abs. 7 auch für die nicht automatisierte (analoge) Verarbeitung personenbezogener Daten.
- Uneingeschränkte Zusammenarbeit (Abs. 1 Nr. 3): Die hinsichtlich verbandsinterner Untersuchungen geforderte Zusammenarbeit beruht nicht auf einem staatlichen Zwang, sondern auf einer freiwilligen Mitwirkung durch den Verband. Einer solchen Mitwirkung sind aber Grenzen gesetzt, so auch die datenschutzrechtlichen Grenzen der Verarbeitung personenbezogener Beschäftigtendaten.
- Übergabe der Ermittlungsergebnisse (Abs. 1 Nr. 4): Es soll auch nicht unerwähnt bleiben, dass im Rahmen der Übergabe bzw. Übermittlung der Ermittlungsergebnisse an die Verfolgungsbehörden der Datenschutz zu beachten ist.
- Grundsatz eines fairen Verfahrens (Abs. 1 Nr. 5): Da die Auflistung in § 17 VerSanG-E nicht abschließend ist, könnte auch die Einhaltung des Datenschutzrechts einen Anknüpfungspunkt für ein faires Verfahren bilden.
Darüber hinaus lässt sich an § 15 Abs. 3 Nr. 7 VerSanG-E anknüpfen, wonach das Gericht in seiner Abwägung „das Bemühen des Verbandes, die Verbandstat aufzudecken und den Schaden wiedergutzumachen“, zu berücksichtigen hat. Ein solches Bemühen dürfte nicht nur voraussetzen, dass überhaupt Ermittlungsmaßnahmen ergriffen werden. Vielmehr müssen diese auch im Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen durchgeführt werden, womit wiederum auch die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Anforderungen erfasst ist.
Ausblick: Unternehmensinterne Untersuchungen müssen datenschutzrechtliche Anforderungen genügen
- Mit dem RegE haben sich bereits viele Stimmen kritisch auseinandergesetzt. Mit Spannung bleibt abzuwarten, inwieweit noch Anpassungen vorgenommen werden und wie sich das Gesetzgebungsverfahren weiter entwickeln wird. Wahrscheinlich scheint derzeit, dass ein entsprechendes Gesetz kommen wird. Jedenfalls ist der Bundesrat nicht den Anträgen des Rechts- und Wirtschaftsausschusses gefolgt, den Entwurf insgesamt abzulehnen.
- Der Arbeitnehmerdatenschutz dürfte auch auf der Grundlage des aktuellen RegE eine zentrale Rolle einnehmen. Insoweit sind verbandsinterne Ermittlungsmaßnahmen ebenso wie die Maßnahmen im Rahmen unternehmensinterner Untersuchungen auf der Grundlage der aktuellen Rechtslage an den datenschutzrechtlichen Anforderungen zu messen. Verstöße gegen den Datenschutz können nicht nur zu Bußgeldern nach den datenschutzrechtlichen Sanktionsmechanismen und einer möglichen Unwirksamkeit arbeitsrechtlicher Sanktionen führen, sondern können sich innerhalb des VerSanG-E auch auf die Möglichkeit einer etwaigen Sanktionsmilderung auswirken.