Das Thema
Mit dem am 25.3.2020 vom Bundestag verabschiedeten „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ schafft der Gesetzgeber einen Entschädigungsanspruch für arbeitende Eltern, die sich aufgrund einer Schul- oder KiTa-Schließung der Kinderbetreuung widmen und ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen können. Der Entschädigungsanspruch richtet sich an den Staat, besteht aber nur in Höhe von 67% des bisherigen Nettoentgelts. Arbeitgeber werden damit von Zahlungen entlastet.
Allerdings hinterlässt die neue gesetzliche Reglung einige offene Fragen und ersten Handlungsbedarf.
Bisherige Rechtslage und Reichweite von § 616 BGB
Arbeitslohn wird nur geschuldet, wenn die Arbeitsleistung erbracht wird. Will der Arbeitnehmer trotz Untätigkeit seinen Lohn beanspruchen, muss er sich auf eine Anspruchserhaltungsnorm berufen können. Dies sind etwa die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (§ 3 EFZG) oder die Vergütung während Urlaubs (§ 1 BUrlG) oder arbeitgeberseitigen Annahmeverzugs (§ 615 BGB).
Schließen die Schule aufgrund einer Pandemie, so darf der Arbeitnehmer, der betreuungspflichtige Kinder hat, zwar grundsätzlich (zu Ausnahmen s. Fuhlrott/Fischer, NZA 2020, S. 345, 358) sein Tätigwerden verweigern (§ 275 Abs. 3 BGB), er geht dann aber regelmäßig seines Lohnanspruchs verlustig (§ 326 Abs. 1 S. 1 BGB). In Einzelfällen wird sich der Arbeitnehmer dann auf eine arbeitgeberseitige Lohnfortzahlungspflicht gem. § 616 S. 1 BGB berufen können. Allerdings ist diese Norm in vielen Standardverträgen – was formularvertraglich zulässig ist – ausgeschlossen. Selbst wenn die Norm nicht ausgeschlossen ist, folgt aus der Norm nur eine Zahlungspflicht des Arbeitgebers für wenige Tage, wobei in der aktuellen Situation fünf Tage angemessen sein sollten (Fuhlrott/Fischer, NZA 2020, S. 345, 348). In Konstellationen wie der vorliegenden führt dies für Arbeitnehmer, die nicht im Home Office arbeiten können, zu problematischen Situationen. Zudem ist Missbrauch, z.B. durch arbeitnehmerseitigen Krankmeldungen, um in den Genuss von Lohnfortzahlung zu kommen, Tür und Tor geöffnet.
Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite: Die neuen Spielregeln
Mit dem am 25.3.2020 durch den Bundestag verabschiedeten „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ (Gesetzesentwurf v. 24.3.2020, BT-Drs. 19/18111) stärkt der Gesetzgeber die Kompetenzen des Bundes bei pandemischen Lagen durch Verordnungsermächtigungen und erlaubt die vorübergehende Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten durch Nicht-Ärzte (§ 5 a IfSG n.F.). Zwar muss der Bundesrat dem Gesetz noch zustimmen. Dies soll aber bereits am 27.3.2020 erfolgen und dürfte aufgrund des parteiübergreifenden Konsens bei Erlass des Gesetzes eher eine Formsache sein. Die Änderungen sollen gem. Art. 7 des Gesetzes bereits mit Wirkung zum 30.3.2020 in Kraft treten.
Entschädigung bei Schulschließung: § 56 Abs. 1 a IfSG n.F.
Zudem wird das Infektionsschutzgesetz in § 56 um einen neuen Absatz (§ 56 Abs. 1 a IfSG) ergänzt, der folgenden Wortlaut hat:
„(1a) Werden Einrichtungen zur Betreuung von Kindern oder Schulen von der zuständigen Behörde zur Verhinderung der Verbreitung von Infektionen oder übertragbaren Krankheiten auf Grund dieses Gesetzes vorübergehend geschlossen oder deren Betreten untersagt und müssen erwerbstätige Sorge-berechtigte von Kindern, die das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder behindert und auf Hilfe angewiesen sind, in diesem Zeitraum die Kinder selbst betreuen, weil sie keine anderweitige zumutbare Betreuungsmöglichkeit sicherstellen können, und erleiden sie dadurch einen Verdienstausfall, erhalten sie eine Entschädigung in Geld. Anspruchsberechtigte haben gegenüber der zuständigen Behörde, auf Verlangen des Arbeitgebers auch diesem gegenüber, darzulegen, dass sie in diesem Zeitraum keine zumutbare Betreuungsmöglichkeit für das Kind sicherstellen können. Ein Anspruch besteht nicht, soweit eine Schließung ohnehin wegen der Schulferien erfolgen würde. Im Fall, dass das Kind in Vollzeitpflege nach § 33 des Achten Buches Sozialgesetzbuch in den Haushalt aufgenommen wurde, steht der Anspruch auf Entschädigung anstelle der Sorgeberechtigten den Pflegeeltern zu.“
Die Höhe der zu zahlenden Entschädigung beträgt 67% des dem erwerbstätigen Arbeitnehmer entstandenen Verdienstausfalls. Diese darf für höchstens sechs Wochen gewährt werden und ist auf EUR 2.016,- je vollen Monat gedeckelt (§ 56 Abs. 2 S. 3 IfSG n.F.).
Der Gesetzgeber hat sich damit für eine Kompensation des Arbeitnehmers durch den Staat und gegen eine – ebenfalls denkbare – Ausweitung des § 616 BGB entschieden, die dem Arbeitgeber Zahlungsverpflichtungen auferlegt hätte.
Inhaltlich greift die neue gesetzliche Regelung in verschiedener Hinsicht auf bereits arbeits- bzw. sozialversicherungsrechtliches Bekanntes zurück: Die Grenze einer Zahlungshöchstdauer von sechs Wochen findet sich auch bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gem. § 3 Abs. 1 EFZG als dort genannte Höchstgrenze der arbeitgeberseitigen Zahlung. Die Deckelung auf einen Prozentsatz auf 67% erinnert an die Vorschriften der Arbeitsförderung bei Kurzarbeit (§ 105 Nr. 1 SGB III) bzw. Arbeitslosengeld (§ 149 Nr. 1 SGB III). Die Anlehnung an ein Alter von zwölf Jahren für Kinder findet sich bereits beim „Kinderkrankengeld“ (§ 45 Abs. 1 SGB V).
Wer bekommt eine Entschädigung: Die Anspruchsvoraussetzungen
Nach dem Gesetz setzt der Anspruch also voraus, dass
- eine behördliche Schließungsanordnung oder ein behördliches Betretungsverbot einer Kinderbetreuungseinrichtung bzw. Schule
- aus Anlass einer Infektion bzw. zu deren Verhinderung erfolgt,
- wobei der Anspruchssteller erwerbstätig und
- für mindestens ein unter zwölfjähriges bzw. behindertes Kind sorgeberechtigt sein muss
- sowie aufgrund der nunmehr durch ihn selbst vorgenommenen Kinderbetreuung
- einen Verdienstausfall erleidet und es
- keine anderen zumutbaren Betreuungsmöglichkeiten gibt und der Zeitraum außerhalb der Schulferien liegt.
Offene Punkte und Regelungsbedarf
Auch eine nach langen Abwägungsprozessen und rechtlichen Diskussionen erlassene neue gesetzliche Regelung wirft naturgemäß oftmals Fragen der praktischen Handhabung auf. Der Gesetzgeber hat vorliegend in enormer Geschwindigkeit komplexe Regelungen erlassen, die – erwartungsgemäß – ebenfalls Fragen offen lassen: In der Gesetzesbegründung wird das Kriterium der Unzumutbarkeit anderweitiger Betreuungsmöglichkeiten konkretisiert. Der Detailierungsgrad streitet dafür, dass auch hinsichtlich der Prüfung eines Leistungsverweigerungsrechts insoweit kein Rückgriff mehr auf § 275 Abs. 3 BGB möglich erscheint. : Vorrangig sind etwa eine etwaige Notbetreuung, eine Betreuung durch den anderen Elternteil oder durch betreuungsbereite Verwandte oder Freunde.
Interessant ist, dass allein im Hinblick auf den anderen Elternteil unerheblich ist, ob er „zur Betreuung bereit“ ist; für eingetragene Lebenspartner, Stiefeltern oder Au-Pair scheint dies nach der Gesetzesbegründung nicht zu gelten. Zumindest sind Personen, die einer Risikogruppe in Bezug auf die relevante Infektion angehören, nicht als zumutbare Betreuungsmöglichkeit anzusehen. Während der Corona-Pandemie dürfte das auf die „Risikogruppe Großeltern“ zutreffen.
Arbeitszeitguthaben und Home Office
Darüber hinaus sind nach der Gesetzesbegründung ferner primär Arbeitszeitguthaben abzubauen (S. 25 Gesetzesbegründung, BT-Drs. 19/18111). Auch eine Arbeit im HomeOffice, ist vorrangig, soweit diese zumutbar ist (vgl. hierzu im Zusammenhang mit § 616 BGB und § 275 Abs. 3 BGB: Fuhlrott/Fischer, NZA 2020, 345, 348).
Sorgeberechtigung
Der Anspruch setzt ebenfalls voraus, dass ein für das Kind „Sorgeberechtigter“ (§ 1631 BGB) ausfällt. Danach erfasst der Anspruch nach seinem Wortlaut keine Fälle, in denen ein Arbeitnehmer mit einem – nicht rechtlich „verfestigten“ – Partner zusammenlebt und dessen Kind betreut.
Unklarheiten bezüglich Schulferien
Etwas mehr Klarheit wäre beim Anspruchsausschluss für Schulferien zu begrüßen gewesen. So ist nicht eindeutig, ob Schulferien auf den sechswöchigen Anspruchszeitraum angerechnet werden. Die Gesetzessystematik scheint dagegen zu sprechen. Überdies wird der Anspruch für den Fall von „Kita-Ferien“ nicht ausgeschlossen, was aus Sicht der Verfasser parallel zu Schulferien geregelt werden müsste: Da die Kinder ohnehin betreut werden müssen, kann kein Entschädigungsanspruch entstehen.
Hingegen wird der Anspruch auch ausgeschlossen, wenn Schulferien vorliegen, aber eine Kita womöglich weiter geöffnet hätte. Kita- und Schulferien laufen keineswegs synchron. Arbeitnehmer, die nicht schulpflichtige Kinder haben, die in einer Kita betreut werden und für die Schulferien damit gar keine Rolle spielen, sind in dieser Konstellation nicht anspruchsberechtigt. Dies ist wenig plausibel und könnte faktisch eine Diskriminierung weiblicher Arbeitnehmerinnen darstellen, die – weiterhin statistisch – von der (Klein)Kinderbetreuung durch von Teilzeittätigkeiten häufiger betroffen sind.
Verhältnis zu anderen Entgeltfortzahlungsansprüchen
Ferner ist unklar, ob der Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1 a IfSG n.F. Entgeltfortzahlungsansprüche verdrängt. Da die Neuregelung eine besondere Ausnahmesituation der Kinderbetreuung regelt, spricht viel dafür, dass sie als lex specialis gegenüber § 616 BGB, unter welche bisher Fälle der Kundenbetreuung subsumiert werden, vorrangig ist.
Allerdings wird die Frage praktisch nicht relevant werden, da beim Inkrafttreten des Gesetzes zum 30. März 2020 Schulen in allen Bundesländern bereits für mehr als eine „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ iSv. § 616 S. 1 BGB geschlossen sein werden.
Verhältnis zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall
Darüber hinaus stellt sich die Frage der Konkurrenz zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gem. § 3 EFZG sowie zum Krankengeld bei Erkrankung des Kindes gem. § 45 SGB V. Die Neuregelung stellt einen Kausalitätszusammenhang zwischen der Schließung von Schule/Kita und dem Verdienstausfall her. In den Fällen des § 3 EFZG und des § 45 SGB V würde der Arbeitnehmer ebenfalls keine Arbeitsleistung erbringen und hätte Ansprüche auf Entgeltfortzahlung gegen den Arbeitgeber. Während dieser Zeiten realisiert sich daher nicht das Risiko der Schulschließung, sondern der Krankheit. Aus Sicht der Verfasser werden daher § 3 EFZG und § 45 SGB V nicht verdrängt.
Umsetzungserfordernisse im Arbeitsvertrag?
Arbeitgeberseitige Aufstockungsleistungen, wie sie viele Arbeitgeber derzeit als Zusatzzahlungen zum Kurzarbeitergeld gewähren, werden durch die Neuregelung nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Diese dürften auch aufgrund der Privatautonomie zulässig sein und stellen keinen Vertrag zu Lasten Dritter (des Staates) dar.
Der Abschluss arbeitgeberseitiger Zusatzvereinbarungen oder die Aufnahme einer neuen arbeitgeberseitigen Mustervertragsklausel in den Arbeitsvertrag sind daher Themen, die in der arbeitsrechtlichen Vertragsgestaltung anstehen können.