Das Thema
Das BAG hatte mit Urteil vom 23.11.2022 (AZ 7 AZR 122/22) über den Anspruch eines freigestellten Betriebsratsmitglieds auf Feststellung einer Vergütungserhöhung zu entscheiden. Das BAG festigt in dieser Entscheidung seine bisherige Rechtsprechung zu § 37 Abs. 4 BetrVG. Für die Vergleichsgruppenbildung kommt es auf den Zeitpunkt des Amtsantritts an.
Der vorliegende Fall bekommt seine Besonderheit durch die eher ungewöhnliche Konstellation einer nach Amtsantritt erfolgten einvernehmlichen Vertragsänderung zu einer geringer wertigen Tätigkeit mit geringerer Vergütung.
Der Fall
Das BAG hatte über den Feststellungsantrag eines Betriebsratsmitglieds auf Vergütungserhöhung zu entscheiden. Der Kläger war seit dem Jahr 2010 Betriebsratsmitglied bei der Beklagten. Er war seit 2007 als Teamleiter tätig. Im März 2012 bewarb sich der Kläger erfolglos auf eine andere Team-leiterstelle. Im Oktober 2012 vereinbarten die Parteien, dass der Kläger ab November 2012 die Funktion als Teamleiter abgeben und in der geringwertigeren und niedriger vergüteten Position eines Technikers eingesetzt werden sollte. Seit 2014 war der Kläger für die Betriebsratsarbeit freigestellt. In 2016 und 2018 bewarb er sich ohne Erfolg auf Abteilungsleiterstellen. Im April 2019 verlangte er von der Beklagten die Anpassung seines Entgelts an die durchschnittliche Vergütungsentwicklung von Teamleitern seit 2010.
Der Kläger hat vor Gericht die Auffassung vertreten, dass ihm eine Entgelterhöhung in Höhe der durchschnittlichen Vergütungsentwicklung der neun vergleichbaren Teamleiter zustehe. Diese bildeten die zutreffende Vergleichsgruppe, denn auch er sei vor Übernahme seines Betriebsratsamtes in der Teamleitung beschäftigt gewesen. Die benannten Teamleiter verfügten über im Wesentlichen gleiche fachliche und persönliche Qualifikationen wie der Kläger. Sein Jahreseinkommen vor Antritt seines Betriebsratsamtes habe ca. 76% des Durchschnitts dieser Vergleichs-gruppe betragen. Die Teamleitung habe er damals allein aufgrund seiner Betriebsratstätigkeit aufgegeben.
Die Beklagte wies die benannte Vergleichsgruppe als fehlerhaft zurück. Der Kläger sei nicht mit Teamleitern sondern aufgrund der einvernehmlichen Tätigkeitsänderung mit Technikern zu vergleichen. Eine Entwicklung vom Techniker zum Teamleiter oder Abteilungsleiter sei nicht betriebsüblich. Arbeitsgericht und Landes-arbeitsgericht wiesen den Feststellungsantrag ab.
Die Entscheidung: BAG setzt bisherige Linie fort
Die Revision des Klägers beim BAG blieb erfolglos. Nach Auffassung des BAG ergibt sich der Anspruch des Klägers weder aus § 37 IV BetrVG noch aus § 611a II BGB iVm. § 78 S. 2 BetrVG. Für § 37 IV BetrVG komme es auf die betriebsübliche Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer an. Mit der Vorschrift solle sichergestellt werden, dass Betriebsratsmitglieder weder in wirtschaftlicher noch in beruflicher Hinsicht gegenüber vergleichbaren Arbeitnehmern mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung Nachteile erleiden.
Der Kläger verkenne vorliegend, dass § 37 IV BetrVG lediglich einen Anspruch auf die Mindestvergütung in Höhe des Arbeitsentgelts vergleichbarer Arbeitnehmer gewähre, nicht aber einen Anspruch auf Vergütung entsprechend einer Durchschnittsbetrachtung. Diese änderte sich nämlich sofort, wenn nur einer der vergleichbaren Arbeitnehmer ein höheres Gehalt erhielte – gleich aus welchem Grund. Das BAG setzt die bisherige Linie in der Rechtsprechung fort und stellt auf die Entwicklung der Gehälter der Mehrzahl der Arbeitnehmer in der Vergleichsgruppe ab. Nur ausnahmsweise bei sehr kleinen Vergleichsgruppen sei die durchschnittlich gewährte Entgelterhöhung maßgeblich.
Im Übrigen komme im entschiedenen Fall die Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien vor der Freistellung des Klägers zum Tragen, wonach der Kläger nicht mehr als Teamleiter, sondern als Techniker mit entsprechend niedrigerer tariflicher Vergütung eingesetzt wurde. Eine solche Vereinbarung sei vor dem Schutzzweck des § 37 IV BetrVG zulässig, da sich daraus keine „vertragliche Veränderungssperre“ ergebe. Die Vertragsparteien änderten mit der Vereinbarung nicht die Rechtsfolgen, sondern lediglich die Tatsachengrundlage. Weiter sei eine unzulässige Benachteiligung des Betriebsrats im Sinne des § 78 S. 2 BetrVG in der Vereinbarung nicht zu sehen. Es würde im Gegenteil zu einer Begünstigung des Betriebsratsmitglieds führen, würde dieses trotz der vereinbarten geringeren Vergütung aufgrund der Stellung als Betriebsrat und der Anwendung der Grundsätze des § 37 IV BetrVG im Ergebnis eine höhere Vergütung als die vertraglich vereinbarte erhalten. Auch bei einer späteren Freistellung komme es für die maßgebliche Vergleichsgruppenbildung auf den Zeitpunkt des Amtsantritts an. Aufgrund der getroffenen Vereinbarung habe sich der Kläger der Vergleichsgruppe der Teamleiter begeben. Die Grundsätze des § 37 IV BetrVG könnten in diesem Fall nicht mehr angewendet werden.
Brennpunkt Betriebsratsvergütung: BGH aktiviert Gesetzgeber
Die Entscheidung kommt zu einem Zeitpunkt, in der in vielen Unternehmen die Vergütung von Betriebsratsmitgliedern ohnehin auf dem Prüfstand steht oder stehen sollte. Nach der – zeitlich nachgelagerten – BGH Entscheidung vom 10. Januar 2023 zur Frage der Untreue-Strafbarkeit ehemaliger Volkswagen Manager im Zusammenhang mit der Erhöhung von Betriebsratsgehältern (6 StR 133/22) sieht sich jede Geschäftsführung dem Vorwurf der Untreue ausgesetzt, sollte die (hypothetische) Karriereentwicklung eines Betriebsrats großzügiger gehandhabt werden als im Betrieb üblich.
Auch ist der Gesetzgeber nach eigenen Angaben drauf und dran, gesetzliche Neuregelungen zu schaffen: Wie das Arbeitsministerium Anfang Mai 2023 mitteilte, soll eine Kommission bis Anfang Juli konkrete Regelungsvorschläge für eine Anpassung des Betriebsverfassungsgesetzes zum Thema entwickeln.
BAG bleibt sich zunächst treu
Das BAG festigt in der vorliegenden Entscheidung die maßgeblichen Grundsätze zur Betriebsratsvergütung auf Basis des § 37 IV BetrVG. So kommt es für die Vergleichsgruppenbildung auf den Zeitpunkt der Amtsübernahme des Betriebsrats an, auch wenn eine spätere Freistellung erfolgt. Durch einvernehmliche Änderung der arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeit zu einer geringer vergüteten Position kann die Anwendung von § 37 IV BetrVG hingegen gänzlich ausgeschlossen werden. Ob diese Konstellation in der Praxis jedoch häufig vorkommen wird, darf bezweifelt werden.