Das Thema
Gerade bei Tätigkeiten im Wohnhaus führt es zu großen Abgrenzungsschwierigkeiten, ob ein Unfall der beruflichen oder der privaten Sphäre des Arbeitnehmers zuzuschreiben ist. So stritten in einem aktuellen Verfahren die Beteiligten vor dem Bundesozialgericht darüber, ob der Sturz der Klägerin auf der Kellertreppe ihres Wohnhauses auf dem Weg zu ihrem Home-Office-Büroraum im Keller ein Arbeitsunfall nach § 8 Absatz 1 SGB VII war.
Ein solcher Sturz auf einer Kellertreppe zu Hause kann ein Arbeitsunfall im Home-Office sein – das hat das Bundessozialgericht (BSG) im November 2018 entschieden (B 2 U 28/17 R).
Die Grundzüge des Arbeitsunfalls
Die Frage nach dem Vorliegen eines Arbeitsunfalls sorgt häufig für Streit zwischen verunfallten Arbeitnehmern und Berufsgenossenschaften bzw. Unfallkassen, den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung. Wesentlicher Hintergrund ist, dass das Leistungsspektrum der gesetzlichen Unfallversicherung erheblich umfangreicher ist als das der Krankversicherungen. Neben dem Fehlen einer Zuzahlungspflicht sowie umfangreicher Rehabilitationsmaßnahmen wird im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung bei langfristigen Schädigungen beispielsweise auch eine Unfallrente gezahlt.
Kursorisch erfolgt die Grenzziehung an der Türschwelle des Arbeitnehmers. Mit Verlassen des Wohnhauses zur Arbeit befindet er sich auf einem nach § 8 Abs. 2 SGB VII versicherten (Hin-)Weg, bei der Beschäftigung ist er – mit Ausnahme der Unterbrechung der Arbeit zur Verfolgung privater Belange – nach § 8 Abs. 1 SGB VII versichert und auf dem Heimweg wieder nach § 8 Abs. 2 SGB VII.
Das zunehmende Aufweichen der klassischen örtlichen Strukturen der Arbeitsleistung, insbesondere die wachsende Beliebtheit des Home-Office, hebelt diese Grenzziehung jedoch aus. Dies führt gerade bei Tätigkeiten im Wohnhaus zu großen Abgrenzungsschwierigkeiten, ob ein Unfall der beruflichen oder der privaten Sphäre des Arbeitnehmers zuzuschreiben ist. Die objektive Beweislast trägt dabei der Arbeitnehmer, wobei der Unfallversicherungsträger in Zuge der ihm nach § 20 SGB X obliegenden Amtsermittlungspflicht alle Beweismittel auszuschöpfen hat.
BSG: Sturz auf Kellertreppe Richtung Home-Office ist Arbeitsunfall
In dem Verfahren vor dem BSG (Entscheidung vom 27. November 2018 – B 2 U 28/17) stritten die Beteiligten darüber, ob der Sturz der Klägerin auf der Kellertreppe ihres Wohnhauses auf dem Weg zu ihrem Home-Office-Büroraum im Keller ein Arbeitsunfall nach § 8 Absatz 1 SGB VII war.
Die Klägerin war als Key Account Managerin angestellt. Regelmäßiger Arbeitsort war der Wohnsitz der Klägerin. Im Haus der Klägerin führte eine Treppe in das Kellergeschoss. In diesem befanden sich mehrere Räume, unter anderem ein von der Klägerin als Büro/Home-Office sowie zwei weitere als Ablage und Archiv genutzte Räume. Am Unfalltag befand sich die Klägerin auf einem Messegelände zur Akquise von Kunden. Über eine Mitarbeiterin wurde sie gegen 14.45 Uhr telefonisch aufgefordert, den Geschäftsführer der Gesellschaft um 16.30 Uhr anzurufen. Die Klägerin fuhr daraufhin nach Hause und begab sich in ihr Büro im Kellergeschoss, um den mitgeführten Laptop anzuschließen und über diesen um 16.30 Uhr mit dem Geschäftsführer zu telefonieren. Gegen ca. 16.10 Uhr stürzte sie beim Hinabsteigen der Kellertreppe auf dem Weg zu ihrem Büro und verletzte sich im Wirbelsäulenbereich. Bei dem Sturz führte sie eine Tasche mit dem Laptop sowie sonstiges Arbeitsmaterial mit sich.
Nachdem die Beklagte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls abgelehnt hatte, hob das Sozialgericht diesen Bescheid auf und bejahte einen Arbeitsunfall. Das Landessozialgericht wies die Klage jedoch ab.
Das Bundessozialgericht hob nun die Entscheidung des Landessozialgerichts auf und bejahte das Vorliegen eines Arbeitsunfalls. Die Klägerin habe einen Unfall im Sinne von § 8 Absatz 1 Satz 1 SGB VII erlitten. Ihre Verrichtung – das Hinabsteigen der Kellertreppe auf dem Weg zu ihrem Home-Office – zur Zeit des Unfallereignisses habe in einem sachlichen Zusammenhang zu ihrer Versichertentätigkeit als Key Account Managerin gestanden. Zum Unfallzeitpunkt habe sie einen sogenannten „versicherten Betriebsweg“ im Sinne des § 8 Absatz 1 Satz 1 in Verbindung mit § 2 Absatz 1 Nr. 1 SGB VII zurückgelegt. Nach den tatsächlichen Feststellungen sei sie die Treppe mit der Handlungstendenz hinabgestiegen, in ihrem Büro auf vorherige dienstliche Weisung mit dem Geschäftsführer zu telefonieren.
Gang in den Keller diente der Tätigkeit als Beschäftigte
Der Versicherungsschutz scheitere nicht daran, dass der Unfall sich innerhalb der Wohnung der Klägerin ereignet habe. Die an der Außentür des Wohnhauses orientierte Grenzziehung für Betriebswege greife nicht, wenn sich sowohl die Wohnung als auch die Arbeitsstätte des Versicherten im selben Haus befänden und der Betriebsweg in Ausführung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt werde. Maßgebend für die Bejahung des Unfallversicherungsschutzes sei dann auch nicht die objektive Häufigkeit der Nutzung des konkretes Unfallortes innerhalb des Hauses, sondern die durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigte Handlungstendenz der Klägerin, eine dem Unternehmen dienende Tätigkeit ausüben zu wollen. Die objektivierte Handlungstendenz der Klägerin sei vorliegend darauf gerichtet gewesen, ihrer Tätigkeit als Beschäftigte nachzukommen.
Eine Entgrenzung des Versicherungsschutzes trete nicht ein, wenn entscheidend auf die objektivierte Handlungstendenz bei Tätigkeiten in einem Home-Office abgestellt werde. Zum Zwecke dieser Objektivierung könnten gegebenenfalls der Unfallzeitpunkt, der konkrete Ort des Unfallgeschehens und auch dessen objektive Zweckbestimmung als Indiz berücksichtigt werden, die ihrerseits Zweifel an der vom Versicherten beschriebenen Handlungstendenz begründen könnten. Nach wie vor seien stets die gesamten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, weil sich im häuslichen Bereich die Beweisführung hinsichtlich der Handlungstendenz und die entsprechende Überprüfung klägerseitiger Angaben als besonders schwierig darstelle. Im vorliegenden Verfahren habe jedoch anhand der vom Landessozialgericht getroffenen Feststellungen abschließend festgestellt werden können, dass keine Umstände ersichtlich waren, die Zweifel an der Handlungstendenz der Klägerin hätten begründen können.
BSG bleibt sich und seiner Bewertung treu
Das Bundessozialgericht blieb bei seiner Entscheidung – zu der bisher nur ein Terminsbericht vorliegt – der bisherigen Rechtsprechungslinie treu. Es stellte konsequent auf den sachlichen Zusammenhang zur Versichertentätigkeit ab, der vorliegend mittels der objektivierten Handlungstendenz festgestellt werden konnte.
Das Bundessozialgericht bestärkt damit das Kriterium der objektivierte Handlungstendenz. In dem Urteil vom 15. Mai 2012 – B 2 U 8/11 R und dem Urteil vom 26. Juni 2014 − B 2 U 4/13 R hatte das Bundessozialgericht bereits ausgeführt:
„Wenn das beobachtbare objektive Verhalten allein noch keine abschließende Subsumtion unter den jeweiligen Tatbestand der versicherten Tätigkeit erlaubt, diese aber auch nicht ausschließt, kann die finale Ausrichtung des Handelns auf die Erfüllung des jeweiligen Tatbestandes, soweit die Intention objektiviert ist (sog objektivierte Handlungstendenz), die Subsumtion tragen. Die bloße Absicht einer Tatbestandserfüllung reicht hingegen nicht“. (Herv.d.V.)
Bestätigt wird indirekt auch, dass es sich bei Wegen innerhalb des Wohnhauses alleine um einen versicherten Betriebsweg nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII und nicht um einen Wegeunfall nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII handeln kann. Dies ist zutreffend, schon aufgrund des dortigen Fehlens der spezifischen Gefahren des Straßenverkehrs (vgl. Spellbrink, NZS 2016, 527).
Klarheit für alle Unfälle im Home-Office?
Gerade durch das Home-Office überlagert sich die berufliche sowie die private Sphäre. Dies birgt das Risiko, dass private Unfälle in weit höherem Ausmaß als früher der beruflichen Tätigkeit zugeschreiben werden. Es ist meist nur schwer festzustellen, ob der Gang die Kellertreppe hinab im Einzelfall privat oder beruflich motiviert war. Mit dem Erfordernis der objektivierten Handlungstendenz wird ein objektives, dem Beweis zugängliches Minimum verlangt. Dies ist angebracht, da das alleinige Abstellen auf subjektive, intrinsische Aspekte den Unfallversicherungsschutz der Beliebigkeit des Verunfallten preisgeben würde. Die Kasuistik des Bundessozialgerichts schafft hier einen angemessenen Interessenausgleich.
Aufgrund der zahlreichen dienstlichen Aspekte rund um das Unfallgeschehen im entschiedenen Fall war die objektivierte Handlungstendenz gut auszumachen. Wegen dieser Signifikanz eignete sich der Fall nicht zur dezidierten Auseinandersetzung mit den einzelnen Indizien. Diese wird mit weiteren Entscheidungen erfolgen müssen, da die meisten Unfälle im Home-Office in ihrer Bewertung weniger klar angelegt sein dürften.
Auswirkung auf die Praxis
Es ist anzunehmen, dass das Bundessozialgericht seine bisherige Linie fortsetzen wird. Von besonderem Interesse werden dabei die Präzisierung und Gewichtung der einzelnen Indizien der Objektivierung sein. Insbesondere der Zeitpunkt und der Bezug des Unfallortes zur beruflichen Tätigkeit werden, sofern andere Umstände wie das dienstliche Notebook unter dem Arm oder der unmittelbar bevorstehende Termin fehlen, wichtig sein.
Arbeitnehmer sollten die objektiven Umstände zeitnah dokumentieren, denn im Zweifelsfall gehen Beweisschwierigkeit zu ihren Lasten. Außerdem ist zu erwarten, dass die Träger der Unfallversicherung Unfällen im Home-Office auch weiterhin mit einer gewissen Skepsis begegnen werden.

Küttner Rechtsanwälte
(Köln)
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