Das Thema
Mit Urteil vom 25.07.2023 (9 AZR 43/22) stellte das BAG klar, dass der Fremdgeschäftsführer einer GmbH Arbeitnehmer im Sinne des BUrlG sein kann und daher Urlaubsabgeltung von noch offenen Urlaubsansprüchen wegen Beendigung des Vertragsverhältnisses verlangen kann. Die Entscheidung hat erhebliche Konsequenzen für den Umgang mit Urlaubsansprüchen von Fremdgeschäftsführern, die hier näher beleuchtet werden sollen.
Der Fall
Die Klägerin war zunächst aufgrund eines Dienstvertrages als Geschäftsführerin der beklagten GmbH beschäftigt. Nach dem Gesellschaftsvertrag der Beklagten konnte ein Geschäftsführer jederzeit abberufen werden. Die Klägerin wurde ab dem Jahre 2018 bei einer zur Unternehmensgruppe der Beklagten gehörenden Gesellschaft zur Durchführung von Dienstleistungs- und Beratungstätigkeiten im Rahmen einer vorgegebenen Arbeitszeit von 07:00 bis 18:00 Uhr eingesetzt. Inhaltlich musste die Klägerin vormittags am Telefon eine sog. „Kaltakquise“ durchführen, am Nachmittag hatte sie in eigener Initiative Leistungen anzubieten und wurde im Außendienst, zu Kundenbesuchen und mit Kontroll- und Überwachungsaufgaben eingesetzt. Dabei hatte sie wöchentlich 40 Telefonate und 20 Besuche nachzuweisen. Ergänzend führte die Klägerin Vorstellungsgespräche und Einstellungsverhandlungen.
Von dem der Klägerin zustehenden Urlaubsanspruch in Höhe von 33 Arbeitstagen nahm die Klägerin im Jahre 2019 elf Arbeitstage und im Jahr 2020 nahm die Klägerin keinen Urlaub. Hinweise auf die noch offenen Urlaubsansprüche seitens der Beklagten gab es nicht. Nach Niederlegung des Amtes als Geschäftsführerin kündigte die Klägerin das Vertragsverhältnis durch Kündigung aus Oktober 2019 zu Ende Juni 2020. Bis zur Beendigung dieses Vertragsverhältnisses erbrachte die Klägerin keine Arbeitsleistung mehr für die Beklagte und legte entsprechende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor.
Das ArbG Minden gab der Klage auf Urlaubsabgeltung für die Jahre 2019 und 2020 im Wesentlichen statt. Die hiergegen gerichtete Berufung hat das LAG Hamm zurückgewiesen.
Das BAG hat das Urteil des LAG bestätigt und die Revision der Beklagten für unbegründet gehalten.
Fremdgeschäftsführer als Arbeitnehmer im Sinne des Bundesurlaubsgesetzes
Nach Ansicht des BAG ist die Klägerin als Fremdgeschäftsführerin Arbeitnehmerin im Sinne des § 2 BUrlG. Dies ergebe sich aus einer mit Art. 7 der Richtlinie (RL) 2003/88/EG konformen Auslegung des Gesetzes. Nach der Rechtsprechung des EuGH sei Arbeitnehmer im Sinne der Richtline, wer während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringe, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhalte. Bei Mitgliedern eines Leitungsorgans einer Kapitalgesellschaft hänge die Eigenschaft als Arbeitnehmer von den Bedingungen ab, unter denen das Mitglied des Leitungsorgans bestellt wurde, der Art der ihm übertragenen Aufgaben, dem Rahmen, in dem diese Aufgaben ausgeführt werden, dem Umfang der Befugnisse des Mitglieds und der Kontrolle, der es innerhalb der Gesellschaft unterliegt, sowie den Umständen, unter denen es abberufen werden kann.
Gemessen daran sei die Klägerin aufgrund der Vorgaben zur Arbeitszeit und den Aufgaben im Rahmen der Dienstleistungs- und Beratungstätigkeiten als Arbeitnehmerin anzusehen. Für eine Eigenschaft als Arbeitnehmerin spreche auch, dass eine Abberufung aufgrund des Gesellschaftsvertrages jederzeit möglich gewesen sei. Schließlich bestünden keine Anhaltspunkte, dass die Klägerin als Mehrheitsgesellschafterin tätig gewesen sei oder eine Sperrminorität besessen habe.
Daher sei nach den §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG ein gesetzlicher Urlaubsanspruch entstanden. Soweit der (Rest-)Urlaub wegen Beendigung des Vertragsverhältnisses nicht mehr genommen werden könne, sei dieser abzugelten. Dass die Klägerin ihr Geschäftsführeramt niedergelegt habe, sei ebenfalls unerheblich. Somit habe das LAG die bestehenden Urlaubsabgeltungsansprüche der Klägerin der Höhe nach zutreffend mit 22 Arbeitstagen für das Jahr 2019 und 16,5 Arbeitstagen für das Jahr 2020 berechnet.
Anwendbarkeit des Bundesurlaubsgesetzes auf Fremdgeschäftsführer nach BAG
Die Entscheidung hat Konsequenzen sowohl für die vertragliche Gestaltung von Dienstverträgen mit Geschäftsführern, als auch für die Prozesse im Rahmen des laufenden Vertragsverhältnisses.
Zunächst ist die seit Jahren schwelende Diskussion um die Anwendbarkeit des BUrlG auf Fremdgeschäftsführer erledigt. Fremdgeschäftsführer einer GmbH können nicht mehr pauschal vom Anwendungsbereich des BUrlG ausgenommen werden. Insoweit hat das BAG mit der vorliegenden Entscheidung nunmehr für Klarheit gesorgt. Die Entscheidung hat eine gewisse Indizwirkung, dass ein Fremdgeschäftsführer typischerweise Arbeitnehmer im Sinne des BUrlG ist. Dies ist auch überzeugend, weil der Fremdgeschäftsführer generell an die Weisungen der Gesellschafterversammlung gebunden ist, ohne diese inhaltlich beeinflussen zu können. Zudem schuldet er unter anderem Auskunft und Rechenschaft gegenüber der Gesellschafterversammlung und hat sich bspw. regelmäßig mit den anderen Führungskräften abzustimmen. Ausnahmen bleiben je nach inhaltlicher Ausgestaltung der Tätigkeit des Fremdgeschäftsführers und unter Berücksichtigung der Eigenheiten in der vorliegenden Konstellation aber denkbar.
Das Ergebnis einer Anwendbarkeit des BUrlG auf Fremdgeschäftsführer mit der Rechtsprechung des BAG wird dann im Regelfall unabhängig davon sein, ob in der GmbH ein mitbestimmter Aufsichtsrat nach dem MitbestG 1976 besteht oder nicht. Zwar verkompliziert die Anwendbarkeit des Aktienrechts die Rechtslage, weil der Fremdgeschäftsführer nach § 31 MitbestG in Verbindung mit § 84 Abs. 4 AktG nur aus wichtigem Grund abberufen werden kann und daher eines der auch vom BAG aufgegriffenen Kriterien für eine Einordnung des Fremdgeschäftsführers als Arbeitnehmer entfällt. Allerdings werden die anderen Kriterien in der Regel noch den Ausschlag zugunsten einer Einordnung des Fremdgeschäftsführers als Arbeitnehmer bewirken. Insbesondere das Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung bleibt aufgrund des § 30 MitbestG unberührt.
Divergenz zwischen Rechtsprechung von BAG und BGH
Unabhängig davon führt die Entscheidung zu einer gewissen Divergenz zwischen der Rechtsprechung des BAG und des BGH.
So hat der BGH bisher für den Fremdgeschäftsführer einer GmbH die Geltendmachung eines Status als Arbeitnehmer und die Anwendung arbeitsrechtlicher Schutzgesetze in der Regel abgelehnt (vgl. etwa BGH, Urt. v. 10.05.2010 – II ZR 70/09). Da der Fremdgeschäftsführer aufgrund seiner Organstellung die Rechte und Pflichten des Arbeitgebers im Sinne der arbeits- und sozialrechtlichen Vorschriften für die Gesellschaft wahrnehme, könne er nicht zugleich Arbeitnehmer und damit Adressat arbeitsrechtlicher Weisungen sein. Ob die Anwendung des europarechtlichen Arbeitnehmerbegriffs hier zu einer Rechtsprechungsänderung – etwa im Rahmen des BUrlG – führen wird, ist möglich, aber offen.
Gelegenheit zu einer Entscheidung wird der BGH in jedem Falle haben. Während das BAG hier den Rechtsweg über § 2 Abs. 3 ArbGG aufgrund von in der Revision nicht mehr relevanten Entgeltfortzahlungsansprüchen eröffnet hat, sind bei einer Klage des Fremdgeschäftsführers einer GmbH auf Urlaubsabgeltung in der Regel mangels Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Arbeitsgerichten die ordentlichen Gerichte nach § 13 GVG zuständig (s. BAG, Beschl. v. 08.02.2022 – 9 AZB 40/21, Rn. 19 ff.).
(Fehlende) Übertragbarkeit der Grundsätze auf Gesellschafter-Geschäftsführer
Spannend ist darüber hinaus die sich aus der Entscheidung des BAG ergebende Folgefrage, ob auch Gesellschafter-Geschäftsführer als Arbeitnehmer unter das BUrlG fallen. Für den Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer wird man dies in der Regel wie beim Fremdgeschäftsführer bejahen können. Dieser unterliegt den Weisungen der Gesellschafterversammlung und hat aufgrund seiner Minderheitsbeteiligung keinen erheblichen Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft. Allerdings sind aufgrund der gesellschaftsvertraglichen Regelungen Ausnahmen denkbar: Kann der Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer z.B. über eine vertraglich eingeräumte Sperrminorität Mehrheitsbeschlüsse der Gesellschafter verhindern oder muss er aufgrund eines ihm vertraglich eingeräumten Vetorechts bestimmte Weisungen nicht befolgen, kann dies die Arbeitnehmereigenschaft des Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer im Sinne des BUrlG wieder beseitigen.
Mit der Rechtsstellung des Allein- oder Mehrheitsgesellschafters scheint eine Einordnung als Arbeitnehmer im Sinne des BUrlG hingegen grundsätzlich unvereinbar. Beide haben von der Gesellschafterversammlung keine Weisungen gegen ihren Willen zu erwarten. Für den Alleingesellschafter folgt dies schon aus dieser Eigenschaft selbst, führ den Mehrheitsgesellschafter zumindest aus der Tatsache, dass er seine Interessen im Regelfall gegen den Willen der Minderheit durchsetzen kann. Insoweit können Unternehmen die Urlaubsansprüche also gänzlich frei gestalten.
Möglicher Verfall und Hinweispflicht gegenüber dem Geschäftsführer
Der entstandene gesetzliche Urlaubsanspruch des Geschäftsführers im Anwendungsbereich des BUrlG verfällt somit grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahres bzw. des Übertragungszeitraums. Dafür muss das Unternehmen den Geschäftsführer künftig aber entsprechend der Situation bei Arbeitnehmern förmlich dazu auffordern, den Erholungsurlaub zu nehmen und zugleich mitteilen, dass der Urlaubsanspruch bei Nichtwahrnehmung verfällt. Zuständig ist hierfür grundsätzlich die Gesellschafterversammlung, da diese auch für Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer zuständig ist (§ 46 Nr. 5 GmbHG). Sofern aber im Gesellschaftervertrag die Kompetenz für die Bestellung/Abberufung auf ein anderes Organ wie den Aufsichtsrat oder einen Beirat verlagert wird, geht auch die Zuständigkeit für die Hinweispflicht auf dieses Organ über. Im Falle einer dem MitbestG unterliegenden GmbH ist der Aufsichtsrat ohnehin zuständig.
Folgen über gesetzlichen Anspruch auf Urlaubsabgeltung hinaus
In der Folge sind noch bestehende und nicht verfallene gesetzliche Urlaubsansprüche, die wegen Beendigung des Vertragsverhältnisses nicht mehr genommen werden konnten, abzugelten.
Sofern der Fremdgeschäftsführer Arbeitnehmer im Sinne des BUrlG ist, kann nach der Entscheidung des BAG von einer Anwendbarkeit des BUrlG auf Fremd- (und Minderheitsgesellschafter-) Geschäftsführer insgesamt grundsätzlich ausgegangen werden.
- Mithin ist unter anderem eine Anrechnung auf den Jahresurlaub bei Erkrankung zu unterlassen (§ 9 BUrlG),
- der Geschäftsführer unterliegt während des Urlaubs einem Verbot anderweitiger Erwerbstätigkeit, soweit der Urlaubszweck gefährdet wird (§ 8 BUrlG) und
- der Geschäftsführer muss sich Urlaub von einem anderen Arbeitgeber anrechnen lassen (§ 6 BUrlG).
- Weitere Probleme in diesem Zusammenhang betreffen zum Beispiel die Art und Weise der Gewährung des Urlaubs oder die Berechnung möglicher Ansprüche auf Urlaubsgeld.
Notwendige Regelungen im Geschäftsführerdienstvertrag
Vor diesem Hintergrund muss bei Anwendbarkeit des BUrlG auf Geschäftsführer im Dienstvertrag zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und vertraglichem Mehrurlaub unterschieden und vor allem der Verfall explizit geregelt werden. Zudem sollten in diesen Fällen auch die sonstigen arbeitnehmertypischen Formulierungen, bspw. zur vorrangigen Gewährung des gesetzlichen Mindesturlaubs und zu den weiteren Modalitäten (z.B. Abstimmung mit anderen Geschäftsführern und der Gesellschaft), aufgenommen werden. Für den vertraglichen Mehrurlaub ist aber auch in Abhängigkeit von der Interessenlage eine Klarstellung zur Anwendung des BUrlG im Vertrag denkbar.
Fazit
Die Gestaltung und Durchführung von Geschäftsführerdienstverträgen bleibt komplex. Für den Teilbereich des Urlaubsanspruchs von Fremdgeschäftsführern hat das BAG nach dem überzeugenden Urteil ein Mehr an Rechtssicherheit geschaffen. Die Konsequenzen dieser Entscheidung müssen künftig bei der Gestaltung und Überarbeitung von Dienstverträgen mit Geschäftsführern unter Beachtung der gesellschaftsrechtlichen Verzahnung der Thematik zwingend beachtet werden. Parallel wird man die Entwicklung im Bereich anderer, europarechtlich determinierter Gesetze wie dem AGG abzuwarten haben.