Das Thema
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 25. August 2022 (8 AZR 14/22) entschieden, dass die durch einen nicht dem Pflegebereich angehörenden Arbeitgeber an eine Arbeitnehmerin ausgezahlte Corona-Prämie als Erschwerniszulage nach § 850a Nr. 3 ZPO unpfändbar ist, wenn ihr Zweck in der Kompensation einer coronabedingten, im Einzelfall tatsächlich gegebenen Erschwernis bei der Arbeitsleistung liegt, soweit die Prämie den Rahmen des Üblichen nicht übersteigt. Die #EFAR-Redaktion berichtete bereits zu dieser Entscheidung.
Einzelheiten zum Sachverhalt
Die Arbeitnehmerin war vom 1. Juli 2020 bis zum 31. Dezember 2020 bei dem beklagten Arbeitgeber, der eine Gaststätte betrieb, zum Teil als Küchenhilfe und zum Teil als Thekenkraft mit entsprechendem Kundenkontakt beschäftigt. Die monatliche Bruttovergütung betrug 1.350,00 €. Im September 2020 zahlte der beklagte Arbeitgeber an die Arbeitnehmerin neben der monatlichen Bruttovergütung in Höhe von 1.350,00 € und Sonntagszuschlägen in Höhe von 66,80 € brutto zusätzlich eine sogenannte „Corona-Unterstützung“ in Höhe von 400,00 € aus.
Durch amtsgerichtlichen Beschluss vom 18. August 2015 wurde über das Vermögen der Arbeitnehmerin das Insolvenzverfahren eröffnet und die Klägerin zur Insolvenzverwalterin bestellt.
Die Klägerin errechnete ausgehend von einer pfändungsrelevanten Nettovergütung in Höhe von 1.440,47 EUR (Nettovergütung inklusive „Corona-Unterstützung“, ohne Sonntagszuschläge) für den Monat September 2020 einen pfändbaren Betrag in Höhe von 182,99 EUR netto und forderte den beklagten Arbeitgeber auf, diesen Betrag bis spätestens zum 5. November 2020 an sie zu zahlen.
Der beklagte Arbeitgeber lehnte die Zahlung unter Verweis auf die Unpfändbarkeit der Corona-Sonderzahlung ab, woraufhin die Klägerin Zahlungsklage vor dem Arbeitsgericht Braunschweig erhob.
Das Arbeitsgericht Braunschweig (Urteil vom 10.3.2021 – 4 Ca 515/20) hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen (Urteil vom 25.11.2021 – 6 Sa 216/21) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Diese verfolgte ihr Zahlungsbegehren anschließend mit der Revision zum Bundesarbeitsgericht weiter.
Unpfändbarkeit der Corona-Sonderzahlung: Die Überlegungen des BAG
Das Bundesarbeitsgericht hat die Revision der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen.
Der Klägerin stehe kein Anspruch gegen den beklagten Arbeitgeber auf Zahlung von 182,99 Euro nebst Zinsen zu.
Zahlt ein Arbeitgeber, der nicht dem Pflegebereich zuzuordnen ist, freiwillig an seine Arbeitnehmer eine Corona-Sonderzahlung aus, so sei diese Leistung als Erschwerniszulage nach § 850a Nr. 3 ZPO einzuordnen und damit unpfändbar, wenn ihr Zweck in der Kompensation einer coronabedingten tatsächlichen Erschwernis bei der Arbeitsleistung liegt, soweit die Prämie den Rahmen des Üblichen nicht übersteigt. Diese Voraussetzungen bejahte das Bundesarbeitsgericht in Bezug auf den vorliegenden Fall.
Zwar habe die Arbeitnehmerin gegen den beklagten Arbeitgeber im September 2020 einen Anspruch auf Leistung einer Corona-Sonderzahlung in Höhe von 400,00 € und damit auf in Geld zahlbares Arbeitseinkommen im Sinne von § 850 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 4 ZPO erworben. Dieser Anspruch sei jedoch wegen Unpfändbarkeit der Corona-Sonderzahlung nicht in die Insolvenzmasse der Arbeitnehmerin gelangt. Gemäß § 36 Abs. 1 S. 1 InsO gehören Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, nicht zur Insolvenzmasse, wobei nach § 36 Abs. 1 S. 2 InsO die §§ 850, 850a, 850c, 850e, 850f Abs. 1, 850g bis 850k, 851c und 851d ZPO entsprechende Anwendung finden.
Die von dem beklagten Arbeitgeber an die Arbeitnehmerin ausgezahlte Corona-Sonderzahlung ist nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts als Erschwerniszulage nach
§ 850a Nr. 3 ZPO einzuordnen und damit unpfändbar.
Gemäß § 850a Nr. 3 ZPO unpfändbar sind Aufwandsentschädigungen, Auslösungsgelder und sonstige soziale Zulagen für auswärtige Beschäftigungen, das Entgelt für selbstgestelltes Arbeitsmaterial, Gefahrenzulagen sowie Schmutz- und Erschwerniszulagen, soweit diese Bezüge den Rahmen des Üblichen nicht übersteigen.
Eine Erschwernis im Sinne von § 850a Nr. 3 ZPO setzt dabei nach ständiger Rechtsprechung eine besondere Belastung bei der bzw. durch die Erbringung der Arbeitsleistung voraus (vgl. BAG Urteil vom 23.08.2017 – 10 AZR 859/16; BGH Beschluss vom 29.06.2016 – VII ZB 4/15). Die im Einzelfall tatsächlich gegebene Erschwernis muss jedoch weder berufsspezifisch noch dauerhaft mit der Erbringung der Arbeitsleistung verbunden sein. Der Begriff der Erschwerniszulage sei weit zu verstehen und nicht auf die der Ausübung der Arbeit innewohnenden Belastungen begrenzt (BAG Urteil vom 23.8.2017 – 10 AZR 859/16). Es reiche vielmehr aus, wenn die Tätigkeit im Einzelfall nur vorübergehend mit Erschwernissen verbunden ist.
Der Zweck der der Arbeitnehmerin durch den beklagten Arbeitgeber gewährten Corona-Sonderzahlung läge vorliegend in der Kompensation einer coronabedingten tatsächlichen Erschwernis bei der Arbeitsleistung. Das mit der Tätigkeit der Arbeitnehmerin als Thekenkraft mit Kundenkontakt verbundene höhere Risiko einer Ansteckung mit dem Corona-Virus sei als Erschwernis bei der Arbeitsleistung einzuordnen, dem die Arbeitnehmerin während der Erbringung ihrer Arbeitsleistung auch tatsächlich ausgesetzt ist. Das höhere Ansteckungsrisiko resultiere vor allem aus dem Umstand, dass die Kunden zum Verzehr von Getränken und Speisen ihre Masken zumindest vorübergehend ablegen müssten. Die Arbeitnehmerin sei bei der Erbringung ihrer Arbeitsleistung zudem einer besonderen psychischen Belastung ausgesetzt, da es zum streitgegenständlichen Zeitpunkt kein wirksames Medikament gegen das Corona-Virus gab und auch noch kein Impfstoff zur Verfügung stand.
Zur Einordnung der Corona-Sonderzahlung als Erschwerniszulage
Der Einordnung der Corona-Sonderzahlung als Erschwerniszulage stünde auch die Regelung des § 150a Abs. 1, Abs. 8 S. 4 SGB XI für den Pflegebereich nicht entgegen:
Gemäß § 150a Abs. 1 SGB XI sind die zugelassenen Pflegeeinrichtungen sowie die Arbeitgeber, die Arbeitnehmer bei solchen Einrichtungen im Wege der Arbeitnehmerüberlassung oder eines Werk- oder Dienstleistungsvertrags einsetzen, dazu verpflichtet, ihren Beschäftigten im Jahr 2020 zum Zweck der Wertschätzung für die besonderen Anforderungen während der Coronavirus-SARS-CoV-2-Pandemie eine für jeden Beschäftigten einmalige Sonderleistung nach Maßgabe von § 150a Abs. 2 bis Abs. 6 und Abs. 8 SGB XI zu zahlen (Corona-Prämie). Nach § 150a Abs. 8 S. 4 SGB XI ist diese Corona-Prämie unpfändbar.
Bei dieser Regelung handele es sich nach Ansicht des Bundesarbeitsgericht um eine spezialgesetzliche Regelung für den Pflegebereich, mit der der Gesetzgeber keinerlei Aussage im Hinblick auf eine etwaige Pfändbarkeit von Corona-Prämien, welche vom Arbeitgeber freiwillig an Arbeitnehmer außerhalb des Anwendungsbereichs der Vorschrift gezahlt werden, getroffen habe.
Etwas anderes ergäbe sich auch nicht aus dem Umstand, dass Corona-Sonderzahlungen bis zu einem Betrag in Höhe von 1.500,00 Euro steuer- und sozialversicherungsfrei ausgezahlt werden dürfen.
Die an die Arbeitnehmerin ausgezahlte Corona-Sonderzahlung in Höhe von 400,00 Euro überstieg auch nicht den Rahmen des Üblichen im Sinne von § 850a Nr. 3 ZPO. Die Üblichkeit bestimmt sich unter Rückgriff auf § 3 Nr. 11a EStG, der insoweit einen Betrag in Höhe von 1.500,00 EUR vorsieht.
Bewertung: BAG bringt Licht ins Dunkle
Während die Unpfändbarkeit einer Corona-Sonderzahlung für den Bereich der Pflege ausdrücklich gesetzlich geregelt wurde, unterblieb eine derartige klarstellende Regelung für alle übrigen Wirtschaftsbereiche. Gleichwohl wurde auch in den übrigen Wirtschaftsbereichen vielfach von der Möglichkeit der Auszahlung einer steuer- und sozialversicherungsfreien Corona-Prämie an Arbeitnehmer Gebrauch gemacht.
Mit der vorliegenden Entscheidung bringt das Bundesarbeitsgericht im Hinblick auf die bislang umstrittene Frage der (Un-)Pfändbarkeit von Corona-Sonderzahlungen in wünschenswerter Weise Licht ins Dunkle.