Das Thema
In der aktuellen Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg vom 09.08.2019 (9 Sa 1874/18) stellten sich mehrere Rechtsfragen. Zum einen, bis zu welchem Zeitraum eine Verkürzung der Arbeitszeit im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG noch als vorrübergehend anzusehen ist. Zum anderen, ob eine Tarifüblichkeit und die Anwendung einer Öffnungsklausel bereits durch die Existenz einer Regelung in einem von mehreren anwendbaren Tarifverträgen zu bejahen ist.
Auch war zu prüfen, ob die (vorrübergehende) Verkürzung der Arbeitszeit durch Regelung in einer freiwilligen Betriebsvereinbarung überhaupt möglich war: Gemäß § 77 Abs. 3 BetrVG können Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein (Regelungssperre). Dies gilt nur dann nicht, wenn ein Tarifvertrag den Abschluss von Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt (Öffnungsklausel) oder (sofern kein abschließenden Tarifvertrag Anwendung findet) wenn die Mitbestimmungsrechte des § 87 Abs. 1 BetrVG einschlägig sind.
Mehrere Gewerkschaften, mehrere Tarifverträge und die Kürzung der wöchentlichen Arbeitszeit
Im Jahr 1991 erhielt die Klägerin von der tarifgebundenen Rechtsvorgängerin der beklagten Bank ein Schreiben, in dem diese u.a. auf die Geltung des Tarifvertrags der V. und R. hingewiesen wurde. Hiermit erklärte sich die klagende Mitarbeiterin einverstanden.
Mit den Gewerkschaften HBV, DAG, DBV und DHV wurden lange Zeit gleichlautende Tarifverträge abgeschlossen. Der letzte gleichlautende Tarifvertrag zur Änderung des Manteltarifvertrags wurde mit der Gewerkschaft ver.di befristet bis Ende 2008 abgeschlossen. Hierin wurde u.a. eine Öffnungsklausel zur Beschäftigtensicherung aufgenommen, wonach eine Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit auf bis zu 31 Stunden pro Woche via Abschluss einer freiwilligen Betriebsvereinbarung möglich sein sollte.
Im Gegensatz zur vorherigen Arbeitgeberin war die beklagte Bank, die das Arbeitsverhältnis im Jahr 2009 übernommen hat, nicht Mitglied eines Arbeitgeberverbandes.
Der Arbeitgeberverband vereinbarte 2016 mit den Gewerkschaften DBV und DHV einen bis zum 31. Dezember 2019 befristeten Manteltarifvertrag, der u.a. ebenfalls eine Öffnungsklausel zur Beschäftigungssicherung regelt. Hiernach sollte die Kürzung der wöchentlichen Arbeitszeit um zwanzig Prozent via Abschluss einer Betriebsvereinbarung möglich sein.
Die beklagte Bank und der in ihrem Betrieb bestehende Betriebsrat schlossen im Jahr 2017 eine Betriebsvereinbarung, wonach in einem Zeitraum von 30 Monaten die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von in Vollzeit beschäftigten Mitarbeitern zur Sicherung der Arbeitsplätze um 2,5 Stunden wöchentlich, d.h. von 39 Stunden auf 36,5 Stunden wöchentlich reduziert werden soll. Zudem sieht die Betriebsvereinbarung vor, dass für die gekürzte Arbeitszeit ein Teillohnausgleich in Höhe von zwanzig Prozent gezahlt wird, d.h. statt 39 Stunden-Woche sollen bei einer verkürzten (Vollzeit) Arbeitszeit von 36,5 Stunden nur 37 Stunden vergütet werden.
Der Klägerin wurde von ihrer Arbeitgeberin, einer Berliner Bank, mitgeteilt, dass für die Dauer von 30 Monaten – aufgrund der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage – die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit für alle Vollzeitbeschäftigten um 2,5 Stunden verkürzt werde.
Hiergegen wehrt sich die Mitarbeiterin mit ihrer Klage und macht geltend, auch in den 30 Monaten Anspruch auf Zahlung ihres regelmäßigen Gehalts auf Basis einer 39 Stunden Woche zu haben; die Beschäftigung für 2,5 Mehrstunden klagte sie allerdings nicht ein.
Verkürzung der Arbeitszeit über einen Zeitraum von 30 Monaten ist nicht (mehr) vorrübergehend
Das Arbeitsgericht gab der Klage statt, die Berufung der beklagten Bank blieb ebenfalls ohne Erfolg. Nach Auffassung des LAG handelt es sich bei der Vereinbarung einer verkürzten Arbeitszeit über einen Zeitraum von 30 Monaten um keine vorrübergehende Verkürzung der Arbeitszeit im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG.
Aufgrund der Tarifsperre des § 77 Abs. 3 BetrVG sei der Abschluss einer freiwilligen Betriebsvereinbarung zudem nicht möglich, sodass der Mitarbeiterin auch für die 30 Monate das volle Gehalt zustehe.
Als nicht mehr vorrübergehend anzusehen ist eine Verkürzung oder Verlängerung, die von vornherein für mehrere Jahre festgeschrieben wird. Eine Regelung der Arbeitszeit für über zwei Jahre macht diese Arbeitszeit zur prägenden üblichen Arbeitszeit.
Arbeitszeit wird üblicherweise durch Tarifvertrag geregelt
Folgerichtig handelt es sich nicht um eine Betriebsvereinbarung im Sinne des § 87 Abs. 1 BetrVG, sodass es für die Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung auf die Anwendbarkeit von § 77 Abs. 3 BetrVG ankommt.
Nach der Auffassung des Gerichts handelt es sich bei der Regelung der Arbeitszeit – unabhängig von dem geschlossenen Manteltarifvertrag – um eine Arbeitsbedingung, die üblicherweise durch Tarifvertrag geregelt wird. Der Tarifüblichkeit steht nicht entgegen, dass in der Zwischenzeit mit ver.di keine neue Regelung betreffend der regelmäßigen Arbeitszeit abgeschlossen wurde.
Es fehlt vorliegend zudem an einer Öffnungsklausel aller in Betracht kommender Tarifverträge, die aktuell oder im Sinne der Tarifüblichkeit für den maßgeblichen Geltungsbereich Geltung beanspruchen. Eine Öffnungsklausel nur in einem von mehreren üblicherweise anzuwendenden Tarifverträgen für einen bestimmten Geltungsbereich, reicht nicht aus, um eine Betriebsvereinbarung zuzulassen. Alles andere ist mit der Sperrwirkung eines jeden dieser vorhandenen Tarifverträge nicht vereinbar. Dies gilt jedenfalls, soweit mangels arbeitgeberseitiger Tarifbindung keiner dieser Tarifverträge unmittelbare Anwendung findet.
Achtung: Gleiches Gericht – andere Meinung zu “vorrübergehend”
Erst einen Monat zuvor hatte die 10. Kammer des LAG Berlin-Brandenburg am 25. Juli 2019 (10 Sa 82/19) entschieden, dass eine Arbeitszeitverkürzung um 2,5 Stunden mit einem 20%‑igen Lohnausgleich für 30 Monate (wie im hiesigen Fall) vorrübergehend im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG sei.
Die Entscheidung der 10. Kammer ist nicht nachvollziehbar, dagegen verdient die hiesige Entscheidung im Hinblick auf die Frage, bis zu welchem Zeitraum eine Regelung noch als vorrübergehend zu erachten ist, Zustimmung. Bei einer Verkürzung von über zwei Jahren handelt es sich nicht mehr um einen vorrübergehenden Zeitraum. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass Arbeitsverhältnisse teilweise gar nicht so lange bestehen.
Statische Bezugnahme und Öffnungsklausel
Bei der Regelung zur Arbeitszeit handelt es sich um Arbeitsbedingungen, die üblicherweise in Tarifverträgen geregelt sind (u.a. in dem Manteltarifvertrag, auf den sich der Arbeitsvertrag der Parteien bezieht). Der arbeitsvertragliche Verweis enthält allerdings eine statische Bezugnahme auf den Manteltarifvertrag und bezieht sich damit nicht auf Aktualisierungen dieses Tarifvertrags, sodass die im Tarifvertrag aus dem Jahr 2016 enthaltene Öffnungsklausel richtigerweise nicht anzuwenden ist. Aus Sicht der Verfasserin kann die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG auch nicht durch eine Öffnungsklausel, welche in nur einem von mehreren Tarifverträgen enthalten ist, entkräftet werden. Andernfalls wäre die Tarifautonomie beeinträchtigt.
Aus der Entscheidung ist allerdings nicht zu entnehmen, welche Tarifverträge es ansonsten noch in diesem Geltungsbereich gibt und wie diese sich zu dem Abschluss von diesbezüglichen Betriebsvereinbarungen verhalten.
Darüber hinaus wäre aus Sicht der Verfasserin eine andere Entscheidung zwingend, wenn es sich bei der Bezugnahmeklausel um eine dynamische Verweisung handelt, da ansonsten die negative Koalitionsfreiheit des Arbeitgebers verletzt wäre. Der Arbeitgeber wäre in diesem Fall gezwungen, die konkreten tarifvertraglichen Bestimmungen kraft dynamischer Bezugnahme anzuwenden, sodass ihm in diesem Fall auch ein Berufen auf die darin enthaltene Öffnungsklausel möglich sein müsste.
Höchstrichterliche Klärung wird mit Spannung erwartet
Die Revision wurde für die beklagte Bank zuglassen, sodass die Entscheidung des BAG nun mit Spannung erwartet wird. Die Auswirkung von Öffnungsklauseln konkurrierender Gewerkschaften auf die Grenzen möglicher Betriebsvereinbarungen nach § 77 Abs. 3 BetrVG sowie die Frage, welcher Zeitraum noch als vorrübergehend zu erachten ist, ist bislang höchstrichterlich noch nicht geklärt.