Das Thema
Eine solche Versetzung soll nach einem Urteil vom 30. November vorbehaltlich einer anderweitigen Regelung grundsätzlich im Wege des Weisungsrechts nach § 106 Satz 1 GewO möglich sein, die Zuweisung eines Arbeitsorts im Ausland aber – wie jede Ausübung des Weisungsrechts des Arbeitgebers – einer gerichtlichen Billigkeitskontrolle nach § 106 Satz 1 GewO, § 315 Abs. 1 BGB unterliegen (BAG, Urt. v. 30.11.2022 – 5 AZR 336/21).
Der Fall
Streitgegenstand
Die Parteien, ein Luftverkehrsunternehmen mit Sitz im europäischen Ausland und ein bei ihr in Deutschland beschäftigter Pilot, streiten über die Versetzung ins innereuropäische Ausland
Arbeitsvertragliche Regelung
Der bei einem Luftverkehrsunternehmen mit Sitz im europäischen Ausland (in Irland) als Pilot aufgrund eines Arbeitsvertrages nach irischem Recht beschäftigte Kläger war am Flughafen Nürnberg stationiert, wobei der Arbeitsvertrag vorsah, dass er auch an anderen Orten stationiert werden kann.
Versetzung ins Ausland
Nachdem die Beklagte die „Homebase“ am Flughafen Nürnberg Ende März 2020 aufgegeben hatte, versetzte sie den Kläger mit Schreiben vom 20.01.2020 mit Wirkung zum 30.04.2020 an ihre Homebase am Flughafen Bologna. Vorsorglich sprach sie eine entsprechende Änderungskündigung aus, die der Kläger unter dem Vorbehalt ihrer sozialen Rechtfertigung annahm.
Divergierende Auffassungen
Der Kläger hielt seine Versetzung nach Bologna für unwirksam, mit der Begründung, das Weisungsrecht des Arbeitgebers nach § 106 Satz 1 GewO erfasse nicht eine Versetzung ins Ausland; zumindest sei eine solche unbillig, weil ihm sein tariflicher Vergütungsanspruch entzogen werde und ihm auch ansonsten erhebliche Nachteile entstünden. Die Beklagte war demgegenüber der Auffassung, auch eine Versetzung ins Ausland sei zulässig, zumal als Alternative nur eine betriebsbedingte Beendigungskündigung in Betracht gekommen wäre; außerdem wahre die Entscheidung billiges Ermessen, da alle an der Homebase Nürnberg stationierten Piloten ins Ausland versetzt worden seien und ein freier Arbeitsplatz an einem inländischen Stationierungsort nicht vorhanden gewesen sei.
Die Entscheidung
Nachdem bereits sowohl das Arbeitsgericht (ArbG Nürnberg, Urt. v. 29.10.2020 – 9 Ca 797/20) als auch das Landesarbeitsgericht (LAG Nürnberg, Urt. v. 23.4.2021 – 8 Sa 450/20) die Versetzung des Klägers an die Homebase der Beklagten am Flughafen Bologna als nach § 106 Satz 1 GewO wirksam angesehen hatten, blieb nun auch die hiergegen gerichtete Revision des Klägers ohne Erfolg.
Internationale Zuständigkeit
Zunächst stellt der zuständige 5. Senat des BAG fest, dass die von Amts wegen zu prüfende internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte vorliegend mit Blick auf den (nach Art. 21 Abs. 1 Buchst. b i) Brüssel Ia-VO maßgeblichen) gewöhnlichen Arbeitsort gegeben sei, weil der Kläger seine Arbeit vor der streitgegenständlichen Versetzung gewöhnlich vom Flughafen Nürnberg aus verrichtet habe. Unabhängig davon sei die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte auch wegen der rügelosen Einlassung des Klägers (Art. 26 Abs. 1 Satz 1 Brüssel Ia-VO) eingetreten.
Anwendbarkeit deutschen Rechts
Auch habe das LAG zu Recht die Anwendbarkeit deutschen Rechts nach Art. 8 Rom I-Verordnung bejaht, zumal hiergegen in der Revision von den Parteien keine Verfahrensrügen erhoben worden und revisible Rechtsfehler ohnehin nicht ersichtlich seien.
Keine territoriale Beschränkung des Versetzungsrechts
Zur materiell-rechtlichen Frage der Wirksamkeit der vorgenommenen Versetzung ist das BAG der Auffassung, dass das Weisungsrecht des Arbeitgebers (§ 106 GewO) nicht auf das Territorium der Bundesrepublik Deutschland beschränkt sei und von daher auch eine Versetzung ins Ausland umfasse, sofern keine anderweitige Regelung getroffen ist. Da es vorliegend an einer abschließenden Festlegung des Arbeitsorts fehle, könne der Arbeitgeber grundsätzlich aufgrund seines Weisungsrechts nach § 106 Satz 1 GewO (neu) bestimmen, und zwar auch im Ausland. Weder dem Arbeitsvertrag noch der gesetzlichen Regelung sei eine Begrenzung des Weisungsrechts auf Arbeitsorte in der Bundesrepublik Deutschland immanent.
Lediglich Billigkeitskontrolle
Schlussendlich – so lautet es in den Entscheidungsgründen weiter – halte die mangels entgegenstehender vertraglicher oder kollektivrechtlicher Regelungen dem Grunde nach mögliche Versetzung des Klägers an die Homebase der Beklagten am Flughafen Bologna auch der Ausübungskontrolle nach § 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB stand. Die Annahme des LAG, die Beklagte habe bei der Versetzung des Klägers an die Homebase am Flughafen Bologna billiges Ermessen unter Abwägung der wechselseitigen Interessen zugunsten der Beklagten (Homebase sei geschlossen worden, freie Arbeitsplätze somit nicht mehr gegeben, keine anderen vorrangig zu berücksichtigende Präferenzen) gewahrt, halte einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
Zusammengefasst kann der Arbeitgeber somit aufgrund seines arbeitsvertraglichen Direktionsrechts den Arbeitnehmer anweisen, an einem Arbeitsort des Unternehmens im Ausland zu arbeiten, wenn nicht im Arbeitsvertrag ausdrücklich oder den Umständen nach konkludent etwas anderes vereinbart worden ist. Das Weisungsrecht ist hierbei nicht räumlich auf das Territorium der Bundesrepublik Deutschland begrenzt, wohl aber inhaltlich durch die ihm immanente Billigkeitskontrolle.
Die Einordnung
Auch wenn ob des Urteils viel Aufsehen gemacht worden ist, scheint es sich doch eher um eine Einzelfallentscheidung zu handeln, die den besonderen Umständen des zur Entscheidung anstehenden Falles geschuldet ist.
Nicht automatische Übertragung auf andere Branchen
Es ist insbesondere fraglich, ob die Frage der Wirksamkeit außerhalb der Luftfahrtbranche, d.h. in einem weniger per se grenzüberschreitend ausgeprägtem Arbeitsverhältnis, gleichermaßen beantwortet würde. Insoweit halte ich es für wahrscheinlich, dass es zur Versetzung ins Ausland einer entsprechenden arbeitsvertraglichen Grundlage bedarf und mangels einer solchen zumindest die Interessenabwägung bei der Billigkeitsprüfung im Regelfall zugunsten des Arbeitnehmers ausfallen wird. Wer sich nur den teilweise verkürzt wiedergegeben Orientierungssatz „Versetzung ins Ausland zulässig“ merkt, tritt zu kurz.
Vereinbarung vorzugswürdig
Im Übrigen bleibt die weitere Entwicklung der Rechtsprechung abzuwarten. Sinnvoll erscheint mir die einseitige Durchsetzung einer Versetzung ins Ausland auch bei einer entsprechenden Möglichkeit in einem Arbeitsverhältnis ohnehin nicht zu sein, es sei denn, man wolle dies nur als Druckmittel einsetzen, um die Beendigung zu fördern. Dies kann man aber vorzugsweise auch durch Gespräche und vernünftig geführte Verhandlungen einvernehmlich erreichen.