Urteil des Thüringer VGH
Der Thüringer Verfassungsgerichtshof hat entschieden, dass die Regelungen in § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 10 und § 10 Abs. 3 Nr. 2 bis Nr. 5, Nr. 8, Nr. 9, Nr. 11 und Nr. 12 der Thüringer Verordnung über außerordentliche Sondermaßnahmen zur Eindämmung einer sprunghaften Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 vom 31.10.2020 (GVBl. S. 547), zuletzt geändert durch die Thüringer Verordnung zur Fortschreibung der erforderlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 vom 07.11.2020 (GVBl. S. 551) sowie die Regelung in § 10 Abs. 3 Nr. 7 der Thüringer Verordnung über außerordentliche Sondermaßnahmen zur Eindämmung einer sprunghaften Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 vom 31.10.2020 (GVBl. S. 547), zuletzt geändert durch die Thüringer Verordnung zur Fortschreibung der erforderlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 vom 07.11.2020 (GVBl. S. 551), soweit diese auf § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bis Nr. 7 und Nr. 10 der genannten Verordnung Bezug nimmt, nichtig sind (Urt. v. 28.02.2024 – VerfGH 110/20; Presseinformation des Thüringer VGH v. 28.02.2024).
Die Antragstellerin, die Fraktion der Alternative für Deutschland im Thüringer Landtag, hat die Thüringer SARS-CoV-2-Sondereindämmungsmaßnahmenverordnung in ihrer Gesamtheit im Wege der abstrakten Normenkontrolle nach Art. 80 Abs. 1 Nr. 4 ThürVerf i. V. m. §§ 11 Nr. 4, 42 ThürVerfGHG angegriffen. Sie ist der Auffassung, dass die Verordnung auf keiner ausreichenden Ermächtigungsgrundlage beruhe, formell verfassungswidrig sei und zudem gegen zahlreiche Grundrechte der Thüringer Verfassung verstoße.
Ausreichende Ermächtigungsgrundlage
Der Thüringer Verfassungsgerichtshof kommt in seiner Entscheidung zu dem Ergebnis, dass § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG, auf die die streitgegenständlichen Verordnungsregelungen überwiegend gestützt wurden, zum Zeitpunkt des Erlasses der Thüringer SARS-CoV-2-Sondereindämmungmaßnahmenverordnung am 31.10.2020 und auch während der Geltungsdauer dieser Verordnung (noch) eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die in der Verordnung geregelten Maßnahmen der Gefahrenabwehr (§§ 3, 4 Abs. 2 und Abs. 3, §§ 5 bis 9 Thüringer SARS-CoV-2-Sondereindämmungsmaßnahmenverordnung) darstellten. Die Generalklausel genügte in der maßgeblichen Zeit sowohl den Anforderungen des Parlamentsvorbehalts als auch denen des Bestimmtheitsgebots.
Fitnessstudios: kein sachlicher Grund für Ungleichbehandlung
Die in der Verordnung geregelten Maßnahmen der Gefahrenabwehr standen mit Ausnahme des § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 10 Thüringer SARS-CoV-2-Sondereindämmungsmaßnahmenverordnung mit den Anforderungen der Thüringer Verfassung im Einklang. Sie verstießen insbesondere nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip des Art. 44 Abs. 1 Satz 2 und Art. 84 Abs. 1 ThürVerf. Lediglich § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 10 Thüringer SARS-CoV-2-Sondereindämmungsmaßnahmenverordnung musste der Thüringer Verfassungsgerichtshof für materiell verfassungswidrig und nichtig erklären. Die in § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 10 ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO geregelte Schließung von Fitnessstudios und ähnlichen Einrichtungen ohne die für die Schließung von Einrichtungen des Freizeit- und Amateursports in § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO vorgesehene Ausnahme für den Individualsport allein, zu zweit oder mit dem eigenen Hausstand war unvereinbar mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 2 Abs. 1 ThürVerf, da kein sachlicher Grund für diese Differenzierung vorlag.
Bußgeldbestimmungen verstießen gegen das Bestimmtheitsgebot
Die in der angegriffenen Verordnung geregelten Bußgeldbestimmungen beruhten mit § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG zwar ebenfalls auf einer verfassungsmäßigen Ermächtigungsgrundlage. Die Regelungen in § 10 Abs. 3 Nr. 2 bis Nr. 5, Nr. 7 (teilweise), Nr. 8, Nr. 9, Nr. 11 und Nr. 12 ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO verstießen aber gegen das aus Art. 44 Abs. 1 Satz 2 ThürVerf i. V. m. Art. 103 Abs. 2 GG folgende besondere Bestimmtheitsgebot und sind daher verfassungswidrig und nichtig. Der Normadressat kann lediglich hinsichtlich der Bußgeldvorschriften in § 10 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 6 und Nr. 7 (teilweise) sowie Nr. 10 ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO, nicht jedoch der übrigen Regelungen in § 10 Abs. 3 ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVObereits dem formellen Gesetz die Voraussetzungen einer Bußgeldbewehrung hinreichend deutlich entnehmen.
Die Entscheidung ist mit Blick auf die Frage, ob die Generalklausel des § 28 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 32 IfSG eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage darstellt, nicht einstimmig ergangen.