Das Thema
Endlich volle Gebühren für den Mehrvergleich auch bei PKH-Beiordnung? Dieser BGH-Beschluss ist für die anwaltliche Praxis bares Geld wert. Aber der Reihe nach:
Schließen die Parteien eines Rechtsstreits einen Mehrvergleich, dessen Wert über den Wert des Streitgegenstands hinausgeht, entsteht nicht nur eine Einigungsgebühr in Höhe des gesamten (Vergleichs-)Wertes, sondern hinsichtlich der Wertdifferenz auch eine 0,8-Verfahrensdifferenzgebühr (Ziff. 3100, 3101 Nr. 2 VV RVG) und – soweit der Vergleich im Termin geschlossen wird – eine volle Terminsgebühr in Höhe des höheren Wertes (Nr. 3104 Abs. 2 VV RVG).
Ob und inwieweit auch ein im Rahmen der Prozesskostenhilfe beigeordneter Rechtsanwalt Erstattung dieser Gebühren (im Folgenden der Einfachheit halber als „Differenzgebühren“ bezeichnet) aus der Staatskasse verlangen kann, ist allerdings unter den Zivil- und Familiensenaten der Oberlandesgerichte und den Kammern der Landesarbeitsgerichte seit langem lebhaft umstritten.
Ein kaum zu überblickender Streitstand…
Dabei wird vertreten, dass die Erstreckung der PKH-Bewilligung auf den Mehrwert des Vergleichs
a) immer nur die Einigungsgebühr erfasst (s. z.B. LAG Hamm, Beschluss vom 18.08.2015 – 6 Ta 277/15 und LAG Niedersachsen, Beschluss vom 10.08.2012 – 8 Ta 367/12). Dann stellt sich die Folgefrage, ob die Einigungsgebühr in Höhe einer 1,0-Gebühr (s. z.B. LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 12.03.2015 – 5 Ta 51/15) oder einer 1,5-Gebühr (s. z.B. LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 09.08.2016 – 17 Ta 6058/16; LAG Hamm, Beschluss vom 18.08.2015 – 6 Ta 277/15) verlangt werden kann.
b) immer auch die Verfahrensdifferenz- und die höhere Terminsgebühr erfasst (s. z.B. OLG Celle, Beschluss vom 13.6.2016 – 21 WF 118/16), oder
c) die Differenzgebühren nur erfasst, wenn sich die Bewilligung ausdrücklich darauf bezieht (so wie im Fall des BGH die Vorinstanz, die die Prozesskostenhilfe ausdrücklich nur auf den Vergleich erstreckt hatte). Dann stellt sich die Folgefrage, unter welchen Voraussetzungen die PKH-Bewilligung auf die weiteren Gebühren zu erstrecken ist (s. dazu z.B. LAG Hamm, Beschluss vom 18.08.2015 – 6 Ta 277/15).
… und eine deutliche Ansage des BGH
Auf diese äußerst „differenzierte“ Rechtslage dürfte es allerdings künftig nicht mehr ankommen. Denn der Familiensenat des BGH hat in einem aktuellen Beschluss vom 17.01.2018 – XII ZB 248/16 eine sehnlichst erwartete Klarstellungen getroffen – jedenfalls für die familiengerichtliche Praxis. Nach Ansicht des Familiensenats steht einer unbemittelten Partei ein Anspruch auf Erstreckung der Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung seines Bevollmächtigten auf sämtliche im Zusammenhang mit einem Mehrvergleich ausgelöste Gebühren zu. Und zwar entweder im Wege der Auslegung einer bereits erfolgten Bewilligung oder aber im Wege einer ergänzenden Beschlussfassung.
Der BGH holt zur Begründung sehr weit aus und beginnt mit der verfassungsrechtlichen Verankerung des Prozesskostenhilferechts im allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und im dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG). Diese grundgesetzlich verbürgte Rechtsschutzgleichheit werde aber nicht gewahrt, wenn die bedürftige Partei trotz PKH-Bewilligung die Differenzgebühren selbst aufbringen müsse. Denn ihr werde damit die häufig zweckmäßige Möglichkeit genommen, den Rechtsstreit mit einem Mehrvergleich endgültig zu beenden; sie sei vielmehr darauf angewiesen, bezüglich der weiteren Gegenstände ein eigenes Verfahren zu betreiben. Für diese Ungleichbehandlung fehle es an einem tragfähigen sachlichen Grund.
Hinzu komme, dass der gem. §§ 45, 48 RVG gegen die Staatskasse gerichtete Vergütungsanspruch des beigeordneten Rechtsanwalts grundsätzlich sämtliche anfallenden Anwaltsgebühren erfasst; eine Teilbewilligung für einzelne Gebühren kenne die ZPO nicht.
Entgegen der Auffassung vieler Obergerichte lasse sich etwas anderes auch nicht aus der familienrechtlichen Sondervorschrift des § 48 Abs. 3 RVG herleiten. Der Vorschrift sei nur zu entnehmen, dass es in Ehesachen in einem solchen Fall nicht einmal einer Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf den (Mehr-)Vergleich bedürfe, weil die Erweiterung der bewilligten Prozesskostenhilfe auf den Abschluss eines Mehrvergleichs kraft Gesetzes eintrete.
Zuletzt stehe dem auch nicht entgegen, dass die Erfolgsaussichten für die weiteren in den Vergleich einbezogenen Regelungsgegenstände nicht geprüft werden könnten. Wollte man dies verlangen, müsse in vielen Fällen die Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf einen Mehrvergleich unterbleiben. Das werde aber der besonderen Bedeutung nicht gerecht, die dem Mehrvergleich für eine umfassende Regelung komplexer Lebenssachverhalte zukomme.
Folgen für die Praxis
Der Beschluss ist für die anwaltliche Praxis „bares Geld wert“ und vereinfacht die Rechtslage erheblich. Denn für das Festsetzungsverfahren gem. § 55 RVG stellt der Beschluss klar, dass der im Rahmen der PKH-Bewilligung beigeordnete Anwalt einen Anspruch auf Erstattung sämtlicher im Zusammenhang mit dem Vergleichsschluss entstehenden Gebühren hat; der eingangs dargestellte Meinungsstreit dürfte sich damit erledigt haben. Zwar bezieht sich der Leitsatz nur auf Familiensachen; die (überzeugende) Argumentation ist aber davon unabhängig. Sollte sich ein (Arbeits- oder Zivil-)Gericht dem nicht anschließen wollen, ist der Beschluss deshalb jedenfalls künftig ein Grund, die Rechtsbeschwerde zuzulassen. (Ggf. wird dann der gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes die Frage endgültig beantworten.)
Unklar bleibt der Beschluss aber leider, soweit es um die – vorgelagerte – Frage der Voraussetzungen einer Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf den (Mehr-)Vergleich geht. Die Frage stellte sich im zu entscheidenden Fall nicht, so dass die Ausführungen insoweit lediglich ein obiter dictum darstellen. Die Begründung (insb. Rn. 16, 29) und insbesondere den Leitsatz kann man m.E. aber nur so verstehen, dass die bedürftige Partei (ohne Prüfung der Erfolgsaussichten oder sonstiger Voraussetzungen) einen Anspruch auf Erstreckung der PKH-Bewilligung auf den Mehrwert des Vergleichs hat. Allerdings stellt sich dann die Frage, welche Bedeutung der Erstreckungsbeschluss überhaupt noch hat und ob man auf diesen künftig nicht auch verzichten kann – und welchen Sinn § 48 Abs. 3 RVG hat.
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