Das Thema
Eine Auseinandersetzung zwischen dem Bayerischen Journalisten-Verband e.V. und dem Bayerischen Rundfunk über die Durchführung von Haustarifverträgen gab dem BAG die Möglichkeit, sich zu praxisrelevanten prozessualen Fragen zu äußern. Für die Praxis steht nun fest: Erhebt eine Gewerkschaft Klage auf Einhaltung eines Tarifvertrags, müssen im Rahmen dieser Klage die betroffenen Gewerkschaftsmitglieder (vorerst) nicht namentlich im Klageantrag benannt werden.
Sachverhalt
Die Parteien hatten mehrere Haustarifverträge abgeschlossen, die auch Regelungen zur Vergütung von arbeitnehmerähnlichen Personen vorsahen. Grundlage für deren Vergütung sollte dabei ein eigens festgelegter Honorarrahmen im Bereich TV und Radio sein. Ende 2016 änderte der Arbeitgeber jedoch auf einmal seine Praxis und vergütete arbeitnehmerähnliche Personen nicht mehr nach den im Tarifvertrag vereinbarten Honorarkennziffern, sondern stattdessen nach einer Tagespauschale. Dies wollte die Gewerkschaft nicht akzeptieren und verklagte den Arbeitgeber vor dem ArbG München auf Durchführung der Tarifverträge (Anwendung der Honorarkennziffern) gegenüber allen arbeitnehmerähnlichen Personen, ohne die betroffenen Personen dabei in ihrem Klageantrag namentlich aufzuführen. In den ersten beiden Instanzen war die Gewerkschaft mit ihrer Klage jedoch erfolglos.
Entscheidung
Das BAG sah die Sache jedoch anders als die Vorinstanzen (Urt. v. 13.10.2021 – 4 AZR 403/20). Die Vergütung der Tagesreporter hat nach Ansicht des BAG nach den tarifvertraglich vereinbarten Honorarkennziffern zu erfolgen. Die vom Arbeitgeber eigenmächtig durchgeführte Abrechnung nach Tagespauschalen steht im Widerspruch zur Regelung im maßgeblichen Haustarifvertrag. Ein Verstoß gegen die Durchführungspflicht lag daher aus Sicht des BAG auf der Hand. Die Einhaltung des Tarifvertrags ist für die Gewerkschaft auch einklagbar. Im Rahmen der Klage auf Durchführung der tariflichen Bestimmungen, die sich naturgemäß nur auf Gewerkschaftsmitglieder erstrecken kann, muss die Gewerkschaft dabei auch nicht offenlegen, auf welche beim Arbeitgeber beschäftigten Mitglieder sich die Klage bezieht. Sie kann – und das ist das Besondere an der Entscheidung – zunächst ohne namentliche Nennung, also anonym, die Rechte ihrer Mitglieder geltend machen. Der Arbeitgeber erfährt auf diesem Weg gerade nicht, wer Gewerkschaftsmitglied ist. Für die Zulässigkeit des Klageantrags sei es entgegen der Auffassung des LAG München auch nicht erforderlich gewesen, die betroffenen Gewerkschaftsmitglieder bereits im Erkenntnisverfahren namentlich zu benennen.
Konsequenzen für die Praxis
Die Entscheidung ist vor allem prozessual von Bedeutung, da der Durchführungsanspruch selbst schon lange anerkannt ist. Da die Gewerkschaft in ihrem Klageantrag die Gewerkschaftsmitglieder nicht namentlich bezeichnete, hatten die Vorinstanzen die Klage bereits wegen eines vermeintlichen Verstoßes gegen § 253 Abs. 2 ZPO für unzulässig gehalten. Die Vorschrift verlangt, dass der Schuldner, hier also der Arbeitgeber, im Falle der Verurteilung ohne Weiteres erkennen kann, durch welche Verhaltensweise er dem Urteilsspruch nachkommen kann. Dies entspricht schon lange der Rechtsprechung des BAG. Eben diese Voraussetzung sahen die Vorinstanzen als nicht gegeben an, weil in der Klage der Gewerkschaft nur abstrakt von “Mitgliedern der Gewerkschaft” gesprochen wurde. Der Arbeitgeber wusste somit aus Sicht der Vorinstanzen nicht, was er im Falle einer Verurteilung zu tun hatte.
Die Anforderungen an die Bestimmtheit des Klageantrags wurden vom BAG nun gelockert und es ist für Gewerkschaften unter Berufung auf diese Entscheidung möglich, die Anwendung eines Haustarifvertrags ohne namentliche Bezeichnung der betroffenen Gewerkschaftsmitglieder einzuklagen. Die Entscheidung berührt damit einen sensiblen Bereich in Unternehmen mit Tarifbindung und sorgt für Klarheit: Ein Arbeitgeber darf Arbeitnehmer nicht nach der Gewerkschaftszugehörigkeit fragen. Gewerkschaften müssen die Namen ihrer Mitglieder nicht offenlegen, wenn sie auf Durchführung eines Tarifvertrages klagen.
Praxistipp
Unternehmen, die mit Durchführungsklagen von Gewerkschaften konfrontiert sind, verlieren durch die Entscheidung des BAG einen prozessualen Einwand gegen die Zulässigkeit der Klage. Allerdings gehen offenbar auch die Erfurter Richter davon aus, dass früher oder später die Namen der Arbeitnehmer gegenüber dem beklagten Arbeitgeber offengelegt werden müssen.
Aus der Tatsache, dass ein Durchführungsanspruch für die Gewerkschaft bejaht wird, ergeben sich noch keine Zahlungsansprüche der einzelnen Mitglieder. Mitarbeiter, die sich beispielsweise auf für sie günstigere Regelungen hinsichtlich der Vergütung berufen, müssen früher oder später eben doch offenlegen, dass sie als Gewerkschaftsmitglied der Bindung des Tarifvertrags unterfallen.