Das Thema
Eine neue Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 25.04.2023 – 9 AZR 253/22) beschäftigt sich mit der Frage der Arbeitnehmereigenschaft eines Vereinsmitglieds, welches kommunenartig in einer Yoga-Ashram Einrichtung gelebt hat. Dort hat sich das Vereinsmitglied der spirituellen Selbstverwirklichung verschrieben und im Zuge dessen für den Yoga-Verein sogenannte Sevadienste abgeleistet, zu denen neben Haushaltstätigkeiten auch Yoga-Unterricht und Social Media Marketing zählten.
Erst 2017 hat der Gesetzgeber mit Schaffung des § 611a BGB den von der Rechtsprechung entwickelten Arbeitnehmerbegriff gesetzlich normiert. Demnach ist Arbeitnehmer, wer weisungsgebunden und fremdbestimmt in persönlicher Abhängigkeit vom Arbeitgeber arbeitet.
Auch wenn das Urteil auf den ersten Blick einen sehr speziell gelagerten Fall betrifft, können der Entscheidung einige grundsätzliche Hinweise entnommen werden. Neben anderen Aspekten wurde etwa die nachträgliche Einforderung von Mindestlohn von annähernd 50.000,00 Euro durch das Gericht nicht als treuwidrig bewertet.
Arbeitnehmerstatus häufig umstritten
Dass der Arbeitnehmerstatus so häufig Dreh- und Angelpunkt arbeitsrechtlicher Auseinandersetzungen ist, liegt daran, dass dieser den Zugang zu allen wesentlichen Arbeitnehmerschutzrechten begründet. Konkret kommt dem Arbeitnehmerstatus nicht nur besondere Relevanz im Kündigungs- oder Arbeitsschutz zu, sondern darüber hinaus auch bei der Frage der Anwendung von Tarifverträgen oder Mitbestimmungsrechten. Im Zuge der Digitalisierung der Arbeitswelt erregte der Arbeitnehmerstatus, der sich am Bild eines Normalarbeitsverhältnisses orientiert, zuletzt Aufsehen im Zusammenhang mit neuartigen Jobs in der Plattformökonomie („Crowdworking“), die ihre Aufträge über eine digitale Plattform per App erhalten.
Jüngst hatte das Bundesarbeitsgericht nunmehr zu entscheiden, ob ein Mitglied eines Yoga-Vereins, das in einer Yoga-Ashram Einrichtung gelebt und dort bestimmte Dienste ausgeführt hat, Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn geltend machen kann. Auch insoweit war entscheidend, ob das Vereinsmitglied aufgrund der tatsächlichen Umstände als Arbeitnehmerin qualifiziert werden konnte.
Der Sachverhalt
Der beklagte gemeinnützige Verein betreibt mehrere Einrichtungen, in denen Seminare, Vorträge und andere Veranstaltungen zu Yoga besucht werden können. In diesen Yoga-Ashram Einrichtungen werden spirituelle Gemeinschaften gebildet, die aus Mitgliedern des Vereins, den sogenannten Sevakas, bestehen.
Die Vereinsmitglieder leben in den Einrichtungen nach Vorbild der alten indischen Ashram- und Klostertradition zusammen. Sie sind verpflichtet, nach Weisung ihrer Vorgesetzten sogenannte Sevadienste zu leisten. Darunter fallen z.B. Tätigkeiten in Haushalt und Garten, Buchhaltung und die Abhaltung von Yoga-Kursen. Im Gegenzug stellt der Yoga-Verein diesen Mitgliedern Unterkunft und Verpflegung bereit und zahlt ein monatliches Taschengeld von bis zu € 390,00. Vereinsmitglieder mit Führungsverantwortung erhalten bis zu € 180,00 zusätzlich im Monat. Zudem sind alle Vereinsmitglieder, die in den Einrichtungen als Sevakas leben, gesetzlich sozialversichert und erhalten eine zusätzliche Altersversorgung.
Die Klägerin ist Volljuristin und lebte von 2012 bis 2020 als Vereinsmitglied und Sevaka in einer Yoga-Ashram Einrichtung des Beklagten. Dazu schloss sie mit dem Beklagten 2012 einen Vertrag über die Mitarbeit als Sevaka-Mitglied in der Ashram Gemeinschaft. Zudem unterzeichnete die Klägerin 2015 eine „Bestätigung der Mitgliedschaft“, in welcher sie erklärte, dass sie nur aus Gründen spiritueller Selbstverwirklichung Vereinsmitglied sei und nicht, um einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Entsprechend ihres Vertrags leistete die Klägerin während ihrer Zeit in der Ashram Einrichtung wöchentlich Sevadienste von 42 Stunden ab. Neben der Yoga-Ausbildung nahm die Klägerin im Rahmen ihrer Sevadienste unterschiedliche Aufgaben wahr wie z.B. die Mitarbeit im Social Media/Onlinemarketing, dessen Teamleitung sie später übernahm.
Spiritualität oder Arbeit im Vordergrund der Tätigkeit?
Mit ihrer Klage hat die Klägerin auf Grundlage der vertraglichen Regeldienstzeit für die Zeit ab 2017 die Zahlung des gesetzlichen Mindestlohnes in Höhe von insgesamt € 46.118,54 brutto verlangt, da aus ihrer Sicht ein Arbeitsverhältnis bestanden habe. So habe Beklagte mit der Vermarktung von Yoga zum einen wirtschaftliche Ziele verfolgt. Zum anderen sei die spirituelle Weiterentwicklung, die für die Klägerin zwar das Motiv für die Vertragsbegründung gewesen sei, stets außerhalb der Regelarbeitszeit erfolgt und außerdem im Laufe der Zeit immer weiter zurückgegangen.
Der Beklagte war dagegen der Auffassung, die Klägerin habe ihre Dienste als Mitglied einer hinduistischen Ashramgemeinschaft und demnach nicht im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses erbracht. Das spirituelle Leben in der Yoga-Ashram Einrichtung sei mit demjenigen in christlichen Klöstern vergleichbar. Für die Klägerin habe die Spiritualität und nicht die Arbeit im Vordergrund gestanden. Die Einteilung der Sevadienste seien der Klägerin selbst überlassen gewesen, sodass auch keine Weisungsgebundenheit vorgelegen habe.
BAG entscheidet auf Zahlung von Mindestlohn
Die Vorinstanzen waren sich bei der Bewertung des Falles uneinig. So hat das Arbeitsgericht Detmold der Klage zunächst stattgegeben. Das LAG Hamm hat die Klage anschließend jedoch abgewiesen.
Das Bundesarbeitsgericht stufte die Klägerin hingegen wieder als Arbeitnehmerin ein und erachtete den Mindestlohnanspruch für begründet. Diese sei vertraglich zu Sevadiensten und damit im Sinne von § 611a Abs. 1 BGB zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet gewesen.
Keine entgegenstehenden Gestaltungsrechte als Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft
Nach Ansicht des BAG handelte es sich bei den abgeleisteten Sevadiensten nicht um gemeinnützige Dienste als Mitglied einer hinduistischen Gemeinschaft außerhalb eines Arbeitsverhältnisses, sondern um anhängige Arbeit. Zwar können die verfassungsrechtlich gewährleisteten Selbstbestimmungsrechte einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft einer Arbeitsnehmereigenschaft entgegenstehen.
Entgegen der Meinung der Vorinstanz fehle es hier dem Beklagten jedoch an einem hinreichenden Maß an religiöser Systembildung und Weltbedeutung. Da sich dessen Satzung auf Weisheitslehren aus Indien und gleichzeitig auf spirituelle Praktiken aus verschiedenen Weltreligionen beziehe, sei ein systemisches Gesamtgefüge religiöser bzw. weltanschaulicher Elemente und deren notwendiger Zusammenhang zur Yoga Vidya Lehre nicht erkennbar.
Keine entgegenstehende Vereinsautonomie
Zudem stehe auch die verfassungsrechtliche Vereinsautonomie (Art. 9 Abs. 1 GG) dem Arbeitnehmerstatus der Klägerin nicht entgegen. Denn diese – so das Bundesarbeitsgericht – erlaube die Erbringung fremdbestimmter und weisungsgebundener Arbeitsleistung außerhalb eines Arbeitsverhältnisses höchstens dann, wenn zwingende arbeitsrechtliche Schutzbestimmungen nicht umgangen werden.
Bei dem gesetzlichen Mindestlohn handele es sich jedoch um genau so eine Schutzbestimmung. Auf den Mindestlohn könne man auch nicht die Kosten für Unterkunft und Verpflegung anrechnen, da der Mindestlohn die Existenz durch Arbeitseinkommen als Ausdruck der Menschenwürde sichern soll.
Konsequenzen für die Praxis
Auch wenn das Urteil auf den ersten Blick einen sehr speziell gelagerten Fall betrifft, können der Entscheidung einige grundsätzliche Hinweise entnommen werden. So verdeutlicht die Entscheidung zum einen, dass nicht die vertraglichen Regelungen, sondern vielmehr die tatsächlichen Umstände für die Frage des Arbeitnehmerstatus maßgeblich sind. Dies gilt auch für die in der Praxis oft auftretenden Fälle möglicher „Scheinselbstständigkeit“.
Zum anderen zeigt sich, welch hohe Anforderungen vom Bundesarbeitsgericht an die Nichtanwendung von Arbeitnehmerschutzrechten wie dem Mindestlohngesetz gestellt werden. Denn trotz der klägerischen Erklärung keiner Erwerbstätigkeit nachgehen zu wollen, wurde die nachträgliche Einforderung des Mindestlohns durch die Volljuristin nicht als treuwidrig bewertet.
Praxistipp: Statusrechtliche Prüfung der Tätigkeit ehrenamtlicher Vereinsmitglieder
Vereine können sich nur dann auf das Selbstbestimmungsrecht von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften berufen, wenn sie ein hinreichendes Maß an religiöser Systembildung und Weltdeutung aufweisen. Nur dann können sie mit ihren Mitgliedern u.U. Vereinbarungen über fremdbestimmte und weisungsgebundene Dienste außerhalb eines Arbeitsverhältnisses treffen.
Abseits von spirituellen Vereinen sollten auch herkömmliche Vereine etwaige ehrenamtliche Tätigkeiten von Vereinsmitgliedern vorsorglich stets einer genauen statusrechtlichen Überprüfung unterziehen, um nachträgliche Mindestlohnforderungen zu vermeiden. Entscheidend für die Abgrenzung zu einem Arbeitsverhältnis sind die Weisungsunabhängigkeit und fehlende Vergütungserwartung des Vereinsmitglieds sowie die Unentgeltlichkeit der Tätigkeit.