Das Thema
Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG verpflichtet Unternehmen Mitarbeitende gleich zu behandeln, sofern kein sachlicher Grund eine Ungleichbehandlung rechtfertigt. So klar dies im Grundsatz scheint, so schwierig ist es im Detail. Kann etwa eine Bevorteilung von lediglich sechs von 2.066 Mitarbeitenden einen Anspruch auf Gleichbehandlung der Nichtbedachten auslösen? Und welche Anforderungen sind an die rechtfertigenden sachlichen Gründe zu stellen?
Mit diesen und anderen Fragen beschäftigt sich das vorliegende Urteil des BAG vom 25. Januar 2023 (10 AZR 29/22). Mit dieser Entscheidung schränkt das BAG in einer Gesamtschau die unternehmerische Freiheit, wer welche finanziellen Zuwendungen erhalten soll, weiter ein.
Der Fall
Eine außertariflich beschäftigte Mitarbeiterin stritt mit dem Arbeitgeber über die Zahlung des Jahresbonus. In ihrem Aufhebungsvertrag, der ihr Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 2020 beendet hatte, vereinbarten die Parteien einen Abfindungsanspruch nach Maßgabe des geltenden Rahmensozialplans. Dieser wiederum sah einen zeitanteiligen Bonus nach der jeweils gültigen Bonusregelung vor, sofern das Arbeitsverhältnis in dem Austrittsjahr nach dem 31. März endete. Darüber hinaus galt im Arbeitsverhältnis eine Konzernbetriebsvereinbarung, nach welcher der jährliche Bonus u.a. davon abhängt, ob finanzielle Mittel zur Verfügung stünden.
Am 8. Juni 2020 kündigte der Vorsitzende des Konzerns an, dass mit einer Bonuszahlung für das Jahr 2020 nicht zu rechnen sei. Die klagende Mitarbeiterin erhielt keinen Bonus. Sechs Beschäftigte, die bis zum 31. Mai 2020 anlässlich des Rahmensozialplans ausgeschieden waren, erhielten hingegen einen anteiligen Bonus.
BAG erkennt Anspruch auf anteilige Bonuszahlung an
Der Ansicht der Klägerin, ihr stehe eine anteilige Zahlung des Bonus zu, schloss sich das BAG in der Revisionsentscheidung an. Der Anspruch ergebe sich zwar nicht aus dem Rahmensozialplan, jedoch aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.
Anknüpfend an seine ständige Rechtsprechung hat das BAG den Gleichbehandlungsgrundsatz weiter konturiert. So sei der Grundsatz, der dem Arbeitgeber auferlegt, Arbeitnehmer(-gruppen) in vergleichbarer Lage gleich zu behandeln, auch bei der Zahlung von Arbeitsvergütung anwendbar. Der Vorrang der Vertragsfreiheit stehe dem nicht entgegen.
Mit der Bonuszahlung an sechs bis zum 31. Mai 2020 ausgeschiedene Mitarbeitende seien diese als Gruppe anders als die im selben Jahr nach dem 1. Juni ausgeschiedene Klägerin behandelt worden. Für diese Andersbehandlung sah das Gericht keine sachlichen Gründe. Insbesondere könne ein etwaig entstehender organisatorischer Mehraufwand die Andersbehandlung nicht rechtfertigen. Auch die Warnung der Geschäftsführung vom 8. Juni 2020 begründe kein anderes Ergebnis, da es sich um eine bloße Prognose gehandelt habe. Auch scheitere der Anspruch nicht an dem Grundsatz „keine Gleichheit im Unrecht“. Das beklagte Unternehmen habe schlicht einer Gruppe von Beschäftigten vorbehaltlos Boni gewährt. Hierzu war die Beklagte zwar berechtigt, musste sich sodann jedoch an den Gleichbehandlungsgrundsatz halten. Das Gericht sprach der Klägerin im Ergebnis den begehrten Bonus zu.
Rechtliche Einordnung: Arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz ist zu beachten
Auch die Besserstellung einiger Weniger kann die Gleichbehandlung Vieler zur Folge haben. Zwar kann eine etwaige Ungleichbehandlung sachlich gerechtfertigt sein und Unternehmen können finanzielle Leistungen Mitarbeitenden freiwillig zukommen lassen, auch wenn die Voraussetzungen hierfür zunächst nicht bestehen.
Allerdings müssen sie den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz beachten, sodass die Zuwendung im Ausgangspunkt allen zugutekommen muss, wenn nicht sachliche Gründe eine Andersbehandlung rechtfertigen.
Vorsicht bei Zahlungen an kleine Mitarbeitergruppen
Die Entscheidung zeigt deutlich, dass Unternehmen (natürlich) frei in der Entscheidung sind, bestimmten Mitarbeitenden beispielsweise Boni losgelöst von den zugrundeliegenden Voraussetzungen zukommen zu lassen. Diese unternehmerische Freiheit wird allerdings durch den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz eingeschränkt. Hiernach dürften Unternehmen einzelne Mitarbeitende nicht grundlos von finanziellen Zuwendungen ausnehmen. Sofern für eine Differenzierung keine sachlichen Gründe vorliegen, haben Unternehmen allen vergleichbaren Mitarbeitenden die freiwillige Zuwendung zukommen zu lassen.
Die vorliegende Entscheidung zeigt deutlich, dass auch eine Zahlung an eine kleine Gruppe einen Anspruch vieler Nichtbedachter auslösen kann. Gewisse Parallelen offenbart die Entscheidung zu dem Urteil des BAG vom 16. Februar 2023 (8 AZR 450/21). Hiernach haben Frauen Anspruch auf gleichen Lohn bei gleicher Arbeit. Das Argument, ein Mann habe besser verhandelt, verfängt nicht.
Insgesamt schränkt das BAG die unternehmerische Freiheit, wer welche finanziellen Zuwendungen erhalten soll, weiter ein. Unternehmen sind gut beraten, freiwillige Vergütungsleistungen oder den Lohn nicht individuell, sondern anhand eines diskriminierungsfreien, generalisierenden Schemas zu bemessen.
*Unter freundlicher Mitarbeit von wiss. Mit. Sandra Latzko (Küttner Rechtsanwälte, Köln).