Zu Gast bei Hans Meiser
„Arabella“, „Sonja“, „Bärbel Schäfer“, „Andreas Türk“ und „Hans Meiser“. So hießen nach den jeweiligen Moderatoren benannte Fernseh-Talkshows der neunziger Jahre. Dort saßen, wie die Rheinische Post Ende des vergangenen Jahres schrieb, „reihenweise Normalos in Runden zusammen und waren nicht selten ziemlich auf Krawall gebürstet“. Teilweise offenbarten diese „Normalos“ einem Millionenpublikum auch intimste Details. So wie ein Berliner Krankenpfleger. Diese Offenheit hätte ihn fast den Job gekostet. Aber das verhinderte das ArbG Berlin (Urt. v. 7.7.1999 – 36 Ca 30545/98).
Der gekündigte Arbeitnehmer war auf verschiedenen psychiatrischen Stationen, zuletzt einer geschlossenen psychiatrischen Station, tätig. Zu seinem Arbeitsalltag gehörte es, dass Patienten zwangsweise medikamentiert und fixiert wurden. Träger der Klinik war ein eingetragener Verein des Diakonischen Werks der Evangelischen Kirche.
Im März 1998 trat er in der Fernsehsendung „Hans Meiser“ auf. Thema: „Ich liebe zwei Männer“. In der Talkshow äußerte sich der Krankenpfleger über Treue in Beziehungen und sadomasochistische Sexualpraktiken. Darüber informierten andere Mitarbeiter den Arbeitgeber. Der war über den Auftritt entsetzt.
So schlimm kann es nicht gewesen sein
Was dann wann genau passierte, ist etwas schwer nachzuvollziehen, auch, weil sich in der Entscheidung unterschiedliche Zeitangaben finden. So soll die Mitarbeitervertretung nach der Darstellung im Tatbestand der Entscheidung am 25. September um Stellungnahme zu der beabsichtigten Kündigung gebeten worden sein, in den weiteren Ausführungen ist vom 15. September die Rede. Vermutlich ein Tippfehler. Ärgerlich – aber letztlich irrelevant. Denn unmissverständlich war jedenfalls die Feststellung, dass weder eine außerordentliche, noch eine ordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis aufgelöst haben.
Auf eine außerordentliche Kündigung konnte sich der Arbeitgeber nach den Darlegungen des Gerichts schon deshalb nicht berufen, weil er der Mitarbeitervertretung innerhalb der Anhörungsfrist mitgeteilt hatte, dass „eine fristlose Kündigung … nicht mehr beabsichtigt“ sei. Zudem sei die außerordentliche Kündigung nicht innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis der für sie maßgeblichen Tatsachen erfolgt und damit an der in § 626 Abs. 2 BGB festgelegten Frist gescheitert.
Auch eine ordentliche Kündigung komme nicht in Betracht. Die Behauptung, die öffentlich getätigten Äußerungen seien mit dem diakonischen Auftrag des Arbeitgebers unvereinbar, konnte das Arbeitsgericht schon deshalb nicht überzeugen, weil sie im Widerspruch zu Überlegungen des Arbeitgebers stand, den Krankenpfleger als milderes Mittel zu einer Beendigungskündigung auf eine andere Station umzusetzen. So schlimm könne der Widerspruch zu dem diakonischen Auftrag also nicht gewesen sein.
Einstellungen ändern sich
Die Befürchtung der Klinik, es könne bei Zwangsmedikamentierungen oder Fixierungen zu „Distanzverletzungen“ kommen, war für das Berliner Gericht ebenso wenig nachvollziehbar, wie die Behauptung, Patienten, die die Talkshow gesehen haben, könnten solche „Distanzverletzungen“ befürchten. Es verwies darauf, dass es in der langjährigen Tätigkeit des Krankenpflegers nie zu solchen „Distanzverletzungen“ kam.
„Es ist auch nicht verständlich“, so das Berliner Gericht, wie der Arbeitgeber darauf kommt, „dass ein Mitarbeiter, der sexuellen Praktiken zuneigt, die von gesellschaftlich allgemein akzeptierten sexuellen Betätigungen abweichen, eher zu Distanzverletzungen neigt als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich im Rahmen des gesellschaftlichen Akzeptierens (sic!) sexuell betätigen“. Das Gericht konnte sich „nicht des Eindrucks erwehren, dass es bei der Kündigung … weniger um die Frage der Gefährdung der … betreuten Patientinnen und Patienten geht, als vielmehr um Einstellungsfragen“. Und es führte aus, dass sich „die von der Gesellschaft vorgegebenen … Regeln“ auch im Sexualbereich „stets im Fluss“ befinden.
Da ist was dran – auch im Hinblick auf die von dem Krankenpfleger bevorzugten Praktiken. Das liegt wohl wesentlich an einem Bestseller, der vor ein paar Jahren für viel Aufsehen sorgte. „‘Fifty Shades of Grey‘, der dreibändige Roman von E.L. James, hat sowohl als Text als auch als Film weltweit ein Millionenpublikum gefunden“, heißt es in einer im Deutschen Ärzteblatt veröffentlichten Buchbesprechung über ein anderes Werk. „Er hat das Sprechen über sadomasochistische Praktiken und das Denken darüber verändert“.
Das muss jeder selbst entscheiden
Vor diesem Hintergrund, würde das öffentliche Bekenntnis zu einem solchen Sexualverhalten heute wohl allgemein kaum mehr zu einer solchen Empörung führen wie damals. Und auch so manche Sichtweise der evangelischen Kirchen hat sich seither grundlegend geändert – wohl nicht nur wegen „Fifty Shades of Grey“. Eine Kündigung kann eine solche Neigung allein jedenfalls nicht rechtfertigen.
Das ist auch gut so – ganz unabhängig davon, was man von solchen Praktiken hält. Sexualität gehört zum Kernbereich der Persönlichkeit. Was Arbeitnehmer im Bett (oder sonst wo) gerne machen, geht den Arbeitgeber schlicht nichts an, solange es sich nicht auf das Arbeitsverhältnis auswirkt.
Dennoch sollten Beschäftigte, ebenso wie jeder andere, gut überlegen, was sie öffentlich von sich preisgeben. Das gilt nicht nur in Talkshows, sondern heutzutage insbesondere in den sozialen Medien. Was manche auf diesen Plattformen über ihr Privatleben veröffentlichen, verwundert. Aber natürlich gilt auch insofern: Das kann jeder so machen, wie er es für richtig hält. Und auch das ist gut so!
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