Ein Lagerist war auf dem Weg zur Arbeit mit dem Fahrrad gestürzt. Dabei brach er sich das linke Schulterblatt. Das führte nach ärztlicher Feststellung zu einer Arbeitsunfähigkeit von sechs Wochen. Für den betroffenen Arbeitnehmer war diese Verletzung besonders bitter. Er betreibt seit seiner Jugend Leistungssport, läuft ca. 3.000 km pro Jahr, fährt Rad, schwimmt und spielt Fußball.
Mit einem gebrochenen Schulterblatt ist all das schwierig. Auf Sport verzichten wollte der Mann während der „Krankschreibung“ aber nicht. Er nahm innerhalb von vier Tagen an zwei Marathonläufen teil – einmal über eine Strecke von 53 Kilometern und einmal über 50 km.
So geht das nicht, meinte sein Arbeitgeber, der aus der Presse von diesen sportlichen Höchstleistungen erfahren hatte. Er kündigte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich. So geht das schon, meinte dagegen das ArbG Stuttgart (Urt. v. 22.03.2007 – 9 Ca 475/06). Es sah keinen arbeitsvertraglichen Pflichtenverstoß.
Arzt gab „grünes Licht“
Zwar muss sich ein arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer so verhalten, dass er bald wieder gesund wird und an seinen Arbeitsplatz zurückkehren kann. Er hat alles zu unterlassen, was seine Genesung verzögern oder gefährden kann.
Es gebe aber keine Hinweise darauf, dass der Lagerist durch die Marathon-Teilnahme seine Genesung verzögert habe. Vielmehr, so das schwäbische Gericht, lege die relativ kurze Gesamtdauer der Arbeitsunfähigkeit „sogar den Schluss nahe, dass die ständige sportliche Betätigung des Klägers den Heilungsverlauf begünstigt hat“.
Auch ein genesungsgefährdendes Verhalten lasse sich nicht feststellen. Aber selbst wenn man ein solches unterstellen würde, fehle es am Verschulden, so dass weder eine außerordentliche noch eine ordentliche Kündigung in Betracht komme.
Krank ja – arbeitsunfähig nein?
Das ArbG Stuttgart verwies darauf, dass der Lagerist „vor der Teilnahme an den Laufveranstaltungen seinen behandelnden Arzt konsultiert hat und dieser für die Teilnahme ‚grünes Licht‘ gab“. Der Mediziner hatte dem Mann lediglich den Rat mit auf den Weg gegeben, dass er die sportliche Betätigung einstellen solle, sobald er Schmerzen verspüre. Der Arbeitnehmer hatte dazu im Kammertermin eine später gefertigte ärztliche Bescheinigung vorgelegt. Und daher obsiegte der Lagerist vor Gericht.
Wirklich überzeugend ist die Entscheidung allerdings nicht. „Das relativ ausführlich begründete Urteil“, schrieb Wulf Gravenhorst in einer Entscheidungsanmerkung (jurisPR-ArbR 30/2007 Anm. 6), „verliert keinen Gedanken an die Überlegung, ob“ der Beschäftigte „bei Antritt des ersten Marathon-Laufs möglicherweise gar nicht (mehr) arbeitsunfähig war oder ob vielleicht sogar von Anfang an eine Arbeitsunfähigkeit nicht vorlag“.
Der Bruch eines Schulterblatts sei zwar ein regelwidriger Gesundheitszustand und daher Krankheit im Rechtssinne, das bedeute aber keinesfalls zugleich auch Arbeitsunfähigkeit. „Dabei mag es durchaus sein, dass“ der Kläger „gewisse Teilaspekte seiner vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung als Lagerist während der sechs Wochen krankheitsbedingt nicht erbringen konnte“, so der Fachanwalt für Arbeitsrecht.
Eine vom Arbeitgeber finanzierte Trainingsauszeit
„Wer aber innerhalb kurzer Zeit zwei Marathon-Wettbewerbe bestehen kann, kann an seinem Arbeitsplatz sicher auch Botengänge erledigen, Lagerbestände zählen, An- und Auslieferungen überwachen, Karteikarten pflegen u.Ä.“. Das aber hat der Kläger nicht gemacht. Er hat es, so Gravenhorst, „vorgezogen, unter einem Vorwand eine sechswöchige, vom Arbeitgeber bezahlte Trainingsauszeit zu nehmen, um seine Karriere als Leistungssportler zu fördern“.
Diese Überlegungen sind nicht von der Hand zu weisen. Und dem Anwalt ist auch zuzustimmen, wenn er kritisiert, dass Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen „offenbar des Öfteren zu ‚großzügig‘ ausgestellt und von den Arbeitsgerichten zu unbesehen akzeptiert“ werden.
Dem Lageristen kann all das aber egal sein. Nach der Entscheidung des ArbG Stuttgart muss er sich wegen der Marathon-Teilnahme nicht grämen und auch sein Arbeitsverhältnis läuft weiter.