Das Thema
Twitter ist das derzeit wohl wichtigste Social-Media-Kommunikationsmittel der Welt. Neben der aktuellen datenschutzrechtlichen Diskussion hierzu handelt es sich inzwischen auch um ein arbeitsrechtliches Thema.
Am 25.02.2020 sollte durch das BAG nun eigentlich die Frage beantwortet werden, ob dem Betriebsrat bei der Nutzung eines arbeitgeberseitigen Twitter-Accounts ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zusteht. Aus der Pressemitteilung des BAG geht jedoch hervor, dass – leider – keine Sachentscheidung getroffen wurde (BAG, Beschluss vom 25.02.2020 – 1 ABR 40/18). Die Rechtspraxis muss somit weiterhin auf eine höchstrichterliche Klärung jedenfalls in Bezug auf Twitter warten.
Zumindest zu Facebook hatten die Erfurter Richter Ende 2016 mit Beschluss vom 13.12.2016 (Az.: 1 ABR /15) im Volltext über das Mitbestimmungsrechtes des Betriebsrats in Bezug auf das Betreiben einer Unternehmensseite entschieden. Die Entscheidung des Arbeitgebers, Postings unmittelbar zu veröffentlichen unterlag nach Auffassung der Erfurter Richter der Mitbestimmung des Betriebsrats.
Mitbestimmung auf Twitter: Keine Sachentscheidung des BAG
Das vorliegende Beschlussverfahren wurde von einem Gesamtbetriebsrat eingeleitet, der unternehmensübergreifend durch einen Zuordnungstarifvertrag i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG gebildet worden war. Diesen Tarifvertrag erachtet das BAG als „aus tarifrechtlichen Gründen“ unwirksam (siehe zu den Risiken etwa Hoffmann/Alles, NZA 2014, 757, 759) und konnte die Anträge daher bereits als unzulässig zurückweisen.
Hierauf soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Allerdings bleibt die Frage der Mitbestimmungspflichtigkeit von Twitter weiterhin aktuell und wird sich früher oder später erneut stellen. Die Pressemitteilung des BAG bietet daher Gelegenheit, die Reichweite des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG anhand der bisherigen Rechtsprechungsentwicklung näher zu beleuchten und die künftige Beantwortung dieser Rechtsfrage zu prognostizieren.
Rechtsprechungslinie und zentrale Weichenstellung im Facebook-Beschluss
Die Rechtsprechung vertritt seit Jahrzehnten eine extensive Auslegung des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG („Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeit zu überwachen“). Zum Schutz des Persönlichkeitsrechts der Arbeitnehmer vor unbegrenzter Überwachung habe der Gesetzgeber gewollt, dass entsprechende Maßnahmen nicht ohne Beteiligung des Betriebsrats erfolgen.
Das Tatbestandsmerkmal „bestimmt“ beziehe sich daher nicht auf die Absicht des Arbeitgebers o.ä., sondern sei vielmehr als „geeignet“ (oder: in technischer Hinsicht „bestimmt“) auszulegen. Der Grund der Einführung bzw. Anwendung sei insofern ebenso irrelevant wie die Frage, ob die technische Einrichtung überhaupt zu irgendeiner Art von Kontrolle seitens des Arbeitgebers verwendet wird (so bereits BAG, Beschluss vom 09.09.1975 – 1 ABR 20/74).
Gleichwohl ließ das BAG in der Vergangenheit keine gänzlich unbegrenzte Anwendung der Norm zu, indem es als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal ein Unmittelbarkeitserfordernis etablierte. Demnach muss die technische Einrichtung die Überwachung zumindest in ihrem Kern schon selbst – also unmittelbar – vornehmen. Etwas unklar ist nach wie vor, ob das BAG diese Einschränkung zwischenzeitlich aufgegeben oder zur später geforderten „objektiv eigenständigen Kontrollwirkung“ der technischen Einrichtung weiterentwickelt hat.
Der Facebook-Beschluss des BAG
Im Hinblick auf die neuere Erscheinung und rasante Verbreitung von Social Media haben die Erfurter Richter im Jahr 2016 jedenfalls einen grundlegenden Pfeiler der Rechtsprechung eingeschlagen. In ihrem Facebook-Beschluss haben sie sich klar positioniert und entschieden, dass § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG auf die Einrichtung/Nutzung einer Facebook-Seite des Arbeitgebers Anwendung findet (BAG, Beschluss vom 13.12.2016 – 1 ABR 7/15).
Denn dort können andere Nutzer über die Beitrags-Funktion Kommentare einstellen, in denen auch Bewertungen über das Verhalten oder die Leistung von – individualisierbaren – Arbeitnehmern enthalten sein können. Hierdurch wiederum können die Arbeitnehmer einer verstärkten Kontrolle durch den Arbeitgeber ausgesetzt sein. Darüber hinaus werden die Beiträge dauerhaft gespeichert und öffentlich einsehbar gemacht, was die (potenzielle) Kontrollwirkung verstärke.
Mitbestimmung bei Twitter: Vorinstanzen waren unterschiedlicher Auffassung
Diese Grundsätze bestimmen auch die Einordnung von Twitter. Allerdings sind Twitter und Facebook hinsichtlich ihrer technischen Funktionen und Gestaltungsweisen keineswegs identisch (zu den Funktionen von Twitter siehe insbesondere hier).
Darin sah das im Twitter-Verfahren zuständige erstinstanzliche ArbG Hamburg (Beschluss vom 06.12.2017 – 28 BV 6/17) auch einen wesentlichen rechtlichen Unterschied. Bei Facebook würden Beiträge Dritter unmittelbar auf der „eigenen“ Profilseite des Arbeitgebers veröffentlicht. Demgegenüber biete Twitter Funktionen („Erwähnung“, „Antwort“ und „Retweet“) an, die jedoch keine öffentlich einsehbare Speicherung auf der Profilseite des Arbeitsgebers bewirkten, sondern dem jeweiligen Nutzer zuzurechnen seien. Die vom BAG zu Facebook aufgestellten Anforderungen seien bei Twitter folglich nicht erfüllt.
Das LAG Hamburg (Beschluss vom 13.09.2018 – 2 TaBV 5/18) vertrat im späteren Beschwerdeverfahren die gegenteilige Auffassung und konstatierte, dass die Facebook-Grundsätze auf Twitter übertragen werden können. Jedenfalls die „Antwort“-Funktion von Twitter sei mitbestimmungspflichtig. Die „Antworten“ auf Tweets des Arbeitsgebers könnten ebenfalls bewertende Kommentare über Arbeitnehmer enthalten. Sie würden zudem dauerhaft gespeichert und seien öffentlich einsehbar. Wo genau die Kommentare verortet bzw. wie sie auffindbar sind, sei hingegen unerheblich. Entscheidend sei allein die Überwachungsgeeignetheit, der mögliche ständige Überwachungsdruck auf die Arbeitnehmer. Da sich die „Antwort“-Funktion nicht separat deaktivieren lasse, sei die Twitter-Nutzung insgesamt mitbestimmungspflichtig. Auf die Bewertung der übrigen Funktionen komme es daher nicht an.
LAG Hamburg: Grundsätze für Facebook sind auf Twitter übertragbar
Die Ausführungen des LAG Hamburg setzen die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechungslinie konsequent um. In der Tat kann es auf den konkreten technischen Aufbau bzw. die optische Gestaltung von Social-Media-Kanälen nicht zentral ankommen. Entscheidend ist bei der anzulegenden schutzzweckbezogenen Betrachtung vielmehr der mögliche Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer aufgrund des möglichen Überwachungsdrucks; der Arbeitgeber muss also durch die Äußerungen Dritter in die Lage versetzt werden, das Verhalten bzw. die Leistung seiner Arbeitnehmer überwachen zu können. Dies trifft für Twitter ebenso zu wie für Facebook.
Zudem können auch bei Twitter die Äußerungen Dritter durchaus der – im Übrigen kein eigenes Tatbestandsmerkmal des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG darstellenden – „Sphäre“ des Arbeitgebers zugerechnet werden; dieser hat Twitter als Kommunikationskanal schließlich aktiv eingerichtet und nutzt ihn üblicherweise auch. Wem und wie die Äußerungen anderer Nutzer angezeigt werden, ist für die Überwachungsgeeignetheit nicht ausschlaggebend, da es ausreicht, dass Bewertungen über Arbeitnehmer nicht auszuschließen sind.
Dem steht auch nicht entgegen, dass das BAG in seiner Facebook-Entscheidung die öffentliche Zugänglichkeit der dortigen Besucher-Beiträge hervorgehoben hat. Faktisch bestimmt die Reichweite von Beiträgen zwar in der Tat das Überwachungspotenzial. Allerdings wird Twitter ebenfalls gerade zum Zweck der – öffentlich einsehbaren – Kommunikation mit der Öffentlichkeit genutzt, sodass diesbezüglich kein grundlegender Unterschied zur Facebook-Entscheidung besteht.
Zudem wäre selbst ein nicht öffentlich einsehbares digitales Kommunikationsmedium des Arbeitgebers unter § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zu subsumieren, sofern es die Arbeitnehmer einem irgendwie gearteten potenziellen Überwachungsdruck aussetzt (a.A. zu einer Kundenfeedback-App ArbG Heilbronn, Beschluss vom 08.06.2017 – 8 BV 6/16).
Unbegrenzte Mitbestimmung – nicht nur bei Social Media
Man kann die vom BAG eingeschlagene Rechtsprechungslinie insgesamt und zu Recht kritisieren, da die zunehmende Technisierung und Digitalisierung des Arbeitslebens zu einer völlig ausufernden Mitbestimmung führt. Sie ist jedoch derart fest etabliert, dass eine grundlegende Änderung in absehbarer Zeit kaum zu erwarten ist. Für Abhilfe könnte daher allenfalls der Gesetzgeber sorgen; hierfür gibt es derzeit aber keinerlei politische Anzeichen.
Wenn man der Rechtsprechung etwas Gutes abgewinnen will, dann ist es die Rechtssicherheit. Da nahezu alle digitalen Produkte Daten erheben und hierdurch Rückschlüsse auf Arbeitnehmerverhalten möglich sind, ist der Betriebsrat quasi immer zu beteiligen.
Dies gilt neben den gängigen Social-Media-Formaten (neben Facebook und Twitter etwa auch Instagram, LinkedIn oder YouTube) auch für Standard-Software (wie Microsoft Office) und jedes Update. Darüber hinaus dürften aber sogar Arbeitgeber-Websites unter § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG fallen, da dort Email-Adressen des Arbeitgebers genannt sind – aufgrund der Impressumspflicht (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 TMG) sogar genannt sein müssen – und sich Dritte auch auf diesem Wege ggf. über einzelne Arbeitnehmer beschweren können.
Es empfiehlt sich für Arbeitgeber daher, diese Themen proaktiv und umfassend mit dem Betriebsrat durch entsprechende (Rahmen-)Betriebsvereinbarungen zu regeln.