Prospekt und Realität
„Folklore, Tanz, Mißwahl und Kostümfest – jeden Tag was anderes“. Mit diesen Worten wurde in dem Prospekt eines Reiseveranstalters eine Karibikkreuzfahrt beworben. Folklore gab es auch. Besonders abwechslungsreich war das Programm aber nicht.
Von den 560 Kreuzfahrtteilnehmern gehörten 500 Passagiere zu der Reisegruppe eines schweizerischen Folklorevereins. Deren Reiseleiter hatte auf Anweisung der Reederei die Gestaltung des Unterhaltungsprogramms an Bord übernommen. Und das merkte man.
„Nach den vorgelegten Tagesprogrammen waren Folklore-Gruppen (Schrammelgruppen und Blaskapellen) im Einsatz. Diese Folkloreeinsätze fanden nicht nur in den Sälen und Bars, sondern auch im Freien statt, z.B. an Deck und am Schwimmbad. Die Borddurchsagen über Lautsprecher in den einzelnen Kabinen erfolgten zumindest teilweise in ‚Schwyzer Dütsch‘”.
Nicht alle waren zufrieden
Was das konkret bedeutete zeigt beispielhaft das Unterhaltungsprogramm eines Tages, das in der Bordzeitung veröffentlicht wurde: „9.30 Uhr Trachtentanz in der Galaxi Disco auf dem Sun Deck, 10.00 Uhr Kapelle Echo vom Toedi beim Schwimmbad, 10.30 Uhr Folklorechoerli in der Galaxi Disco auf dem Sun-Deck vorne, 20.15 Uhr Rassige Unterhaltung mit Dorfspatzen Oberaegeri beim Schwimmbad auf dem Jerusalem Deck, hinten, 20.15 Uhr Tanz mit der Kapelle Echo vom Toedi im Mayfair Ballsaal auf dem Athens Deck, hinten, 22.00 Uhr Kapelle Hans Muff in der Rendez Vous Bar, 22.00 Uhr Gemütlicher Folkloreabend im Mayfair Ballsaal auf dem Athens Deck.“
Die deutsche Reisegruppe von ca. 60 Personen war von alledem nicht gerade begeistert und beschwerte sich bei ihrer Reiseleiterin. Die konnte aber keine Abhilfe schaffen. Der Wunsch der deutschen Passagiere deshalb vorzeitig nach Hause geflogen zu werden, wurde abgelehnt. Stattdessen wurde ihnen die sogenannte Galaxy-Lounge als Aufenthaltsort überlassen. Wie dieser Raum aussah war zwischen den Parteien des späteren Rechtsstreits umstritten. Nach den Angaben der Klägerin „handelte es sich um einen dunklen, unbelüfteten, ca. 20 qm großen Raum, der etwa 40 Personen Platz bot; aber auch von dort seien die überall auf dem Schiff klingende, schweizerischen Heimattöne zu hören gewesen.“
Nachdem der Reiseveranstalter dem Minderungsbegehren einer Mitreisenden nicht entsprach ging es vor Gericht. Das AG Frankfurt am Main (Urt. v. 20.8.1992 – 30 C 1214/92-47) sah eine Minderung in Höhe von 35 Prozent des gesamten Reisepreises als angemessen an. Zu viel, meinte das beklagte Unternehmen und legte Berufung ein.
Ein gewisses Übergewicht
Das Unternehmen meinte, „das Bordleben habe zwar ein gewisses Übergewicht im Sinne schweizerischer Folkloreunterhaltung ausgewiesen, die Reise sei dadurch aber nicht wesentlich beeinträchtigt worden. Immerhin sei das Schiff in der Karibik gefahren und die Kläger hätten die Gegend mit Palmen, weißem Strand, südlicher Sonne vor einem strahlendblauen Himmel genießen und in kristallklarem Wasser baden können.“
Das LG Frankfurt am Main konnte es mit diesen Argumenten nicht überzeugen (Urt. v. 19.4.1993 – 2/24 S 341/92). Es war der Ansicht, dass das Amtsgericht der Klägerin zu Recht eine Minderung des Reisepreises zuerkannt hat. Und es sah sogar einen Minderungsbetrag von 40 Prozent als angemessen an.
Das Gericht führte aus, dass sich das Programm einer Kreuzfahrt „naturgemäß an der Art der Kreuzfahrt auszurichten“ hat. „Bei einer Kreuzfahrt in die Karibik kann davon ausgegangen werden, daß dieses Programm der Reiseroute angepaßt ist, d.h. Palmen … und südamerikanische Rhythmen berücksichtigt“. Diesen Erwartungen wurde das Programm offensichtlich nicht gerecht. Die „mit Kuhglocken, Blaskapellen, Jodler Schweizer Dorfspatzen oder Trachtentänze angereicherten Programme“, so das Gericht, „passen in die Gebirgswelt der Alpen, nicht aber in das Gebiet der Karibik und schon gar nicht auf ein Kreuzfahrtschiff, bei dem der Reisende diesem einseitigen Treiben nicht ausweichen kann“.
Diskrepanz zwischen Umfeld und Programm
Das Gericht hob hervor, dass die deutschen Passagiere „selbst in den eigenen Kabinen (…) nicht völlig von dem Treiben verschont“ blieben, „da die Borddurchsagen unstreitig, soweit es die Schweizer Veranstaltungen betraf, durch den schweizerischen Betreuer mit Namen B in ‚Schwyzer Dütsch‘ erfolgten.“
Den Einwand der Beklagten, dass die Passagiere, „die Karibik mit Palmen, Sand und kristallklarem Wasser sehen und genießen“ konnten, war für das Gericht „unerheblich“. Denn der „Reisemangel liegt gerade in der Diskrepanz zwischen diesem ‚Karibik-Umfeld‘ und der gebotenen Unterhaltung.“
Dass den deutschen Gästen ein eigener Raum zur Verfügung gestellt wurde, machte das Ganze nicht besser. Im Gegenteil! Die „Ausgrenzung der deutschen Gäste und ihre Verweisung (…) in einen eigenen Raum“ stellte „eine zusätzliche Beeinträchtigung dar“, so das Gericht.
Allzu hoch ist der Minderungsbetrag vor dem Hintergrund all dessen nicht. Aber klar ist auf jeden Fall: Anders als in dem Prospekt angepriesen, zählt „die schwimmende Lady aus Griechenland“ für die Klägerin nach den gemachten Erfahrungen wohl nicht „zu jenen Kreuzfahrtschiffen, zu denen man eine persönliche Beziehung entwickelt, auf die man nach den Ausflügen gerne zurückkehrt, von der man wehmütig Abschied nimmt, wenn der letzte Hafen unwiderruflich das Ende einer schönen Kreuzfahrt signalisiert.“
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