Das Thema
Betriebsräte haben umfangreiche Beteiligungsrechte bei personellen Einzelmaßnahmen; insbesondere bei der Einstellung. Unter Einstellung wird die tatsächliche Eingliederung eines Arbeitnehmers in den Betrieb verstanden. Bevor die Arbeitgeberin eine mitbestimmungspflichtige Einstellung vornimmt, muss sie zunächst vollständig und rechtzeitig den Unterrichtungsanspruch des Betriebsrats aus § 99 Abs. 1 BetrVG etwa im Rahmen von Bewerbungsverfahren erfüllen.
Wie eine neue Entscheidung des LAG Köln (Beschluss v. 15.05.2020 – 9 TaBV 32/19) zeigt: Hieran hat sich auch in Zeiten der Digitalisierung und von Recruiting-Software oder Bewerbungsmanagement-Tools, also bei einer Online-Bewerbung, nicht viel geändert.
Umfang des Unterrichtungsanspruchs bei Bewerbungen
Der Unterrichtungsanspruch beinhaltet, den Betriebsrat umfassend zu informieren. Die Arbeitgeberin legt dem Betriebsrat die erforderlichen Bewerbungsunterlagen vor und erteilt Auskunft über die beteiligten Personen und die Auswirkungen der Einstellung, insbesondere den in Aussicht genommenen Arbeitsplatz.
Der Begriff der „erforderlichen Bewerbungsunterlagen“ ist im Laufe der Zeit von der Rechtsprechung bestimmt worden. Dazu muss jedes Detail jeder Bewerbung, auch der Bewerber, die nicht genommen worden bzw. in die engere Wahl gekommen sind, gegenüber dem Betriebsrat offengelegt werden. Dazu zählen insbesondere
- das Bewerbungsschreiben,
- ein Lichtbild,
- der Lebenslauf und
- die Zeugnisse.
Weiterhin umfasst die Vorlagepflicht alle Unterlagen, die Einfluss auf die Personalentscheidung haben können. Dazu zählen auch solche Unterlagen, die von der Arbeitgeberin erst selbst erstellt worden sind (BAG, Beschluss vom 17.06.2008 – 1 ABR 20/07). Das können
- ausgefüllte Personalfragebögen,
- Ergebnisse von Einstellungstests oder
- Ergebnisse von Arbeitsproben
sein.
Schlussendlich muss die Arbeitgeberin dem Betriebsrat auch nachvollziehbar darlegen, warum sie sich für einen Bewerber entschieden hat. Dabei muss sie vergleichend darstellen, warum der ausgewählte Bewerber nach ihrer Einschätzung besser für die Stelle geeignet ist (BAG, Beschluss vom 28.06.2005 – 1 ABR 26/04).
Grenzen des Unterrichtungsanspruchs
Der Unterrichtungsanspruch ist jedoch nicht unbegrenzt. Unterlagen und Schriftstücke, die die Arbeitgeberin bei ihrer Auswahlentscheidung nicht berücksichtigt hat, sind nicht von der Vorlagepflicht des § 99 Abs. 1 BetrVG umfasst.
Nicht vorlegt werden müssen daher
- Unterlagen oder Notizen, die für die Auswahlentscheidung der Arbeitgeberin ohne jegliche Bedeutung waren; etwa formlose und unstrukturierte Gesprächsnotizen, die lediglich als Gedächtnisstütze dienen sollten (BAG, Beschluss vom 14.04.2015 – 1 ABR 58/13)
- Unterlagen, die die Arbeitgeberin selbst noch nicht hat und die sie erst für den Betriebsrat anfertigen oder besorgen müsste.
Weiterhin beinhaltet § 99 Abs. 1 BetrVG auch nicht das Recht
- den Inhalt des Arbeitsvertrages, der mit dem einzustellenden Arbeitnehmer abgeschlossen werden soll, einzusehen (BAG, Beschluss vom 27.10.2010 − 7 ABR 36/09),
- auf Mitteilung der Gründe für dessen Befristung (BAG, Beschluss vom 27.10.2010 − 7 ABR 36/09) oder
- auf persönliche Teilnahme an Bewerbungsgesprächen (BAG, Beschluss vom 28.06.2005 – 1 ABR 26/04).
Art und Weise der Unterrichtung bei Online-Bewerbungen
Für eine ordnungsgemäße Unterrichtung reicht eine reine Vorlage nicht aus. Die Arbeitgeberin muss dem Betriebsrat die Unterlagen zur Beschlussfassung für maximal eine Woche überlassen. Der Betriebsrat ist jedoch nicht berechtigt, Kopien oder Abschriften der Unterlagen anzufertigen. Bei der Nutzung eines Bewerbungsmanagement-Tools im Rahmen einer Online-Bewerbung kann der Überlassung dadurch Genüge getan werden, dass dem Betriebsrat ein voller Lesezugriff eingeräumt wird.
Der Betriebsrat muss gem. § 99 Abs. 1 BetrVG zeitlich „vor“ der Einstellung unterrichtet werden. Wegen der Frist des § 99 Abs. 3 BetrVG hat die Unterrichtung spätestens eine Woche vor der der Durchführung der Einstellung zu erfolgen. Am zweckmäßigsten ist es jedoch, den Betriebsrat so früh wie möglich zu unterrichten.
Folgen einer unvollständigen oder unterlassenen Unterrichtung
Sofern die Unterrichtung nicht rechtzeitig und/oder unvollständig erfolgt oder gänzlich unterbleibt, kann der Betriebsrat seine Zustimmung verweigern. Die Arbeitgeberin hat zwar grundsätzlich die Möglichkeit, die Ersetzung der Zustimmung beim Arbeitsgericht zu beantragen. Allerdings dürfen die Arbeitsgerichte die Zustimmungsverweigerung bei mangelnder Unterrichtung nicht ersetzen (BAG, Beschluss vom 28.06.2005 – 1 ABR 26/04).
Eine unvollständige Unterrichtung kann die Arbeitgeberin auch noch im Zustimmungsersetzungsverfahren durch das Nachreichen von Informationen nachholen (BAG, Beschluss vom 09.04.2019 – 1 ABR 30/17).
Online-Bewerbung: Besonderheiten bei der Nutzung von digitalen Bewerbungssystemen
Die Zeiten, in denen Bewerbungsunterlagen nur im Papierformat bestehen, sind jedoch längst vorbei. Heutzutage wird zur Erleichterung des Einstellungsprozesses vielfach auf digitale Bewerbungssysteme wie Recruiting-Software oder Bewerbungsmanagement-Tools, also die Online-Bewerbung, gesetzt.
Die zunehmende Digitalisierung ändert aber nichts daran, dass der Betriebsrat vollumfänglich informiert und angehört werden muss. Der Unterrichtungsanspruch des Betriebsrates beschränkt sich konsequenterweise nicht mehr nur auf Papier, sondern auch auf digitale Einträge und Daten.
Daher muss der Betriebsrat auch volle Einsicht in die genutzten Funktionen, wie Kommentare, Chats und Bewertungen dieser Bewerbungssysteme erhalten (LAG Köln, Beschluss vom 15.05.2020 – 9 TaBV 32/19). Dieser Einsicht wird nicht alleine dadurch Rechnung getragen, dass die Inhalte der Bewerbungssysteme ausgedruckt werden. Vielmehr ist die Arbeitgeberin dazu verpflichtet, die Nutzung der Funktionen zu dokumentieren und dem Betriebsrat vorzulegen. Dem kann dadurch Genüge getan werden, dass dem Betriebsrat der Zugriff auf das System erlaubt wird.
Dem stehen auch keine datenschutzrechtlichen Bedenken entgegen, da § 26 Abs. 1 S. 1 BDSG die Weitergabe der Daten für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses erlaubt (LAG Köln, Beschluss vom 15.05.2020 – 9 TaBV 32/19).
Was das für die Praxis der Mitbestimmung bei Online-Bewerbungen bedeutet
Durch die Rechtsprechung des LAG Köln ist der Unterrichtungsanspruch des Betriebsrats bei der Nutzung von digitalen Bewerbungssystemen konkretisiert worden. Der Betriebsrat sollte daher über die Funktionalitäten der eingesetzten Software genau informiert werden.
Am einfachsten ist es dabei, dem Betriebsrat einen vollen Lesezugriff einzuräumen. Nur so kann der Betriebsrat auf den gleichen Informationsstand wie die Arbeitgeberin kommen und der Unterrichtungsanspruch erfüllt werden.
*Mit freundlicher Unterstützung von Diana Bruch, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Buse Heberer Fromm (Büro Essen)