Zu früh gebucht
Eine Vertriebsassistentin hatte im Sommer 1997 zusammen mit ihrem Freund eine Flugreise gebucht. Sie wollten Weihnachten und Neujahr in Venezuela verbringen. Erst Ende Oktober beantragte sie den dafür notwendigen Urlaub. Der wurde nicht erteilt. Ihr Arbeitgeber begründete die Ablehnung damit, dass der Jahresabschluss ohne ihre Mitarbeit gefährdet sei, nachdem zwei Beschäftigte aus dem vierköpfigen Team der Arbeitnehmerin gekündigt hatten.
In der Folgezeit versuchte die Vertriebsassistentin immer wieder, ihren Arbeitgeber umzustimmen – ohne Erfolg. Am 19. Dezember schien sie ihr Ansinnen aufzugeben. In einem Gespräch mit dem Geschäftsführer und dem Personalleiter erklärte sie, dass sie ihren Flug umbuchen werde und erst nach dem Jahresabschluss Urlaub machen wolle. Der nunmehr von ihr begehrte Urlaub für die Zeit vom 5. bis zum 18. Januar wurde erteilt.
Am 23. Dezember verließ die Frau vorzeitig ihren Arbeitsplatz. Als Grund gab sie an, dass sie zum Zahnarzt müsse. Statt ärztlicher Hilfe nahm sie allerdings zunächst anwaltliche in Anspruch.
Erst zum Anwalt, dann zum Arzt
Eineinhalb Stunden nachdem sie ihre Arbeit beendet hatte, meldete sich ihr Rechtsanwalt beim Personalleiter ihres Arbeitgebers und fragte, ob im Hinblick auf die festgebuchte Karibikreise bezüglich des Urlaubszeitraums noch etwas zu machen sei. Dieses Ansinnen lehnte der Personalleiter ab. Er verwies nochmals darauf, dass die Vertriebsassistentin aufgrund der betrieblichen Erfordernisse bis zum 5. Januar arbeiten muss. Die Klägerin war danach nach eigenen Angaben „psychosomatisch … ‚am Boden zerstört‘“ und suchte deshalb ihre Hausärztin auf.
Am 29. Dezember, dem ersten Arbeitstag nach den Weihnachtstagen, erschien die Vertriebsassistentin nicht zur Arbeit. Am gleichen Tag ging bei dem Unternehmen eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein, in der die Hausärztin der Mitarbeiterin bis zum 7. Januar Arbeitsunfähigkeit attestierte.
Zwei Tage später, am 31.Dezember, war die Frau dann in der RTL 2-Sendung „Silvester unter Palmen“ zu sehen – live an ihrem Urlaubsort Venezuela. Das bekam auch der Arbeitgeber mit. Er kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos.
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hat keinen Beweiswert
Dagegen wehrte sich die Arbeitnehmerin vor Gericht. Arbeitsunfähig krank bedeute schließlich nicht urlaubsunfähig krank. Für ihren Wiedergesundungsprozess sei gerade die Ortsveränderung „und das Versetzen in einen urlaubsähnlichen Zustand ‚heilend‘ gewesen“. Das ArbG Nürnberg konnte sie mit dieser Argumentation nicht überzeugen (Urt. v. 28.7.1998 – 6 Ca 492/98).
Es ging davon aus, dass die Vertriebsassistentin ihre Arbeit beharrlich verweigert und den Urlaub eigenmächtig angetreten hatte. Die von der Frau vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung habe „keinen Beweiswert für die von der Klägerin behauptete Arbeitsunfähigkeit“. Die Bekundungen der als Zeugin auftretenden Ärztin, die die Bescheinigung erstellt hatte, konnten nach Auffassung des Gerichts nicht belegen, dass die Beschäftigte arbeitsunfähig krank war.
Keine plausible Begründung
Zwar mache der Umstand, dass die Ärztin zu der Vertriebsassistentin „ein engeres Verhältnis hat als zu anderen Patienten … ihre Aussage noch … nicht unglaubwürdig“. Die Medizinerin konnte nach Auffassung des Gerichts allerdings keine überzeugenden Gründe dafür anführen, dass sie der Vertriebsassistentin am Tag vor Heiligabend für die nachfolgenden fünfzehn Kalendertage Arbeitsunfähigkeit bescheinigte.
Es mag zwar zutreffen, dass die Frau sowohl in der Praxis der Ärztin als zuvor auch in den Räumen des Rechtsanwalts gezittert und geweint hat, nachdem der Personalalleiter ihr Urlaubsbegehren abermals abgelehnt hat, meinte das Gericht. Dieser Umstand ersetze aber keine plausible Begründung dafür, aus welchen Gründen die Vertriebsassistentin auch fünf arbeitsfreie Tage später nicht in der Lage gewesen sein soll, ihre Arbeitsleistung zu erbringen.
Entscheidung fachlich nicht begründet
Die Ärztin hatte die mehrwöchige Bescheinigung damit begründet, dass sie selbst Urlaub machen und anschließend ihre Patientin noch einmal sehen wollte. Das spreche dafür, dass die Ärztin die Arbeitsfähigkeit nicht nach objektiven medizinischen Kriterien beurteilt, sondern ihre Entscheidung an privaten Umständen ausgerichtet hat.
Diese Einschätzung wurde dadurch bestätigt, dass die Medizinerin angab, jemanden in dem damaligen Zustand der Vertriebsassistentin normalerweise nur für eine Woche arbeitsunfähig krank zu schreiben. Zum Gesundheitszustand der Beschäftigten an ihrem ersten Arbeitstag nach den Weihnachtstagen konnte die Ärztin keinerlei Angaben aus eigener Wahrnehmung machen. Gründe für eine für diesen Zeitpunkt prognostizierte Arbeitsunfähigkeit konnte sie nicht nennen.
Und damit war klar, dass die Vertriebsassistentin ihren Job los war. Nicht gerade ein guter Start ins neue Jahr.
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