Das Thema
“Auf hoher See und vor Gericht…..” – Sie wissen schon. Auf hoher See helfen allerdings manchmal ein gutes Schiff und ein erfahrener Steuermann aus der Misere; an Land ist der Ausgang eines Gerichtsverfahrens dagegen oft völlig ungewiss. Manchmal auch deswegen, weil unklare Gesetze unterschiedliche Betrachtungsweisen und Ergebnisse zulassen. Für eine virtuelle Beschlussfassung des Betriebsrats gilt diese Volksweisheit nun allerdings nicht mehr. Diese sind auf hoher See bald möglich, an Land (weiterhin) verboten.
Gesetzlich sind virtuelle Betriebsratssitzungen bisher nicht vorgesehen. Alle Beschlussfassungen des Betriebsrats müssen im geschlossenen Raum stattfinden, damit die „Nichtöffentlichkeit“ nach § 30 S. 4 BetrVG gewahrt ist. Der deutsche Gesetzgeber pocht damit auf die Notwendigkeit eines physischen Treffens des Betriebsrates unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Es sei denn, es handelt sich um Seebetriebsräte: Der Bundestag macht nämlich mit dem neuen § 41a EBRG den Weg für virtuelle Betriebsratssitzungen auf See frei.
Aus der arbeitsrechtlichen Blogosphäre zum Thema
Kurz vor Ende der 18. Wahlperiode beschloss der Bundestag am 2. Juni 2017 in Umsetzung der EU-Richtlinie EU 2015/1794 die Änderung des Europäische Betriebsräte-Gesetzes. Übrigens etwas versteckt in einem Artikelgesetz zur Verbesserung der Leistungen bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und zur Änderung anderer Gesetze (zum letztlich beschlossenen Gesetzentwurf in der Fassung vom 12. April 2017).
Mit dem neuen § 41a EBRG, welcher zum 10. Oktober 2017 in Kraft tritt, wird nun – beschränkt auf Seebetriebsräte – erstmals erlaubt, auch virtuell an Gremiensitzungen teilzunehmen. Die wirksame Beschlussfassung kann damit beispielsweise per Videokonferenz erfolgen. Das wird für Mitglieder des Seebetriebsrats gelten, die sich etwa gerade auf See oder in einem fremden Hafen befinden, der sich in einem anderen Land als dem befindet, in dem die Reederei ihren Geschäftssitz hat (Anmerkung: Muss das betreffende Mitglied dann eigentlich auf dem Schiff im fremden Hafen sein oder geht es auch von der Parkbank der Hafenpromenade?)
Auf diese gesetzliche Neuregelung weist Jan Peter Schiller in einem Beitrag für den Blog von CMS Hasche Sigle hin und formuliert zugleich die Forderung, diesen ersten zaghaften Schritt des Gesetzgebers auch auf den Betriebsrat zu Land zu übertragen. Seiner Meinung nach sollte nicht die Zulässigkeit, sondern die Unzulässigkeit virtueller Sitzungen die Ausnahme darstellen. Solche Ausnahmen könnten in Fällen von besonderer Bedeutung für die Arbeitnehmer gelten; z.B. bei Betriebsänderungen nach §§ 111 ff. BetrVG.
[Update, 26. Juli 2017]: Auch im ArbRB-Blog weist Rechtsanwalt Detlef Grimm auf die gesetzliche Neuregelung im EBRG hin und setzt sich auch mit der Kritik des DGB an der Neuregelung auseinander. Für Prof. Dr. Markus Stoffels ist bei seinem Kommentar im Blog des C.H. Beck Verlages die Neuregelung ein deutliches Zeichen dafür, dass der Wandel der Arbeitswelt auch nicht vor der Betriebsverfassung Halt macht.
Die Zurückhaltung auf Land
Die Kritik an der Tatsache, dass wirksame Betriebsratsbeschlüsse im Zeitalter der digitalen Kommunikation ausschließlich durch physische Anwesenheit herbeigeführt werden können, ist seit längerer Zeit groß und eigentlich nicht mehr zu überhören. So hat z.B. der Bundesverband der Arbeitsrechtler in Unternehmen e.V. (BVAU) mehrfach gefordert, die Arbeitsweise der Betriebsräte an das digitale Zeitalter anzupassen. Diese Forderung findet sich u.a. als Zitat auch im Weißbuch 4.0 des BMAS auf Seite 161; eine Antwort des Ministeriums dazu ebenfalls. Der Gesetzgeber – besser das BMAS – begründet seine Zurückhaltung – auf Land – im Weißbuch ab Seite 160 wie folgt:
„Das geltende Recht steht Videokonferenzen zwischen Betriebsratsmitgliedern auch nicht entgegen. Für Betriebsratssitzungen sind sie allerdings mit Blick auf den wichtigen Grundsatz der Nichtöffentlichkeit bislang nicht zulässig. Anders als bei einer persönlichen Zusammenkunft kann bei einer Videokonferenz nicht sichergestellt werden, dass kein Dritter außerhalb des Kamerabereichs oder der Sitzungsräume die Sitzung verfolgt oder heimlich mitschneidet. Es fehlt zudem das Element des persönlichen Austausches, der im Zuge einer verstärkten Virtualisierung von Arbeitszusammenhängen eher an Bedeutung gewinnt.“
Im neuen § 41a EBRG steht übrigens zum gleichen Aspekt als Voraussetzung für eine virtuelle Betriebsratssitzung auf hoher See: „Es muss sichergestellt sein, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können.“ Also geht der Gesetzgeber offensichtlich davon aus, dass dies machbar ist – aber nur auf hoher See?
Kurs klar – Segel gesetzt?
Erfreulicherweise will die Bundesregierung, wie unterschiedliche Quellen berichten, die Zulässigkeit von Videokonferenzen für Betriebsratssitzungen in Erwägung ziehen. Voraussetzung soll die Initiative und die einstimmige Entscheidung des Betriebsrats in eng definierten Ausnahmefällen sein, in denen eine Präsenzsitzung wegen besonderer Dringlichkeit erheblich erschwert ist. Der Betriebsrat müsste vorher durch technische Maßnahmen sicherstellen, dass Dritte die Sitzung nicht mitverfolgen können.
Nun denn: digitale Betriebsratsarbeit volle Kraft voraus?!