Das Thema
Dieses Spannungsfeld zeigt sich auch in der diesem Beitrag zugrundeliegenden Entscheidung des BAG (Urt. v. 24.08.2023 – 2 AZR 17/23), in der sich ein Arbeitnehmer in einer WhatsApp-Chatgruppe in stark beleidigender und menschenverachtender Weise über Vorgesetzte und Kollegen geäußert hat. Der Zweite Senat hatte über die Rechtmäßigkeit der daraufhin vom Arbeitgeber ausgesprochenen außerordentlichen verhaltensbedingten Kündigung zu befinden.
Nach Auffassung des BAG kann eine außerordentliche fristlose Kündigung eines Arbeitnehmers, der sich in einer WhatsApp-Chatgruppe auf diese Weise über Arbeitskollegen und Vorgesetzte geäußert hat, rechtmäßig sein. Bei beleidigenden und menschenverachtenden Äußerungen über Betriebsangehörige in einer aus sieben Teilnehmern bestehenden privaten Chatgruppe bedürfe es jedenfalls einer besonderen Darlegung, warum der sich derart äußernde Arbeitnehmer berechtigterweise darauf vertrauen durfte, seine Äußerungen würden von keinem Beteiligten an Dritte weitergegeben.
Der Sachverhalt
Der Kläger war seit dem Jahr 1999 als Gruppenleiter Lagerlogistik bei der Beklagten beschäftigt. Er gehörte seit dem Jahr 2014 zusammen mit fünf gegenwärtigen Arbeitskollegen und seit November 2020 zusätzlich mit einem ehemaligen Arbeitskollegen einer privaten WhatsApp-Chatgruppe an. Alle Mitglieder der Chatgruppe waren langjährig miteinander befreundet, zwei Mitglieder waren sogar miteinander verwandt. Der Kläger äußerte sich in dieser WhatsApp-Chatgruppe in stark beleidigender, fremdenfeindlicher, sexistischer und menschenverachtender Weise über Vorgesetzte und Arbeitskollegen und rief zu Gewalt gegen diese auf. Der Chat-Verlauf enthielt unter anderem die nachfolgenden Äußerungen:
„Erst den Polakken umnieten der ist der Schlimmste“, „alle aufknüpfen den Polen zuerst“, „zionistische Herrscherlobby“, „und die Neeger kommen“, „ja, die Moslems sind den gemeinen Juden recht ähnlich was Geschäfte angeht, allerdings 7 Klassen tiefer, Ziegen, Kiosk und Firmen“, „polnische Verräterfotze mit ihrer Scheißmail“, „Einer muss von den in die Fresse kriegen als Vorwarnung Oder wir dackeln das Bott der Verräter ab“.
Nachdem der Arbeitgeber von diesem Verhalten durch Zufall Kenntnis erlangte, hörte er den Kläger mit Schreiben vom 22.07.2021 und den Betriebsrat mit Schreiben vom 27.07.2021 an. Der Betriebsrat stimmte der außerordentlichen fristlosen Kündigung noch am Tag der Anhörung zu. Sodann kündigte die Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos mit Schreiben vom 28.07.2021, hilfsweise mit sozialer Auslauffrist zum 31.03.2022. Gegen diese Kündigung erhob der Kläger Kündigungsschutzklage, der von beiden Vorinstanzen stattgegeben wurde (ArbG Hannover, Urt. v. 24.02.2022 – 10 Ca 147/21; LAG Niedersachsen, Urt. v. 19.12.2022 – 15 Sa 284/22).
Das Berufungsgericht ging von einer berechtigten Vertraulichkeitserwartung des Arbeitnehmers hinsichtlich der von ihm in der WhatsApp-Chatgruppe getätigten Äußerungen aus und verneinte aus diesem Grund das Vorliegen eines Kündigungsgrundes. Gegen dieses Urteil legte die Beklagte mit Erfolg Revision zum BAG ein.
Die Entscheidung des BAG
Im Rahmen seiner zweistufigen Prüfung ging das BAG zunächst davon aus, dass grobe Beleidigungen von Vorgesetzen und Arbeitskollegen, die nach Inhalt und Form eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten, grundsätzlich dazu geeignet seien, eine fristlose Kündigung des sich derartig äußernden Arbeitnehmers zu rechtfertigen (vgl. auch BAG Urt. v. 05.12.2019 – 2 AZR 240/19, NZA 2020, 646). Der Umstand, dass die Äußerungen in einer privaten Chatgruppe erfolgt sind, stehe ihrer Einordnung als schwerwiegende arbeitsvertragliche Pflichtverletzung nicht entgegen, da sie sich auf Vorgesetzte und Kollegen und damit auf betriebliche Umstände bezogen.
Besondere Schutzwürdigkeit vertraulicher Äußerungen
Ob die Äußerungen auch im konkreten Einzelfall dazu geeignet sind, eine außerordentliche verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen, hänge zunächst davon ab, ob die von dem Kläger getätigten Äußerungen auf Grund ihres vertraulichen Charakters besonders schutzwürdig sind. Insoweit kommen die in ständiger Rechtsprechung aufgestellten Kriterien zur Rechtmäßigkeit einer Kündigung bei in vertraulichen Gesprächen getätigten Äußerungen zur Anwendung. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG bestehe bei ehrverletzenden Äußerungen über nicht anwesende Dritte in engen Lebenskreisen eine beleidigungsfreie Sphäre, wenn die Äußerung Ausdruck des besonderen Vertrauens sei und keine begründete Möglichkeit ihrer Weitergabe bestehe (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.03.2021 – 2 BvR 194/20, NStZ 2021, 439; BVerwG, Urt. v. 13.01.2022 – 2 WD 4/21, NVwZ-RR 2022, 385). Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG sei, dass der Einzelne einen Raum besitze, in dem er mit Personen seines besonderen Vertrauens ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Verhaltenserwartungen und ohne Furcht vor Sanktionen verkehren kann. Der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erfasse dabei auch die Privatsphäre und damit auch die vertrauliche Kommunikation. Unter den Bedingungen besonderer Vertraulichkeit sei dem Einzelnen ein rückhaltloser Ausdruck seiner Emotionen, die Offenbarung geheimer Wünsche oder Ängste, die freimütige Kundgabe des eigenen Urteils über Verhältnisse und Personen oder eine entlastende Selbstdarstellung möglich. Entscheidend für den grundrechtlichen Vertraulichkeitsschutz sei jedoch, dass zwischen den Gesprächspartnern ein mit nahestehenden Familienangehörigen vergleichbares Vertrauensverhältnis bestehe (vgl. BVerfG. v. 17.03.2021).
Keine berechtigte Vertraulichkeitserwartung im vorliegenden Fall
Das BAG hält die Einschätzung des Berufungsgerichts, wonach der Kläger auf die Vertraulichkeit seiner in der Chatgruppe getätigten Äußerungen vertrauen durfte, für rechtsfehlerhaft. Bei der rechtlichen Würdigung von diffamierenden oder ehrverletzenden Äußerungen über Vorgesetzte oder Kollegen seien stets die Umstände zu berücksichtigen, unter denen sie gefallen sind. Sei dies in vertraulichen Gesprächen unter Arbeitskollegen der Fall gewesen, könnten die Äußerungen eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht ohne Weiteres rechtfertigen. Denn der Arbeitnehmer dürfe bei solchen Gesprächen regelmäßig darauf vertrauen, dass seine Äußerungen nicht nach außen getragen werden. Er müsse nicht mit einer Störung des Betriebsfriedens und mit einer Belastung des Vertrauensverhältnisses zum Arbeitgeber durch seine Äußerungen rechnen (vgl. BAG, Urt. v. 10.12.2009 – 2 AZR 534/08, NZA 2010, 698). Eine Vertraulichkeitserwartung sei nur dann berechtigt, wenn auch die Mitglieder der Chatgruppe den besonderen persönlichkeitsrechtlichen Schutz einer Sphäre vertraulicher Kommunikation in Anspruch nehmen könnten. Entscheidend für das Bestehen einer derartigen berechtigten Vertraulichkeitserwartung sei, ob der Arbeitnehmer sicher davon ausgehen durfte, dass seine Kollegen die Äußerungen für sich behalten würden (vgl. BAG v. 10.12.2009). Ob dies der Fall ist, hänge zum einen von dem Inhalt der ausgetauschten Nachrichten und zum anderen von der Größe und der personellen Zusammensetzung der Chatgruppe ab.
Notwendigkeit einer besonderen Darlegung durch den Arbeitnehmer
Da die von dem Kläger geschriebenen Nachrichten in dem zugrundeliegenden Fall beleidigende und menschenverachtende Äußerungen über Betriebsangehörige enthielten, vertrat das BAG die Auffassung, dass sich der Arbeitnehmer nur im Ausnahmefall auf eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung berufen könne. Jedenfalls bedürfe es einer besonderen Darlegung, weshalb der Kläger angesichts der Größe und der Zusammensetzung des beteiligten Personenkreises in berechtigter Weise erwarten durfte, der Inhalt seiner Äußerungen würde von keinem Gruppenmitglied an einen Dritten weitergegeben. Dieser besonderen Darlegungslast sei der Kläger bislang nicht nachgekommen.
Daher hat das BAG die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen, welches dem Kläger die Gelegenheit geben wird, darzulegen, warum er angesichts der Größe der Chatgruppe, ihrer geänderten Zusammensetzung, der unterschiedlichen Beteiligung der Gruppenmitglieder an den Chats sowie der Nutzung eines auf schnelle Weiterleitung von Äußerungen angelegten Mediums wie WhatsApp eine berechtigte Vertrauenserwartung haben durfte.
Rechtliche Bewertung
Dem Urteil des BAG kommt eine hohe Praxisrelevanz zu, da das Gericht sich in diesem Rahmen erstmals mit der Frage zu beschäftigen hatte, ob eine verhältnismäßig kleine und zugangsbeschränkte WhatsApp-Chatgruppe als eine Art geschützter privater Raum anzusehen ist, in dem eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung hinsichtlich der dort getätigten Äußerungen besteht. Wenn dies der Fall wäre, blieben dort geäußerte Beschimpfungen oder Beleidigungen von Kollegen und Vorgesetzten ohne arbeitsrechtliche Konsequenzen.
Das Urteil dürfte zudem auf eine Vielzahl praktischer Fälle übertragbar sein, nämlich auf alle, die eine Kündigung aufgrund von ehrverletzenden Äußerungen über Kollegen oder Vorgesetzte in einem Social-Media-Gruppenchat zum Gegenstand haben. In Betracht kommen zum Beispiel ehrverletzende Äußerungen in Facebook- oder Instagram-Gruppen.
Im vorliegenden Fall ist aufgrund der Größe der aus sieben Mitgliedern bestehenden Chatgruppe, sowie aufgrund des Umstandes, dass es sich bei sämtlichen Mitgliedern um zumeist aktuelle und zum Teil ehemalige Arbeitskollegen handelte, nicht damit zu rechnen, dass dem Kläger die Darlegung einer berechtigten Vertraulichkeitserwartung hinsichtlich der von ihm getätigten Äußerungen gelingen wird.
Praxishinweis
Zwar ist es grundsätzlich anerkannt, dass im Rahmen eines besonderen Vertrauensverhältnisses auch solche Äußerungen grundrechtlichen Schutz genießen, die nicht schutzwürdig wären, wenn sie gegenüber der breiten Öffentlichkeit geäußert worden wären. So ist der Arbeitnehmer gerade nicht gehalten, von seinem Arbeitgeber und seinen Kollegen nur positiv zu denken und sich in seiner Privatsphäre ausschließlich positiv über diese zu äußern (vgl. auch Scheid/Klinkhammer, ArbRAktuell 2013, 6, 9).
In der Praxis stellen sich in Fällen wie dem vorliegenden gleichwohl eine Vielzahl von Einzelfragen, die für die Rechtmäßigkeit einer durch den Arbeitgeber ausgesprochenen Kündigung relevant sind. Dies ist zunächst die Frage nach der Art der Nähebeziehung, die zwischen dem sich äußernden Arbeitnehmer und dem Empfänger bzw. den Empfängern der Nachrichten besteht. Relevant ist ferner die Anzahl der Gesprächsteilnehmer und die Frage, ob es sich bei diesen um Arbeitskollegen handelt.
Gleichwohl dürfte es im Grundsatz dabei bleiben, dass Gespräche in kleineren Gruppen weiterhin den besonderen Schutz vertraulicher Kommunikation genießen, mit der Folge, dass beleidigende oder ehrverletzende Äußerungen in einem solchen Rahmen regelmäßig keine rechtlichen Sanktionen nach sich ziehen. Werden die Äußerungen jedoch – wie hier – in sozialen Medien verschriftlicht, bei denen eine rasante Verbreitung der Äußerungen bezweckt ist und die eine große und unüberschaubare Nutzerzahl aufweisen, dürfte eine Berufung des sich äußernden Arbeitnehmers auf die Grundsätze einer vertraulichen Kommunikation in Zukunft ausgeschlossen sein.