Ein Mandat auf Empfehlung
Der Angeklagte war als Rechtsanwalt tätig. Reich wurde er damit nicht. Im Jahr 2013 hat er gerade einmal 14.983 Euro verdient. Ob das an seinen Leistungen lag, ist möglich aber nicht zwingend. Immerhin wurde er in dem vom OLG Hamm (Beschl. v. 12.5.2016 – 1 RVs 18/16) entschiedenen Fall auf Empfehlung tätig. Ein gekündigter Arbeitnehmer hatte sich auf Empfehlung der Freundin seiner Frau an ihn gewandt.
Das Arbeitsverhältnis des so gewonnenen Mandanten war bereits kurz nach Beginn durch den Arbeitgeber gekündigt worden. Aufgrund eines behaupteten Regressanspruchs behielt das Unternehmen einen Teil des Entgelts ein. Das sollte der Anwalt außergerichtlich und gerichtlich geltend machen. Dafür überwies der Mann auch einen Kostenvorschuss: 46,41 Euro. Weitere Zahlungen verlangte der Rechtsanwalt in der Folgezeit nicht.
Der Jurist schrieb das Unternehmen an und wies den behaupteten Regressanspruch zurück. Weitere Tätigkeiten entfaltete er aber nicht, obwohl sich sein Mandant immer wieder nach dem Stand des Verfahrens erkundigte. Auf diese Anfragen teilte der Rechtsanwalt ihm unterschiedliche, frei erfundene Tatsachen mit. So gab er etwa an, dass sich die Bearbeitung der Klage verzögere, weil die Gerichte überlastet seien.
Der Mandant beginnt zu quengeln
Der gekündigte Arbeitnehmer gab sich damit nicht zufrieden, sondern versuchte, den Rechtsanwalt mehrfach persönlich in dessen Kanzlei zu sprechen. Ohne Erfolg. Die Mitarbeiter des Anwalts sagten dem Mandanten Rückrufe zu, zu denen es aber zunächst nicht kam. Als sich der Jurist endlich per Telefon meldete, behauptete er, dass der Fall gewonnen sei, weil der ehemalige Arbeitgeber nicht zum Verhandlungstermin erschienen sei. Man müsse aber noch abwarten, ob die Gegenpartei etwas gegen dieses Urteil unternehme. Später schrieb der Anwalt seinem Mandanten, dass nun im Wege der Zwangsvollstreckung gegen das Unternehmen vorgegangen werden müsse. Er sagte dem Gekündigten zu, ihn über den weiteren Fortgang zu unterrichten, sobald er weitere Informationen hat.
Sein Mandant gab aber auch danach keine Ruhe. Und dafür gab es einen guten Grund. Das Finanzamt hatte ihn mittlerweile aufgefordert, für das in Streit stehende Gehalt Steuern zu zahlen. Der Anwalt setzte daraufhin ein als „Bescheinigung“ bezeichnetes Schreiben auf, in dem er ausführte, dass seitens des Unternehmens bislang keine Zahlung erfolgt sei. Aber auch dieses Schreiben konnte den Mandanten nicht dauerhaft beruhigen.
Um endlich an sein Geld zu kommen, begab er sich zum Arbeitsgericht und fragte unter Nennung der Parteien nach dem Stand des Verfahrens. Dort wurde ihm mitgeteilt, dass das Verfahren überhaupt nicht existiere. Der Mandant, heißt es in der Entscheidung des AG Hamm, „entwickelte daraufhin Misstrauen gegenüber dem Angeklagten“. Er begab sich einige Tage später wieder zu der Kanzlei und gab dort wahrheitswidrig an, dass er das Urteil dem Finanzamt vorlegen müsse.
Im Netz der Lügen
Der Anwalt erstellte daraufhin unter Verwendung eines fiktiven Aktenzeichens und unter Verwendung des Wappens und der gerichtstypischen Schriftart ein angebliches Anerkenntnisurteil des Arbeitsgerichts. Dieses Schriftstück versah er mit dem Stempelaufdruck „Abschrift“, fertigte davon eine Kopie und gab sie seinem Mandanten.
Dies alles tat er nach den Feststellungen des AG Hamm (Urt. v. 1.10.2014 – 52 Cs-060 Js 527/13-369/14) „in der sicheren Erwartung, dass die Hingabe des angeblichen Urteils den Zeugen davon abhalten werde, weiterhin Leistungen aus dem Mandatsverhältnis, die er nicht zu erbringen bereit oder in der Lage war, einzufordern“. Ähnlich schätzte auch das LG Dortmund (Urt. v. 1.10.2015 – 45 Ns 222/14) sein Motivlage ein. Aber entgegen dieser Erwartung war damit noch lange nicht Schluss.
Der gekündigte Arbeitnehmer ging mit der Kopie zum Arbeitsgericht und beantragte eine vollstreckbare Ausfertigung des Urteils. Das wurde natürlich abgelehnt und zwang den Juristen zu weiteren Lügen. So gab er dem gekündigten Beschäftigten gegenüber unter anderem an, dass sich die Akte beim Gerichtsvollzieher befinden müsse. Die Zwangsvollstreckung sei auch teilweise bereits erfolgreich gewesen. Aus dieser angeblich erfolgreichen Vollstreckung überreichte der Anwalt seinem Mandanten bei einem persönlichen Treffen 360 Euro, die aus seinem eigenen Vermögen stammten.
Kein Freibrief für Trickser und Täuscher
Für den Mandanten wurde es in der Folgezeit heikel. Er wurde wegen des Vorwurfs der Urkundenfälschung und des versuchten Betrugs angeklagt, durch das AG Hamm aber rechtskräftig freigesprochen. Und auch der Anwalt musste sich nun vor Gericht verantworten.
Das AG Hamm und das Dortmunder Landgericht bewerteten das Verhalten des Rechtsanwalts als Urkundenfälschung im Sinne des § 267 Abs. 1 StGB. Das OLG Hamm sah das anders. Eine einfache Abschrift eines Urteils sei im Unterschied zu einer Urteilsausfertigung oder beglaubigten Abschriften regelmäßig keine Urkunde im Sinne des Strafgesetzbuches. Sie verkörpert nicht die Erklärung des Ausstellers des Originals, sondern gibt lediglich wieder, was (vermeintlich) in einem anderen Schriftstück verkörpert ist. Unter gewissen Umständen könnten zwar auch einfache Abschriften ausnahmsweise als Urkunden im Sinne der Norm angesehen werden. Solche Umstände seien im vorliegenden Fall aber nicht ersichtlich.
Alles recht kompliziert und wer mit Strafrecht nichts zu tun hat, wird diese Argumentation kaum nachvollziehen können. Juristen sollten diese Probleme aber kennen – jedenfalls, wenn sie sich in ihrem Studium umfassend auf die Prüfungen vorbereitet haben. „Die Urkundsdelikte sind“, heißt es auf den Internetseiten des juristischen Repetitoriums Jura Individuell, „ein beliebter Prüfungsstoff im Examen und müssen daher beherrscht werden“. Und da gibt es viel zu beherrschen, wie auch die unterschiedlichen Ergebnisse der Gerichte in diesem Fall zeigen.
Auf diese Unterschiede hat ebenso der bekannte Rechtsanwalt Udo Vetter im „law blog“ hingewiesen. Denn auch wenn es für den Anwalt im vorliegenden Fall dank des OLG Hamm glimpflich ausging: Ein “Freibrief für Trickser und Täuscher” ist die Entscheidung nicht.
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