Das Thema
Die Verordnung sieht im Vergleich zu dem im November 2022 veröffentlichten Entwürfen der European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) über ESRS-Berichtsstandards (hierzu bereits der EFAR-Beitrag „ESG: EU-Richtlinie und Berichtsstandards kommen“) teilweise weniger strenge Anforderungen für die Nachhaltigkeitsberichterstattung vor. Dennoch sind die Berichtspflichten umfassend und werden Unternehmen vor Herausforderungen stellen.
Ziele und Hintergrund
Die Europäische Union (EU) strebt das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 an. Um dieses auch von rechtlicher Seite zu fördern, erließ sie die am 05.01.2023 in der heutigen Form in Kraft getretene Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD). Diese zielt darauf ab, Unternehmen in der EU zur Offenlegung von nichtfinanziellen Informationen zu verpflichten. Dadurch soll eine verbesserte Transparenz und Vergleichbarkeit der Nachhaltigkeitsleistung erreicht werden. Von Anfang an gab es jedoch ein Problem: Aus der CSRD selbst lassen sich die einzelnen Berichtsstandards nicht ablesen. Deshalb wurde die Kommission in Art. 29b i.V.m. Art. 49 CSRD befugt, delegierte Rechtsakte i.S.d. Art. 290 AEUV mit detailliert ausgestalteten Berichtsanforderungen zu erlassen. Für die inhaltliche Ausgestaltung dieser delegierten Verordnungen arbeitete die Kommission seit Juni 2020 eng mit der EFRAG zusammen. Bei der EFRAG handelt es sich um einen nicht gewinnorientierten Verein mit Sitz in Brüssel, der mehrheitlich von der EU finanziert wird.
In Folge des Entwicklungsprozesses zu den Berichtsstandards veröffentlichte die EFRAG im November 2022 einen Entwurf für die ESRS und leitete diesen an die Kommission weiter. An diese Veröffentlichung schloss sich ein Konsultationsprozess in Kooperation mit den Mitgliedstaaten der EU an. Dabei wurden die im Entwurf der EFRAG vorgesehenen Berichtspflichten von verschiedenen Seiten mehrfach und heftig als zu weitreichend und unpraktikabel kritisiert. Diese Kritik führte auch seitens der Kommission zu fortschreitenden Abmilderungen der Berichtsstandards im Konsultationsprozess. Die EU-Kommission veröffentlichte am 31.07.2023 ihren angepassten Entwurf für ESRS.
Unterschiede zum EFRAG-Entwurf November 2022
Der Entwurf von ESRS durch die EFRAG (hierzu bereits der EFAR-Beitrag „ESG: EU-Richtlinie und Berichtsstandards kommen“) im November 2022 war Ausgangspunkt für die vielfältigen Diskussionen der letzten Monate. Die finalen Entwürfe der Kommission sind im Grundsatz deckungsgleich mit den Entwürfen der EFRAG; so sieht auch der aktuelle Entwurf der Kommission insgesamt zwölf Standards vor:
- zwei allgemeine (ESRS 1 und 2, wobei ESRS 2 die einzigen Standards enthält, die für alle berichtspflichtigen Unternehmen gelten),
- fünf zum Thema Umwelt (ESRS E1 – E5),
- vier zum Thema Soziales (ESRS S1 – S4) und
- einen zum Thema Governance (ESRS G1).
Der Kommissionsentwurf vom 31.07.2023 sieht auch weitreichende Änderungen gegenüber den von der EFRAG entworfenen Standards vor. Mit diesen soll insbesondere die Belastung der berichtspflichtigen Unternehmen reduziert werden. Die Anpassungen sollen gewährleisten, dass die Standards verhältnismäßig sind, ohne hierdurch das Erreichen der politischen Ziele zu beeinträchtigen. Die wesentlichen Änderungen lassen sich in drei Hauptkategorien einteilen:
- schrittweise Einführung bestimmter Berichtsanforderungen (vor allem Erleichterungen in zeitlicher Hinsicht für kleinere und mittelständische Unternehmen),
- Ausweitung der Wesentlichkeitsprüfung durch die Unternehmen und
- Reduzierung von Pflichtangaben sowie Ausweitung des Anteils freiwilliger Angaben (z.T. selbst dann, wenn die Informationen als wesentlich angesehen werden).
Änderungen im Arbeitsrecht
In Bezug auf das Arbeitsrecht hat die Kommission eine Reihe von Änderungen vorgenommen, welche aus Praktikabilitätsgründen begrüßenswert erscheinen (zur Kritik an den EFRAG-Entwürfen s. Stolzenberg/Labus, NZA 2023, 479):
- Als wichtigste Änderung ist die fast vollständige Streichung des Begriffs „workers“ zu nennen. Bei diesem handelte es sich um einen Rechtsbegriff, der im deutschen Recht kein unmittelbares Äquivalent kennt. Die dadurch entstandene Rechtsunsicherheit konnte die Kommission durch die Änderung der Definition in Nr. 4 der ESRS S1 aus dem Weg räumen. So wird künftig nur zwischen „employees“ und „non-employees“ unterschieden; als Oberbegriff dient die Bezeichnung „people in the undertaking’s own workforce“. Zu den „non-employees“ zählen nun etwa „self-employed people“ und „workers provided by undertakings primarily engaged in ‘employment activities’ (NACE Code N78)”. Auch juristisch bislang kaum greifbare Begriffe wie etwa der des „gig workers“ in AR44 wurde durch den Begriff des „non-employees“ ersetzt. Weniger überzeugend ist allerdings die nun ebenfalls veröffentlichte deutsche Sprachfassung ausgefallen: Statt hier den – auch im Unionsrecht – gängigen Begriff des Arbeitnehmers zu verwenden, wird hier auf „Menschen, die in einem Arbeitsverhältnis mit dem Unternehmen stehen (‚Beschäftigte‘)“ und „nicht angestellte Beschäftigte“ Bezug genommen.
- Aus praktischer Sicht sehr begrüßenswert ist auch die bspw. in Nr. 50 (a) und Nr. 60 (b) ESRS S1 eingeführte Eingrenzung für bestimmte Berichtspflichten auf Länder, in denen mindestens 10 % der Gesamtzahl der Beschäftigten des Unternehmensbeschäftigt werden. Dadurch wird verhindert, dass der Bericht auch auf die Länder Bezug nehmen muss, deren Bedeutung für das Unternehmen aufgrund der dort geringen Arbeitnehmeranzahl marginal ist, der organisatorische Aufwand für die Berichte jedoch gleichbleibend gewesen wäre.
- Durch die Beschränkung des Anwendungsbereichs der in Nr. 58 ESRS S1 genannten Berichtspflichten auf Arbeitnehmer werden die nach der EFRAG-Fassung der ESRS weitreichenden Pflichten zur Berichtserstattung reduziert. Die in den EFRAG-Entwürfen vorgesehen Berichtspflichten umfassten z.B. Informationen „on the extent to which the working conditions and terms of employment of its own workforce are determined or influenced by collective bargaining agreements” (vgl. auch AR66 des EFRAG-Entwurfs zur Berechnung). Bei konsequenter Lesart dieses Standards hätte auch über Selbstständige berichtet werden müssen, die einem Tarifvertrag (collective bargaining agreement) in aller Regel nicht unterfallen können (in Deutschland bildet bekanntlich die arbeitnehmerähnliche Person i.S.d. § 12a TVG hier die Ausnahme). In der aktuellen Fassung der CSRS wurde der Begriff „workforce” deshalb mit dem des „employees“ ausgetauscht. Für „non-employees“ sind nach dem Kommissions-Entwurf Angaben zu „non-employees“ hingegen nicht mehr zwingend, sondern der Entwurf sieht vor, dass das Unternehmen „may disclose the extent to which the working conditions and terms of employment of non-employees in its own workforce are determined or influenced by collective bargaining agreements, including an estimate of the coverage rate” („Das Unternehmen kann den Umfang beschreiben, in dem die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von nicht angestellten Beschäftigten innerhalb seiner eigenen Belegschaft durch Tarifverträge bestimmt oder beeinflusst werden, einschließlich einer Schätzung der Abdeckungsquote“).
Fazit und Ausblick
Die nun von der Kommission angenommene delegierte Verordnung des ESRS wird in der zweiten Augusthälfte offiziell an das Europäische Parlament und den Rat zur Prüfung übermittelt. Deren Prüfungsfrist beläuft sich gem. Art. 49 Abs. 5 CSRD auf zwei Monate, kann jedoch um weitere zwei Monate verlängert werden. Weder das Europäische Parlament noch der Rat sind innerhalb dieses Verfahrens befugt, den Text der delegierten Verordnung zu ändern. Allerdings sind sie berechtigt, ihn in Gänze abzulehnen. Für den Fall, dass keine Einwände erhoben werden, würde die delegierte Verordnung frühestens vier Monate nach ihrer Verabschiedung in Kraft treten (vgl. Art. 29b Abs. 1 CSRD). Dann würden die CSRS für Geschäftsjahre gelten, die am oder nach dem 01.01.2024 beginnen. Die Kommission hat ferner angekündigt, die Zusammenarbeit mit der EFRAG fortzusetzen. Diese soll u.a. Material für Schulungen von Unternehmen entwickeln. In Zukunft soll zudem ein weiterer sektorspezifischer Satz an Berichtsstandards (z.B. für die Landwirtschaft) veröffentlicht werden.
Nach dem langen Konsultationsprozess erhalten berichtspflichtige Unternehmen durch die Veröffentlichung des ESRS seitens der EU-Kommission endlich erstmals einen Überblick über die verschiedenen Berichtspflichten und können sich darauf einstellen. Ob die ESRS durch das EU-Parlament oder den Rat in den nächsten Monaten abgeändert werden, bleibt abzuwarten, erscheint aber aufgrund der derzeitigen Mehrheitsverhältnisse als äußerst unwahrscheinlich.