Das Thema
Da öffentliche Träger unter erheblichem Kostendruck stehen, wählen sie nicht selten den Weg der Privatisierung. Sie verlagern daher Bereiche ihrer Tätigkeit und lassen diese von privaten Unternehmen ausführen. So auch der beklagte Arbeitgeber, dessen Fall nun vom EuGH entschieden wurde.
Ausgangspunkt
Bei dem beklagten Arbeitgeber handelt es sich um ein Klinikum, das im Jahr 2018 die Bereiche „Poststelle“, „Archiv“ und „Bibliothek“ auf andere Gesellschaften ausgliederte. Der Kläger, der eine Beschäftigung beim Auslagerungsunternehmen ablehnte, widersprach dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses nach Maßgabe des § 613a Abs. 6 BGB. Die Beklagte sah in ihrem Unternehmen keine Beschäftigungsmöglichkeit. Sie wies den Kläger daher an, für das Ausgliederungsunternehmen tätig zu werden. Auch hiergegen wehrte sich der Kläger. Letztlich ohne Erfolg.
Rechtlicher Rahmen
Dass das beklagte Klinikum seinen Mitarbeiter überhaupt anweisen konnte, seine Tätigkeit bei dem Unternehmen auszuüben, an das es seine Aufgaben verlagerte, verdankt es einer Ausnahme in § 1 Abs. 3 Nr. 2 lit. b) AÜG. Denn grundsätzlich ist die beschriebene Form der Arbeitnehmerüberlassung unzulässig. Unternehmen, die anderen Unternehmen ihre Arbeitnehmer zur Verfügung stellen, benötigen zum einen eine Erlaubnis. Zum anderen ist die Arbeitnehmerüberlassung nur für einen begrenzten Zeitraum zulässig.
Warum also ausgerechnet für Arbeitgeber der öffentlichen Hand eine Ausnahme gilt, wird am Zweck der europäischen und nationalen Vorschriften zur Arbeitnehmerüberlassung deutlich. Sie sollen einerseits das Bedürfnis der Arbeitgeber nach Flexibilität und andererseits das Bedürfnis des Arbeitnehmers, sein Berufs- und Privatleben in Einklang zu bringen, berücksichtigen. Ziel ist es, den Leiharbeitnehmer dauerhaft beim entleihenden Unternehmen unterzubringen und sicherzustellen, dass Arbeitsverhältnisse dort bestehen, wo auch tatsächlich die Arbeitsleistung erbracht wird.
Auf die Situation des Arbeitnehmers, der ehemals bei einem Arbeitgeber der öffentlichen Hand angestellt war, passt dieser Schutzzweck gerade nicht. Hätte er dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses nicht widersprochen, wäre er ja gerade Angestellter im Verlagerungsunternehmen geworden. Aus Sicht des Arbeitnehmers ist der Widerspruch zum Übergang seines Arbeitsverhältnisses aufgrund der vielfachen Vorteile, die eine Beschäftigung aufgrund des TVöD bietet, verständlich. Dennoch dürfte es keinesfalls in seinem Sinne sein, betriebsbedingt gekündigt zu werden. Die Personalgestellung ist also eine Möglichkeit, Kosten einzusparen, unternehmerische Freiheit zu fördern und Arbeitnehmern betriebsbedingte Kündigungen zu ersparen.
Inhalt der Klage
Der Arbeitnehmer, dessen Fall der EuGH nun entschieden hat, klagte auf Feststellung, dass er nicht verpflichtet sei, seine Arbeitsleistung dauerhaft bei der Auslagerungsgesellschaft zu erbringen. Sowohl Arbeitsgericht als auch Landesarbeitsgericht wiesen die Klage ab, sodass das BAG zu entscheiden hatte. Dieses legte dem EuGH die Frage vor, ob die aufgrund von § 4 Abs. 3 TVöD erfolgte Personalgestellung mit der Richtlinie zur Arbeitnehmerüberlassung im Einklang stehe. Als zweites wollte das BAG wissen, ob, wenn dies nicht der Fall sei, eine Ausnahmeregelung wie die des § 1 Abs. 3 Nr. 2 lit. b) AÜG zulässig sei.
Das Urteil
Die erste Vorlagefrage beantwortete der EuGH mit einem klaren „Nein“, sodass es auf die zweite Frage nicht mehr ankam (Urt. v. 22.06.2023 – C‑427/21). Er stellte klar, dass für das Vorliegen einer Arbeitnehmerüberlassung im Sinne der Richtlinie sowohl bei Abschluss des betreffenden Arbeitsvertrages als auch bei jeder tatsächlich vorgenommenen Überlassung, der Arbeitgeber die Absicht haben muss, den betreffenden Arbeitnehmer einem entleihenden Arbeitgeber vorübergehend zur Verfügung zu stellen.
Keine dieser Voraussetzungen trifft auf die Personalgestellung im Geltungsbereich des TVöD zu. Üblicherweise bestand die Absicht zur Überlassung des Arbeitnehmers noch nicht bei Begründung des Arbeitsverhältnisses. Die Notwendigkeit, den Arbeitnehmer einem anderen Unternehmen zur Verfügung zu stellen, ergibt sich in der Regel erst im Nachhinein, nämlich zu dem Zeitpunkt, in dem Aufgaben verlagert werden. Dieser Zeitpunkt ist regelmäßig bei Begründung des Arbeitsverhältnisses noch nicht absehbar oder vorhersehbar.
Und auch bei der tatsächlich vorgenommenen Überlassung besteht gerade nicht die Absicht, den Arbeitnehmer vorübergehend zu überlassen. Vielmehr soll sein Arbeitsplatz erhalten werden und seine Arbeitsleistung dauerhaft zur Verfügung stehen. Es ist in der Regel erklärtes Ziel der überlassenden Arbeitgeber, den betroffenen Arbeitnehmern eine Beschäftigung im Wege des Betriebsübergangs zu verschaffen. Macht der Arbeitnehmer von seinem Recht Gebrauch, dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses zu widersprechen, muss der Arbeitgeber damit einen Umgang finden. Aus beschäftigungspolitischen Gründen ist es allemal besser, Arbeitnehmer Dritten zur Verfügung zu stellen, als ihnen zu kündigen.
Ausblick
Das Urteil verdeutlicht, dass die Interessen einzelner Arbeitnehmer nicht immer auch mit beschäftigungspolitischen Zielen kongruent sind. Es ist nicht einzusehen, weshalb Maßnahmen, die dem Erhalt eines Arbeitsplatzes dienen und aus denen dem einzelnen Arbeitnehmer keinerlei Nachteile erwachsen, dem Begriff der Arbeitnehmerüberlassung unterliegen sollten. Von den beschriebenen Maßnahmen betroffene Mitarbeiter üben in der Regel beim neuen Arbeitgeber vergleichbare Beschäftigungen aus, müssen nicht ständig den Tätigkeitsort wechseln und stecken dennoch unter dem warmen Mantel des Tarifvertrages des öffentlichen Dienstes. Regelungen zur Arbeitnehmerüberlassung sollen vor allem niedrig qualifizierte Arbeitnehmer vor Ausbeutung und stetigem Wechsel des Arbeitsplatzes schützen. Die Vorschriften hierzu reglementieren daher Geschäftsmodelle, die eine hohe Anfälligkeit für Missbrauch aufweisen.
Im Fall der Personalgestellung kann hiervon nicht die Rede sein. Für Arbeitgeber der öffentlichen Hand dürfte es wenig lukrativ und mit einem hohen bürokratischen Aufwand verbunden sein, Folgeunternehmen die eigenen Arbeitnehmer zur Verfügung zu stellen.
Alles in allem bedeutet die Personalgestellung für alle beteiligten Parteien einen Vorteil: Öffentliche Träger können weiter Kosten sparen, indem sie einzelne Aufgaben an private Unternehmen verlagern. Für private Unternehmen ergibt sich eine Vielzahl neuer Geschäftsmodelle. Gewerkschaften müssen keine betriebsbedingten Kündigungen mehr fürchten, sobald ein Arbeitnehmer dem Übergang des Arbeitsverhältnisses widerspricht und Arbeitnehmer behalten die Vorteile aus dem TVöD.