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Arzt

Entgeltfortzahlung – Teil 2: Die sog. Fortsetzungserkrankung

  • 22. Juni 2023 |
  • Dr. Artur Kühnel

Bereits im kürzlich erschienenen #EFAR-Beitrag „Entgeltfortzahlung – Teil 1: Erschütterter Beweiswert der AU-Bescheinigung“ wurde dargelegt, dass ein Arbeitnehmer für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ausnahmsweise doch Angaben zu seinen Gesundheitsdaten machen muss und der Verweis auf eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht reicht. In diesem Folgebeitrag wird nunmehr – wiederum anhand aktueller Rechtsprechung – aufgezeigt, dass dies auch bei Streit um eine sog. Fortsetzungserkrankung gilt.

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Das Thema

Die Regelung zur Fortsetzungserkrankung dient der Entlastung für Arbeitgeber und findet sich in § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG: Der infolge derselben (!) Krankheit erneut arbeitsunfähige Arbeitnehmer erhält Entgeltfortzahlung für bis zu weitere sechs Wochen, wenn er

  1. vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war oder
  2. seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen ist.

Eine Fortsetzungserkrankung liegt dabei nicht nur bei einem identischen Krankheitsbild vor, sondern auch dann, wenn die Krankheitssymptome auf demselben Grundleiden beruhen.

Streit um Fortsetzungserkrankung

Unproblematisch ist der Fall dann, wenn der Arbeitnehmer selbst seine Fortsetzungserkrankung mitteilt, insbesondere wenn eine weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Form einer Folgebescheinigung vorliegt.

Streit über eine Fortsetzungserkrankung kann aber entstehen, wenn keine Folgebescheinigung, sondern mehrere Erstbescheinigungen vorliegen, welche Arbeitsunfähigkeit jeweils aufgrund einer neuen Krankheit bescheinigen. Es stellt sich dann die Frage, ob Arbeitgeber die Erstbescheinigungen aufgrund ihres hohen Beweiswerts akzeptieren müssen.

Bisherige Rechtsprechung des BAG

In seiner bisherigen Rechtsprechung hat das BAG folgende Grundsätze dazu aufgestellt (BAG, Urt. v. 13.07.2005 – 5 AZR 389/04; siehe auch BAG, Urt. v. 10.09.2014 – 10 AZR 651/12 und BAG, Urt. v. 31.03.2021 – 5 AZR 197/20):

Die Darlegungs‑ und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen der Entgeltfortzahlung bis zu sechs Wochen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG) trägt der Arbeitnehmer. Er genügt dem regelmäßig durch Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, sofern dieser Beweiswert nicht ausnahmsweise einmal erschüttert ist (siehe dazu Teil 1 dieses Beitrags). Für das Bestehen einer Fortsetzungserkrankung nach § 3 Abs. 1 Satz 2 EFGZ jedoch traf nach älterer Rechtsprechung den Arbeitgeber die Beweislast, da es sich um eine Ausnahme vom Grundsatz handele.

Allerdings ist der Arbeitgeber kaum in der Lage, eine Fortsetzungserkrankung darzulegen, weil er über die Ursachen durch die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht unterrichtet wird. Zwar kann er nach § 69 Abs. 4 SGB X bei der Krankenkasse nachfragen (Anm. des Autors: Auch dann ist die Übermittlung von Diagnosedaten an den Arbeitgeber jedoch nicht zulässig). Diese Vorschrift greift aber nicht bei privat Versicherten. Zudem besteht keine Möglichkeit, die wertende Mitteilung der Krankenkasse zu überprüfen.

Ist der Arbeitnehmer innerhalb der Zeiträume des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 EFZG länger als sechs Wochen arbeitsunfähig, gilt deswegen die folgende abgestufte Darlegungs- und Beweislast:

  • Zunächst muss der Arbeitnehmer darlegen, dass keine Fortsetzungserkrankung besteht. Hierzu kann er eine ärztliche Bescheinigung vorlegen.
  • Bestreitet der Arbeitgeber das Vorliegen einer neuen Krankheit, muss der Arbeitnehmer darlegen, dass keine Fortsetzungserkrankung vorgelegen habe. Dabei hat er den Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden.
  • Die Folgen einer Nichterweislichkeit der Fortsetzungserkrankung sind vom Arbeitgeber zu tragen.

Aktuelle Entscheidung des BAG

In einer aktuellen Entscheidung hat das BAG sich erneut mit dieser Thematik befasst (BAG, Urt. v. 18.01.2023 – 5 AZR 93/22). In dem entschiedenen Fall war der klagende Arbeitnehmer u.a. der Meinung, dass er aus Datenschutzgründen nicht verpflichtet sei, sämtliche Erkrankungen in den relevanten Zeiträumen offenzulegen. Dem ist das BAG nicht gefolgt. In der Entscheidung hat es seine oben genannte Rechtsprechung bestätigt sowie die Begründung hierfür präzisiert. U.a. hat es ausgeführt:

Soweit der Arbeitgeber das Vorliegen einer neuen Krankheit bestreitet und der Arbeitnehmer darlegen muss, dass keine Fortsetzungserkrankung bestanden habe, muss der Arbeitnehmer laienhaft bezogen auf den gesamten maßgeblichen Zeitraum schildern, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Beschwerden mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestanden und die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbinden. Denn regelmäßig ist dem Arbeitgeber erst ausgehend hiervon substantiierter Vortrag möglich. Auf das Bestreiten des Arbeitgebers genügt die bloße Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung nicht mehr. Zudem kann in einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die von einem anderen Arzt ausgestellt ist, als die Erstbescheinigung, ohnehin keine Aussage zum (Nicht-)Vorliegen einer Fortsetzungserkrankung getroffen werden.

Die Zuweisung der so abgestuften Darlegungslast an den Arbeitnehmer begegnet weder unions- noch verfassungsrechtlichen Bedenken (inkl. Datenschutz). Dem steht nicht entgegen, dass der erforderliche Vortrag des Arbeitnehmers im Regelfall mit der Offenlegung der einzelnen Erkrankungen verbunden ist.

  • Insbesondere ist die Verarbeitung von Daten zu Erkrankungen und gesundheitlichen Beschwerden, die in der Vergangenheit zu einer Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers geführt haben, im gerichtlichen Verfahren über Ansprüche auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. f DSGVO zulässig. Und auch eine vorprozessuale Datenverarbeitung beim Arbeitgeber ist gestützt auf § 26 Abs. 3 BDSG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Buchst. b DSGVO grundsätzlich möglich (vgl. BAG, Urt. v. 01.06.2022 – 5 AZR 28/22). Das Datenschutzregime soll nicht so weit gehen, dass die legitime Durchsetzung von Rechten nicht mehr möglich ist.
  • Soweit dies vom Arbeitnehmer die Offenlegung von Gesundheitsdaten verlangt, ist der damit verbundene Eingriff in sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verhältnismäßig und damit gerechtfertigt. Er dient dem legitimen Zweck, eine materiell richtige Entscheidung anzustreben, und ist zur Erreichung dieses Zwecks geeignet sowie erforderlich. Insbesondere stehen gleich effektive Mittel, die weniger stark eingreifen, nicht zur Verfügung.
  • So ist die Mitteilung der Krankenkasse zum (Nicht-)Vorliegen von Fortsetzungserkrankungen nicht gleich geeignet. Sie ermöglicht keine genügende Kontrolle. Anders als es § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG für die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorsieht, entzieht § 69 Abs. 4 Halbs. 1 SGB X dem Arbeitgeber auf die Mitteilung hin nicht sein Leistungsverweigerungsrecht. Die Mitteilung der Krankenkasse hat keinen mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vergleichbaren Beweiswert (entgegen LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 08.06.2016 – 4 Sa 70/15). Dies gilt gerade mit Blick darauf, dass die Krankenkassen wegen ihrer unmittelbar betroffenen finanziellen Interessen nicht als unparteiische Dritte angesehen werden können.
  • Nicht gleich geeignet ist es ebenfalls, Vortrag zu Krankheiten nur gegenüber dem Gericht – nicht aber auch der Gegenseite – zuzulassen oder aber die Krankheitsursachen nur einem Sachverständigen offenzulegen, der dem Gericht und der Gegenseite lediglich das bindende Ergebnis seiner Begutachtung mitteilt.

Exkurs: Und was gilt bei sog. Einheit des Verhinderungsfalls?

Die Regelung zur Fortsetzungserkrankung sowie die hierzu von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze gelten nicht, wenn trotz unterschiedlicher Erkrankungen eine sog. Einheit des Verhinderungsfalls vorliegt, also wenn während einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit auftritt, die ebenfalls Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat –insbesondere wenn sich Krankheitszeiten überlappen. Nach dem Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls ist die Entgeltfortzahlung dann auf bis zu sechs Wochen begrenzt.

Wenn der Arbeitgeber unter Berufung auf den Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls bestreitet, dass die neue Erkrankung erst zu einem Zeitpunkt eingetreten ist, zu dem die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits beendet war, muss der Arbeitnehmer dies darlegen und im Streitfall beweisen (vgl. etwa BAG, Urt. v. 11.12.2019 – 5 AZR 505/18). Hierzu kann er sich zunächst zwar auf die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung stützen. Ist jedoch unstreitig oder bringt der Arbeitgeber gewichtige Indizien dafür vor, dass sich die Erkrankungen überschneiden, so ist der Beweiswert einer „Erstbescheinigung“ erschüttert. Der Arbeitnehmer muss nunmehr für den Zeitpunkt der Beendigung seiner Arbeitsunfähigkeit wegen einer „früheren“ Krankheit vor Eintritt der neuerlichen Arbeitsverhinderung vollen Beweis erbringen. Dafür steht ihm das Zeugnis des behandelnden Arztes als Beweismittel zur Verfügung.

Anders als bei der Fortsetzungserkrankung, bei der der Arbeitgeber das Risiko trägt, dass die zu beweisenden Tatsache nicht bewiesen werden kann, liegt dieses Risiko bei der Einheit des Verhinderungsfalls Risiko beim Arbeitnehmer.

Fazit

Wie bereits Teil 1 dieses Beitrags und auch dieser 2. Teil aufgezeigt haben, muss ein Arbeitnehmer in einigen Fallkonstellationen doch konkrete Angaben zu seinen Gesundheitsdaten machen, wenn er keine Rechtsnachteile erleiden – konkret: Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nicht verlieren – will. Die Auffassung, dass ein Arbeitnehmer bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit keine Angaben zu seinen Gesundheitsdaten machen müsse, sondern einfach auf die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verweisen könne, ist somit nur eine Regel, von der es Ausnahmen gibt.

Kategorien: #EFAR-Beiträge Tags: Vergütung

  • Dr. Artur Kühnel

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