Ein angebliches Tucholksy-Zitat
Dass es zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften Konflikte gibt, liegt in der Natur der Sache. Dass solche Konflikte von den beteiligten Personen nicht immer sachlich ausgetragen werden, liegt in der Natur des Menschen.
Juristen sollten dabei nicht allzu dünnhäutig auf Beleidigungen reagieren – schon weil sie durch ihren Beruf ohnehin immer wieder dem Spott anderer ausgesetzt sind. Das meint zumindest das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg in einer Entscheidung aus dem Jahr 2007 (LAG BaWü, Beschl. v. 24.05.2007 – 9 Ta 2/07). Und es zeigt in seiner Entscheidung zugleich Bildungslücken eines Gewerkschaftssekretärs auf.
Dieser hatte auf einer Betriebsversammlung geäußert, er „halte es mit Tucholsky, der bereits gesagt habe: „Er war Jurist und auch sonst von mäßigem Verstand“. Der Kläger, Rechtsanwalt und Geschäftsführer mehrerer Arbeitgeberverbände, fühlte sich beleidigt, da sich dieses „Zitat“ auf ihn bezogen habe.
Bildungsglücken eines Gewerkschaftsfunktionärs
Der Gewerkschaftssekretär bestritt das. Er behauptete, dass er bereits bei der Betriebsversammlung klargestellt hat, dass damit nicht der Kläger gemeint sei. Zudem habe er „am Mikrofon erklärt, sollte jemand im Raum sein Zitat so verstanden haben, dass er damit den Kläger gemeint habe, so würde er sich dafür bei Herrn Dr. K. entschuldigen. Bei Herrn Tucholsky entschuldige er sich dafür aber nicht.“
Eine solche Entschuldigung wäre aber nach Auffassung des LAG angebracht. Denn „einen Grund beleidigt zu sein, hätte vor allem Dr. jur. Kurt Tucholsky, dem ein Zitat von Ludwig Thoma in den Mund bzw. den literarischen Nachlass geschoben wurde. Aber auch Ludwig Thoma könnte sich ebenso mit Recht gekränkt fühlen, denn seine ironische Sprachschöpfung wurde durch die unvollständige Zitierung durch den Beklagten ihres selbstkritischen Witzes beraubt. Schließlich heißt es bei Ludwig Thoma, der selbst Rechtsanwalt war: „Der königliche Landgerichtsrat Alois Eschenberger war ein guter Jurist und auch sonst von mäßigem Verstand.“ Eschenberger hatte nämlich „im Staatsexamen einen Brucheinser bekommen“.
Juristen müssen mit Spott leben
Dagegen hält sich „der beleidigende Inhalt der behaupteten Ausführungen des Beklagten (…)“ nach Meinung des Gerichts „in Grenzen““:
„Der Kläger selbst mag (…) Anstoß daran nehmen, dass der Beklagte das Wort „guter“ hat entfallen lassen. Es mag auch eine grobe Ungehörigkeit sein, über den Kläger zu behaupten, er sei von mäßigem Verstand. Das Ganze entschärft sich allerdings dadurch, dass es sich dabei um eine in Bezug auf Juristen häufiger anzutreffende Redensart handelt. Jedenfalls ist es uns Juristen im Allgemeinen bekannt, dass wir ob unseres gewählten Berufes und einer damit verbundenen geistigen Prägung gelegentlich als Objekt des Spottes herhalten müssen. Ludwig Thoma hat dereinst davon noch mehr über unser aller Haupt ergossen (nachzulesen in „Der Münchner im Himmel – Von Rechts wegen“ (…) – die Annahme „von mäßigem“ Verstand zu sein, erscheint da noch harmlos). Das lässt sich jedenfalls aushalten; (…)“
Ob der betroffene Rechtsanwalt die Ausführungen des Gerichts mit mehr Humor zur Kenntnis genommen hat als die Äußerung des Gewerkschaftssekretärs ist nicht bekannt. „Anlass zur Zulassung der Rechtsbeschwerde besteht“ nach Meinung des Landesarbeitsgerichts jedenfalls „nicht, da es sich zwar um eine außergewöhnliche Streitigkeit, aber nicht um eine grundsätzliche Rechtsfrage handelt.“