Das Thema
Das Betriebsratsamt ist unentgeltliches Ehrenamt, § 37 Abs. 1 BetrVG. Es gilt das Entgeltausfallprinzip, der Betriebsrat soll (nur, aber auch genau) so viel erhalten, wie er bei Fortsetzung seiner Arbeit erhalten hätte, §§ 78 Satz 2, 37 Abs. 4 BetrVG. Dabei gibt § 37 Abs. 4 BetrVG das Mindestentgelt vor und erlaubt zur Bestimmung der Untergrenze einen Vergleich mit anderen Gehaltsgruppen, § 78 Satz 2 BetrVG wiederum enthält Unter- und Obergrenze.
Die Begrenzung der Vergütung nach unten und nach oben dient der Unabhängigkeit des Amtsträgers: Er soll unentgeltlich, also ohne gesonderte Vergütung, sein Amt ausüben. Nur so ist gewährleistet, dass der Betriebsrat keine hervorgehobene Sonderstellung durch sein Amt erhält, sondern für die von ihm repräsentierte Belegschaft weiterhin als „einer von uns“ gilt. Diese Erwägungen gelten seit dem BRG 1920.
Viel aus der aktuellen Debatte war schon vor 15 Jahren geschrieben worden, „Vergütung auf Augenhöhe“, Betriebsräte als „Co-Manager“ und andere Vergütungsexzesse als betriebsverfassungswidrig und strafbar benannt worden (instruktiv: Rieble, Die Betriebsratsvergütung, NZA 2008, 276), doch erst seit dem Urteil des Strafsenats des BGH vom 10.01.2023 (6 StR 133/22) ist Betriebsratsvergütung in aller Munde. Das mag an der erhöhten Aufmerksamkeit auf Compliance liegen, lässt aber erahnen, welch ungelöste Vergütungsthemen nicht nur bei freigestellten Betriebsräten das Tagesgeschäft von Vorständen, Personalleitern und Prokuristen bestimmen, seit der BGH deren Strafbarkeit trotz Einsetzung einer internen Vergütungskommission der in Rede stehenden „V-AG“ in Braunschweig bestätigt hat.
Urteil des BGH
Der BGH hatte – insofern strenger als das BAG – generell eine Vergleichbarkeit der Betriebsratsvergütung mit anderen Beschäftigtengruppen gefordert, dabei aber die Betrachtung der hypothetischen Karriere des freigestellten Betriebsratsmitglieds als unzulässig angesehen (vgl. dazu auch den EFAR-Beitrag „Betriebsratsvergütung und Grenzen des Begünstigungsverbots“).
Im Ergebnis hatte der BGH festgestellt, dass die Gewährung eines überhöhten Arbeitsentgelts an ein Mitglied des Betriebsrats den Tatbestand der Untreue gem. § 266 Abs. 1 StGB erfüllen könne. Das gilt nicht nur bei den drastischen Verhältnissen in Braunschweig, wo ein Montagearbeiter mit Hauptschulabschluss eine Vergütung von mehreren hunderttausend Euro erhielt. Das Strafbarkeitsrisiko ist tatbestandlich schon gegeben, wenn eine Vergütung oder ein Vergütungsbestandteil (z. B. ein Dienstwagen zur Privatnutzung, aber auch Freizeitausgleich oder ähnliche Vergünstigungen) gewährt wird, der gegen das betriebsverfassungsrechtliche Begünstigungsverbot verstößt. Umgekehrt ist aber auch eine zu geringe Bezahlung eines länger freigestellten Betriebsratsmitglieds unzulässig.
Vorschlag des Gesetzgebers
Ob der BGH sich absichtlich oder nicht gegen die Rechtsprechung des BAG (vgl. dazu den EFAR-Beitrag „Betriebsratsmitglied und Vergütung: Erst BAG, dann BGH und jetzt der Gesetzgeber?“) wandte, ist unklar, es führte neben einer hektischen (Kürzungs)Reaktion in betroffenen Betrieben aber zum Aktivwerden des Gesetzgebers, der die Vorschriften des BetrVG nun ergänzte, mit sofortiger Geltung, aber geringer Wirkung:
Die Bundesregierung hat, einer eilig einberufenen wissenschaftlichen Kommission folgend, am 03.11.2023 einen Gesetzentwurf vorgelegt (BT-Drs 20/9469), der im Ergebnis wenig Neues enthält. Der Entwurf will das Risiko von Verstößen redlich handelnder Arbeitgeber und betriebsverfassungsrechtlicher Amtsträger gegen das betriebsverfassungsrechtliche Benachteiligungs- und Begünstigungsverbot reduzieren. Dazu wiederholt er die wesentlichen Grundsätze des Ehrenamts.
Neu ist nur der Versuch einer Risikominimierung durch Betriebsvereinbarung:
- Die Betriebsparteien können in einer Betriebsvereinbarung ein Verfahren zur Festlegung vergleichbarer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer treffen.
- Dieses Verfahren ist nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüfbar.
- Die konkreten Vergleichspersonen können von den Betriebsparteien in Textform bestimmt werden; auch diese Bestimmung ist nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüfbar.
Ob die Ergänzung wirklich das strafrechtliche Risiko der überhöhten Vergütung freigestellter Betriebsräte senkt, ist mehr als zweifelhaft. Der Gesetzgeber stärkt und ergänzt allerdings die Rechtsprechung des BAG – und beseitigt damit die durch das Urteil des BGH insofern entstandene Unsicherheit (was letztlich die Aufgabe des Großen Senats gewesen wäre).
Noch nicht gelöst ist das offenkundige Dilemma der Betriebsratsvergütung:
- Die einseitige Kürzung von Vergütungen für freigestellte Betriebsräte kann als Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen ihrerseits nach § 266a StGB strafbar sein.
- Auch der Abschluss einer fixen Vergleichsordnung beseitigt nicht die Notwendigkeit einer laufenden Überprüfung, ob die festgelegten Vergleichsgruppen noch angemessen sind. Sind sie es nicht, droht Untreue oder Betriebsratsbehinderung, jedenfalls bei deutlichen Abweichungen.
Offene Fragen der Betriebsratsvergütung
Der Gesetzentwurf stellt also klar und rückt das BAG wieder in den Mittelpunkt der Bewertung der Vergütungspraxis. Ob allerdings die vorgesehene Betriebsvereinbarung das Mittel der Wahl ist, wird die Praxis zeigen, auch ob die Politik der Gesetzesbegründung die Rechtsprechung beeinflusst.
Ungelöste Herausforderungen jedenfalls sind reichlich vorhanden:
- Müssen Unternehmen proaktiv die Vergütung freigestellter Betriebsräte neu regeln? Akzeptanz auf Betriebsratsseite, auf hohe Vergütungen zu verzichten, kann nicht erwartet werden. Einseitige Kürzungen und widerstandslos bleibende Klagen vor dem Arbeitsgericht dürften aber auch keine Lösung sein; um den Untreuevorwurf auszuschließen, müssen die Klagen unter voller Ausschöpfung der Darlegungslast der Beklagten erwidert werden. In keinem Fall hilfreich wäre insoweit ein Vergleich.
- Darf aber dann ein erstinstanzliches Urteil hingenommen werden, das zur Zahlung verurteilt, oder muss Berufung eingelegt werden? Den gewünschten Effekt – eine Befreiung vom Untreuevorwurf – wird wohl allenfalls ein rechtskräftiges Urteil letzter Instanz bringen, möglicherweise noch ein Urteil erster Instanz, in keinem Fall jedoch ein Vergleich. Klüger wäre es möglicherweise, parallel zum Verfahren eine Akte bei der Staatsanwaltschaft anlegen zu lassen und auf eine Einstellung hinzuwirken. Das hat sich auch in anderen Bereichen des Steuer- und Sozialversicherungsrechts unter dem Stichwort „Selbstanzeige“ bewährt und ist allemal sicherer, als sich auf ein erstinstanzliches Urteil zu verlassen.
- Dem Strafbarkeitsrisiko wegen Untreue setzt sich weiterhin aus, wer dem Betriebsrat zu hohe Vergleichsgruppen zugesteht. Die „grobe Fehlerhaftigkeit“ ist ein zivilrechtlicher Maßstab, kein strafrechtlicher. Auch in der nun eröffneten Möglichkeit, die Vergleichsgruppen in Betriebsvereinbarungen (abstrakt) zu definieren und in Textform konkret zu benennen, bleibt ein praktisches Risiko: Die Betriebsvereinbarung muss erstmal verhandelt, die Vergleichsgruppe erstmal konkretisiert werden. Das werden die unmittelbar begünstigten Betriebsräte nicht ohne weiteres zulassen. Folge dürfte – analog der Ausschöpfung der Instanzen im Vergütungsprozess – die Anrufung und Entscheidung durch die Einigungsstelle sein.
- Was gilt hinsichtlich Sonderleistungen für nicht freigestellte Betriebsräte? Wo verläuft die Grenze zur Bevorzugung und welche sonstigen Leistungen gelten als Vergütung? Ist nur die Vergütung freigestellter Betriebsräte „auf Augenhöhe“ kritisch oder gilt das auch für Pauschalen, Aufwandsentschädigungen, Höhergruppierungen, aber vor allem umgekehrt auch für Freistellungen oder Duldungen einer exzessiven Amtsausübung nicht freigestellter Betriebsratsmitglieder? Wieder Rieble: „Verboten sind Freistellungen von der Arbeitsleistung, die nicht durch die Betriebsratstätigkeit bedingt sind“. Bedarf es einer strengeren Überwachung auch nicht freigestellter Betriebsräte?
Einzelheiten bedürfen der Betrachtung im Einzelfall, es kommt darauf an, gleichwohl und abstrakt: Was sollte man heute tun, und wie?
Praktischer Handlungsbedarf und Lösungsansätze
Fest steht: Die Aufmerksamkeit der Fachöffentlichkeit für das Thema „Arbeitsrechtscompliance“ im Allgemeinen und „Betriebsratsvergütung“ im Besonderen ist da. Der „Vergütung auf Augenhöhe“ ist spätestens mit dem Urteil des BGH eine endgültige Absage erteilt worden.
- Zu geringe Vergütung löst das Risiko einer Strafbarkeit, aber auch von Säumniszuschlägen aus, wenn auf die eigentlich geschuldete Vergütung kein Sozialversicherungsbeitrag abgeführt wird.
- Zu hohe Vergütung löst das Risiko einer Betriebsratsbegünstigung gem. § 119 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG und der Untreue aus.
- Die Lösung kann nur in der regelmäßigen Überprüfung der Betriebsratsgehälter auf Angemessenheit liegen – für freigestellte, aber auch für arbeitende Betriebsräte. Dabei sind auch das Verhältnis von Arbeit zu Amt und die Zurverfügungstellung von Vergütungsbestandteilen in den Blick zu nehmen. Erhält ein nicht freigestellter Betriebsrat ein Firmenfahrzeug zur privaten Nutzung, geht aber nur noch seinem Amt nach, wäre das ein zu prüfender Grenzfall.
- Im Zweifel sind Unternehmen gut beraten, die Prüfung der Vergütung und die erforderlichen Mittel zur Anpassung regelmäßig vorzunehmen und zu dokumentieren.
- Die daraus abgeleitete Reduzierung der Vergütung in Anlehnung an die Durchschnittsvergütung von Vergleichsarbeitnehmern ist dabei nach dem LAG Baden-Württemberg keine mitbestimmungspflichtige Umgruppierung – weil ja nur die Regeln des Gesetzes angewandt werden (Beschl. v. 26.05.2023 – 12 TaBV 1/23). Die strikte Anwendung des (bisher schon geltenden) Betriebsverfassungsgesetzes scheint daher die vorzugswürdige Methode gegenüber der Verhandlung einer Betriebsvereinbarung oder der kommentarlosen Gehaltskürzung zu sein.