Umschülerin im Lackbody
„Praline zu Besuch bei Sascha (25) und Sabine (27) in Deggendorf“. So lautete die Überschrift in einer Ausgabe der bis 2014 erschienenen Erotik-Zeitschrift. Und da sich Sabine, eine Umschülerin, unter dieser Überschrift hüllenlos zeigte, wurde ihr fristlos gekündigt. Der Betriebsrat fand das richtig, das Arbeitsgericht Passau nicht (Urteil vom 11.12.1997 – 2 Ca 711/97 D). Und in seiner Begründung offenbarte das Gericht bemerkenswerte Kenntnisse über den Ablauf eines erotischen Foto-Shootings.
Auf den Bildern waren die Klägerin und ihr Freund unbekleidet abgelichtet, allerdings so, dass die Geschlechtsteile nicht sichtbar sind, jedenfalls „wenn man von der Brust der Klägerin absieht“, heißt es im Protokoll der Betriebsratssitzung. Eines der Fotos zeigte die Umschülerin in einem Lackbody. Dabei hält sie, wie es in dem Protokoll heißt, „in der rechten Hand einen Plastikgegenstand, der im Sexualbereich zur Verwendung kommen kann“.
In dem Begleittext zu den Bildern wurde dargelegt, wo die Klägerin und ihr Freund wohnen. Und es wurde auch ausgeführt, dass die beiden „auf scharfe Spiele in Lack und Leder“ stehen. Die Umschülerin wurde dabei mit den Worten zitiert: „Wir machen alles querbeet und am liebsten das, was beiden Spaß macht!“.
Über moralische Anstalten und Pornographie
Das alles steht Sabine und ihrem Freund ebenso frei, wie die Veröffentlichung ihres Intimlebens in der Zeitschrift, meinte das Arbeitsgericht Passau. Denn es handelt sich um ein außerdienstliches Verhalten. Das kann nur unter ganz besonderen Umständen eine Kündigung rechtfertigen. Die liegen hier nicht vor. Und insofern muss, so das Gericht, „hervorgehoben werden, dass die Dienststelle bzw. der Betrieb keine moralische Anstalt ist“.
Das Arbeitsgericht legte zunächst dar, dass es sich bei den Bildern nicht um pornographische Inhalte im Sinne des § 184 des Strafgesetzbuches handelt.
Eine Märchenwelt unerschöpflichen Genusses
„Als pornografisch“, so das Gericht, „ist eine Darstellung anzusehen, wenn sie unter Ausklammerung aller sonstigen menschlichen Bezüge sexuelle Vorgänge in grob aufdringlicher Weise in den Vordergrund rückt und ihre Gesamttendenz ausschließlich oder überwiegend auf das lüsterne Interesse an sexuellen Dingen abzielt.“
„Als typische Anzeichen eines pornografischen Charakters der Darstellung werden von der Rechtsprechung angesehen das Fehlen jeden sozialen Wertes der Darstellung, die Flucht in eine Märchenwelt unaufhörlichen Genusses, die Fiktion der unerschöpflichen Potenz des Mannes und der unermüdlichen Hingabebereitschaft der Frau, der fehlende Bezug zum wirklichen individuellen oder gesellschaftlichen Leben, die fortschreitende Eskalation der Darstellung durch eine Aneinanderreihung von Szenen mit sexuell immer stärker provozierenden Reizen (…), ferner die Beschränkung auf den Lustgewinn als einziges Ziel.“
Alles üblich und geduldet
Dass die vorliegenden Bilder keine pornographischen Inhalte in diesem Sinne enthalten, ergebe sich „bereits daraus, daß dann, wenn in der Zeitschrift ‚Praline‘ Pornografie im strafrechtlichen Sinne veröffentlicht werden würde, sie nicht frei verkäuflich wäre“. Die „fotografischen Aufnahmen gehen“ dagegen „hinsichtlich des Gezeigten nicht über dasjenige hinaus, was nach derzeitiger gesellschaftlicher Auffassung im sexuellen Bereich allgemein üblich ist und geduldet wird“, so das Gericht.
Etwas kritisch könnte allenfalls ein Bild sein, bei dem der „völlig nackte Körper“ von Sascha zu sehen ist. Allerdings, so das Passauer Gericht, „besteht Veranlassung, darauf hinzuweisen, daß es hier nicht um die Kündigung des Freundes der Kl. geht, sondern um ihre eigene“.
Bemerkenswerte Kenntnisse des Gerichts
Als Kündigungsgrund käme auch keinesfalls die Kombination zwischen den veröffentlichten Nacktaufnahmen und dem Begleittext in Betracht. Das ergebe sich daraus, dass „die abgelichteten Paare“ auf die Gestaltung „so gut wie keinen Einfluß haben dürften“.
Zur Begründung wurde dargelegt, wie solche Fototermine „üblicherweise“ vonstattengehen: Von der Einreichung der Bewerbungsaufnahmen über den Ablauf des Shootings bis hin zu dem ‚Plausch‘ über Interessen und sonstige Tätigkeiten der Fotografierten“ und die Gestaltung des Beitrags durch die jeweilige Redaktion – woher auch immer das Gericht all das wusste.
Dass die Beklagte durch die Veröffentlichung der Bilder von Sascha und Sabine in ihrem Ruf geschädigt sei, könne nicht angenommen werden. Das gelte auch wenn man berücksichtigt, dass die Umschülerin aus einer ländlichen Gegend stammt. Und hier ließ das Gericht seinen Klischeevorstellungen vom Landleben freien Lauf.
Klischee über Klischee
Es sei „zusammenfassend … darauf hinzuweisen“, heißt es in der Entscheidung, „daß die Veröffentlichung der Fotos der Klägerin mit ihrem Freund und Begleittext in der ‚Praline‘ im Deggendorfer Raum möglicherweise für gewissen Gesprächsstoff gesorgt hat, weil derartige Veröffentlichungen zumindest in ländlichen Gebieten – aus welchen Gründen auch immer – im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen können“.
Es gehe aber nunmal um den Privatbereich der Umschülerin, der andere grundsätzlich nichts angeht. Und dass über „derartige Fotos im ländlichen Bereich geredet wird (…) ferner, dass es über derartige Gegebenheiten zu einem ‚Stadtgespräch‘ (sic!) kommen kann“, vermag daran nichts zu ändern. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn ein Bezug zum Arbeitsverhältnis im Sinne einer Störung im Vertrauensbereich hergeleitet werden könnte.
Bemerkenswerte Beispiele
Das käme etwa in Betracht, „wenn eine Angestellte derartige Aufnahmen von sich anfertigen und veröffentlichen läßt, die im Arbeitsverhältnis in einem sicherheits- oder vertrauensintensiven Bereich tätig ist“. Und das wäre nach Meinung des Gerichts beispielsweise der Fall, „wenn es sich um eine Sprechstundenhilfe, Therapeutin oder ähnliche Berufsgruppe handeln würde, die im Rahmen einer nervenärztlichen Praxis oder eines entsprechenden Klinikums im ländlichen Bereich tätig ist“. Dass „derartige Gesichtspunkte bei der Tätigkeit der Kl. als Umschülerin keinesfalls vorliegen, braucht“ hier allerdings „nicht näher erläutert zu werden“.
Aber auch wenn man die klischeebehafteten Ausführungen des Gerichts über den ländlichen Raum außer Betracht lässt: Letztlich stand die Beklagte argumentativ ziemlich nackt da. Dementsprechend kam das Gericht zu dem zutreffenden Ergebnis, dass die Kündigung unwirksam war. Für Sabine ein befriedigendes Ergebnis.
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