Das Thema
Mit seinem Urteil vom 28.02.2023 – 2 AZR 227/22 hat das BAG klargestellt, dass eine unternehmerische Entscheidung, infolge derer es zu betriebsbedingten Kündigungen kommt, ihrerseits nicht unbedingt „dringend“ gewesen sein muss. Damit unterstreicht das BAG die grundsätzliche unternehmerische Entscheidungsfreiheit von Arbeitgebern.
Das aktuelle Urteil wird zum Anlass genommen, die Anforderungen und Grenzen der unternehmerischen Entscheidung im Zusammenhang mit betriebsbedingten Kündigungen näher zu beleuchten. Der Arbeitgeber ist demnach – bis zur Grenze der Willkür – nicht gehindert, auch wirtschaftlich nicht zwingend notwendige Organisationsentscheidungen zu treffen.
Unternehmerische Entscheidung: Verlagerung eines Arbeitsplatzes an konzernangehöriges Drittunternehmen im Ausland
Im konkreten Fall stritten Arbeitgeber und Arbeitnehmer um die Rechtmäßigkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung. Zu dieser kam es im Mai 2020, weil, so der beklagte Arbeitgeber, die Aufgaben des im Sales-Bereich tätigen Arbeitnehmers infolge einer unternehmerischen Entscheidung künftig nicht mehr im eigenen Betrieb, sondern von einem konzernangehörigen ausländischen Drittunternehmen erledigt werden (sollten). Dadurch entfalle der Arbeitsplatz des Klägers künftig ersatzlos.
Der Arbeitnehmer hingegen hielt die Kündigung für sozial ungerechtfertigt. Nach ihm lag kein betriebsbedingter Grund vor und die Entscheidung seines Arbeitgebers verfolge vielmehr das alleinige Ziel, sich dem Arbeitsverhältnis auf einfache Art und Weise zu entledigen. Eine konzerninterne Verlagerung der Position führe – so der Arbeitnehmer – im Ergebnis nur zu einem Wechsel des Arbeitgebers und somit sei der Beschäftigungsbedarf gerade nicht entfallen.
Dem hielt der Arbeitgeber entgegen, dass die Geschäftsführung entschieden habe, dass die dem Arbeitnehmer bisher unterstellten Mitarbeiter künftig direkt unmittelbar an den „Area Vice President“ berichten sollten. Diese damit in Zusammenhang stehenden Aufgaben übernehme eine Mitarbeiterin bei einer anderen Konzerngesellschaft, wodurch die Aufgaben des Arbeitnehmers bei dem beklagten Arbeitgeber vollumfänglich wegfallen. Noch während des laufenden Verfahrens wurde die Aufgabenverlagerung hin zu der ausländischen Konzerngesellschaft erfolgreich vollzogen.
BAG: Ob sich eine Outsourcing “lohnt”, ist irrelevant
Das BAG bestätigte die Entscheidungen der Vorinstanzen und wies die Revision des klagenden Arbeitnehmers zurück. Nach dem BAG gehöre zu der durch Art. 12, Art. 14 und Art. 2 Abs. 1 GG geschützten unternehmerischen Freiheit u.a. das Recht des Arbeitgebers festzulegen, ob bestimmte Arbeiten weiterhin im eigenen Betrieb ausgeführt oder an (konzernangehörige) Drittunternehmen vergeben werden sollen. Wenn die Umsetzung einer solchen unternehmerischen Entscheidung spätestens zum Ablauf der Kündigungsfrist zu einem dauerhaften Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit führt, dann sei sie grundsätzlich bereits deshalb dazu geeignet, dringende betriebliche Erfordernisse i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG herbeizuführen, weil eine derartige Entscheidung der durch die Artikel 12, 14, und 2 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützten unternehmerischen Freiheit unterfalle. Vom Arbeitgeber könne nicht erwartet werden, Arbeitsplätze, deren betriebliche Notwendigkeit entfallen sei, weiterhin zu besetzen.
Dem könne grundsätzlich auch nicht entgegenstehen, dass Art. 12 Abs. 1 GG der Arbeitnehmerseite einen Mindestbestandsschutz gewähre. Das BAG sieht diesbezüglich eine reine Schutzpflicht für Gesetzgeber und Gerichte. Bei Auslegung und Anwendung der Vorschriften des KSchG sei deshalb zu prüfen, ob diese das entsprechende Grundrecht des Arbeitnehmers negativ tangieren. Die unternehmerische Entscheidung müsse allerdings, um Umgehungen des Kündigungsschutzes zu verhindern, zumindest in eingeschränkter Weise gerichtlich überprüft werden können. Anderenfalls könnte die getroffene unternehmerische Entscheidung als Vorwand genutzt werden, um unliebsame Arbeitnehmer aus dem Betrieb zu drängen, obwohl Beschäftigungsbedarf und Beschäftigungsmöglichkeit fortbestehen und lediglich die Arbeitsvertragsinhalte und die gesetzlichen Kündigungsschutzbestimmungen als zu belastend angesehen werden. Eine Entscheidung, die im Ergebnis dazu führt, dass Arbeitsplätze betriebsbedingt wegfallen, müsse sich daher zumindest der vom Senat gelegentlich als „Missbrauchskontrolle“ bezeichneten Prüfung unterziehen.
Im Fall der Fremdvergabe kommt es nach dem BAG grundsätzlich nicht darauf an, ob durch die Beauftragung des Drittunternehmens tatsächlich Kosten gespart werden, was auch für die Aufgabenverlagerung zwischen Konzernunternehmen gelte. Es ist folglich nicht notwendig, dass sich eine Outsourcingentscheidung im Ergebnis, betriebswirtschaftlich betrachtet, „lohnt“ (vgl. auch BAG Urt. v. 31.05.2007 – 2 AZR 306/06).
Bestandsschutz bei konzerninternen Aufgabenverlagerungen ist ausreichend gewährleistet
In Fällen, in denen es – wie vorliegend – zu einer konzerninternen Aufgabenverlagerung kommt, sei der verfassungsrechtlich gebotene Bestandsschutz der Arbeitnehmer nach dem BAG bereits durch § 613a BGB, §§ 322 ff. UmwG sowie die Rechtsprechung zum Gemeinschaftsbetrieb mehrerer Unternehmen ausreichend gewährleistet (vgl. bereits BAG, Urt. v. 26. September 2002 – 2 AZR 636/01).
Entscheidend sei – so das BAG – einzig und allein, ob die Entscheidung nicht offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich getroffen wurde. Das BAG führt damit seine bisherige Rechtsprechung (BAG, Urt. v. 22.11.2012 – 2 AZR 673/11; BAG, Urt. v. 18.06.2015 – 2 AZR 480/14) fort und stellt darüber hinaus klar, dass die Darlegungs- und Beweislast für Tatsachen, aus denen sich ergibt, dass die getroffene Organisationsentscheidung rechtsmissbräuchlich gewesen sein könnte, allein dem Arbeitnehmer obliegt.
Fazit: BAG bekräftigt unternehmerische (Entscheidungs-)Freiheit des Arbeitgebers
Das BAG hat mit seiner Entscheidung klargestellt, dass es nicht darauf ankommt, ob die dem Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses zugrunde liegende unternehmerische Entscheidung – etwa aus wirtschaftlichen Gründen – „dringend“ war.
Der Arbeitgeber ist somit – bis zur Grenze der Willkür (siehe nachfolgend) – nicht gehindert, auch wirtschaftlich nicht zwingend notwendige Organisationsentscheidungen zu treffen. Damit hat das BAG die unternehmerische (Entscheidungs-)Freiheit, die durch Artikel 12, 14 und 2 Absatz 1 GG geschützt wird, erfreulicherweise bekräftigt.
Das BAG betont jedoch, dass der Arbeitgeber nicht willkürlich handeln bzw. die Entscheidung nicht offensichtlich unsachlich oder unvernünftig getroffen werden darf. Zwar liegt die Darlegungs- und Beweislast im Prozess beim Arbeitnehmer. Um etwaige Risiken bei betriebsbedingten Kündigungen zu minimieren, dürften Arbeitgeber jedoch gut beraten sein, wenn sie sich bei der Entscheidungsfindung und -fassung möglichst nicht von „sachfremden Erwägungen“ leiten lassen.
Insgesamt ist es begrüßenswert, dass das BAG – bis zur aufgezeigten Grenze – die unternehmerische (Entscheidungs-)Freiheit des Arbeitgebers bekräftigt.