Das Thema
Der Krieg in Europa verändert vieles. Er mobilisiert Menschen, die aus ihrer Heimat vertrieben werden, neben Kindern vor allem junge Frauen – deren Männer im Alter von 18 bis 54 Jahre nicht ausreisen dürfen und deren Eltern altersbedingt nicht ausreisen können. Er mobilisiert aber auch eine große Hilfsbereitschaft und Solidarität, vor allem im europäischen benachbarten Ausland.
Hier in Deutschland ist – neben Spenden, Transporten, Hands-on-Unterstützung an Bahnhöfen und in Messehallen und spontaner Aufnahme von Geflüchteten in den Haushalt – vor allem auch der Wille zu beobachten, Ukrainerinnen Arbeit zu geben. Ein Beispiel ist ein Frankfurter Medienunternehmer, der zwei ukrainische Geflüchtete mit ihren Kindern in sein Haus aufnimmt, sie aber sogleich in die Öffentlichkeitsarbeit einbinden will – die eine kann russisch und (selbstverständlich auch) ukrainisch, die andere beherrscht DTP-Programme aus dem FF.
Im Rahmen einer Beitragsreihe einiger #EFAR-Autoren zu den (arbeitsrechtlichen) Folgen des Krieges in der Ukraine wurde die aufenthaltsrechtliche Dimension bereits behandelt. Was hält das (Individual)Arbeitsrecht für Antworten auf die aktuelle Lage parat ? Welche Fragen stellen sich etwa mit Blick auf Freistellung von Mitarbeitern, die zum Kriegsdienst eingezogen werden, Haltung und Meinungsäußerung im Arbeitsverhältnis sowie damit zusammenhängend im Kündigungsrecht, ergänzend auch im Befristungsrecht und Urlaubsrecht? Welche Fragen werden noch nicht hinreichend gesetzlich beantwortet und bedürfen der dringenden Aufmerksamkeit des Gesetzgebers ?
Einziehung zum Kriegsdienst
Wird ein ukrainischer Staatsangehöriger, der bei einem Unternehmen in Deutschland beschäftigt ist, zum Kriegsdienst in die Ukraine eingezogen, ist sein Arbeitsplatz in Deutschland vor einer Kündigung geschützt. Das folgt aus § 16 Abs. 6 ArbPlSchG, weil die Ukraine Vertragspartei der Europäischen Sozialcharta vom 18. Oktober 1961 (!) ist (vgl. Zumkeller, dort insbesondere der Handlungsaufruf an den deutschen Gesetzgeber, das Aufenthaltsrecht betreffend, sowie Klaus, die aufenthaltsrechtliche Dimension des Themas untersuchend).
Das bedeutet für den deutschen Vertragsarbeitgeber:
- Das Arbeitsverhältnis des ukrainischen, zum Kriegsdienst einberufenen Mitarbeiters ruht § 1 Abs. 1 ArbPlSchG, was die beiderseitigen Hauptpflichten betrifft, also insbesondere die Pflicht zur Vergütung. Das gilt ab Zustellung des Einberufungsbescheides (§ 2 Abs. 1 ArbPlSchG). Für freiwillige Helfer gilt das selbstverständlich nicht.
- Eine Kündigung aus Anlass der Einberufung zum Kriegsdienst wäre nichtig, wollte man sie denn erklären. Der Arbeitsplatz ist also „freizuhalten“, eine befristete Einstellung einer „Kriegsvertretung“ wäre wohl befristungsrechtlich zulässig.
- Die Nebenpflichten bleiben bestehen (Loyalitätspflichten etwa) – es gibt also keinen absoluten Kündigungsschutz. Führt der Krieg zu anderen über die Abwesenheit hinausgehenden Störungen des Arbeitsverhältnisses, könnte durchaus wirksam gekündigt werden, vorbehaltlich der wirksamen Zustellung (durch Einwurf in den Hausbriefkasten bei Kenntnis des Arbeitgebers vom Kriegsdienst wohl schwierig). Das gilt nicht nur für ukrainische kriegsverpflichtete Arbeitnehmer, wo dies wohl kaum in Erwägung gezogen werden dürfte, sondern auch für die übrigen vom ArbPlSchG Geschützten, etwa für russische Staatsbürger. Kündigt der Arbeitgeber in diesem Kontext, trägt er die Beweislast, dass nicht die Einberufung Anlass der Kündigung war, sondern ein anderer Grund vorliegt.
- Befristungen laufen weiter (und laufen aus, was etwaige Befristungskontrollklagen kämpfender ukrainischer Staatsangehörigkeiten erforderlich macht, sofern deren Arbeitgeber nicht freiwillig entfristen), und mit Ablauf des Kriegsdienstes lebt das Arbeitsverhältnis wieder auf.
Haltung im Arbeitsleben
Der Fall des russischen Dirigenten Valery Gergiev aus München mag ein prominenter Einzelfall sein, er steht aber für das Dilemma vieler in Deutschland lebender Russen: Die Münchner Philharmoniker haben sich von ihrem Chefdirigenten getrennt, nachdem dieser nicht fristgerecht auf Aufforderung des Münchner Oberbürgermeistes erklärt hatte, sich von dem Angriffskrieg seines Präsidenten zu distanzieren. Arbeitsrechtlich stellen sich mithin zwei Fragen:
Fragerecht
Geht das Fragerecht des Arbeitgebers so weit, dass er eine Haltung des Mitarbeiters erfragen kann? Oder darf der Mitarbeiter sich „raushalten“, wie dies Gergiev tut, aber auch Gerhard Schröder, beide offenkundig Putin nahestehende Personen? Hierzu findet sich wenig, wird das Fragerecht des Arbeitgebers meist bei Einstellung diskutiert, also vor Begründung des Arbeitsverhältnisses. Blickt man jedoch auf die sich aus § 242 BGB ableitenden (akzessorischen) Nebenleistungspflichten des Arbeitnehmers, ergeben sich hieraus durchaus bestimmte, das Verhalten betreffende Pflichten, etwa Kooperationspflichten des Arbeitnehmers rund um die Kommunikation (also etwa Mitteilung von Terminskollisionen bei Geschäftsterminen) oder erweiterte Leistungspflichten des Arbeitnehmers in Notsituationen, etwa in der Corona-Pandemie (vgl. dazu MüHdB-Reichold, Bd. 1, § 53 Rn. 12f. mwN). Eine darüberhinausgehende Auskunftspflicht, wie etwa bei der Aufklärung von Straftaten im Betrieb (dazu instruktiv Röß, NZA 2021, 675 ff.), besteht hinsichtlich politischer Haltungen sicher nicht.
Eine Pflicht des Arbeitnehmers, Stellung oder Haltung zu beziehen, folgt daraus sicher nicht. Das mag im Einzelfall moralisch wünschenswert sein, überstiege aber die aus dem Arbeitsverhältnis resultierenden, auf den Broterwerb fokussierten Nebenpflichten.
Kündigungsrecht
Kündigungsrechtlich ist die Antwort nur auf den ersten Blick banal: Wenn keine Pflicht besteht, Haltung einzunehmen, kann die fehlende Haltung auch arbeitsrechtlich nicht sanktioniert werden, insbesondere also weder Gegenstand einer rechtmäßigen Abmahnung noch erst recht einer verhaltensbedingten Kündigung sein.
Ob im Einzelfall allerdings eine personenbedingte Kündigung in Betracht zu ziehen ist, ist bei näherer Betrachtung wohl nicht vollständig auszuschließen. Je nach Position des zur Haltung aufgeforderten Mitarbeiters ist durchaus gut zu vertreten, dass er ohne (geänderte oder jedenfalls kundgetane) Haltung für die Position nicht mehr geeignet ist. Wäre Schröders Ehrenbürgerwürde der Stadt Hannover ein Arbeitsverhältnis, könnte seine unterlassene öffentliche Distanzierung – jedenfalls nach vorheriger Aufforderung – durchaus ein Grund sein, seine künftig fehlende –Eignung zur Ausübung des Arbeitsverhältnisses zu bezweifeln und also die personenbedingte Kündigung zu erklären.
Die Maßstäbe des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urt. v. 31.01.2019 – 2 AZR 426/18) passen hier durchaus: Jedes Arbeitsverhältnis setzt als personenbezogenes Dauerschuldverhältnis ein gewisses gegenseitiges Vertrauen der Vertragspartner voraus. Der Verlust der „vertragsnotwendigen Vertrauenswürdigkeit“ kann zu einem Eignungsmangel führen, der einem verständig und gerecht abwägenden Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht.
Mitarbeiter ziehen in den Krieg: Fragen im Befristungsrecht
Befristung von Arbeitsverhältnissen für Vertretungen auf Arbeitsplätzen, deren Inhaber zum Kriegsdienst eingezogen wurden, sind für die Dauer des Kriegsdienstes unproblematisch gem. § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 TzBfG möglich.
Dass die Dauer des Einsatzes nicht absehbar ist, spielt dabei nach allgemeinen Grundsätzen des Befristungsrechts keine Rolle: Maßgeblich ist die Prognose zum Zeitpunkt der Befristungsabrede – ob die Gründe später wegfallen, etwa, weil der zum Kriegsdienst Eingezogene zurückkehrt, ist für die Wirksamkeit der Befristung ohne Auswirkung (vgl. nur BAG, Urt. v. 29.06.2011 – 7 AZR 774/09).
Solidarität und Urlaubsrecht
Manch Arbeitnehmer will sich in Krisenzeiten solidarisch zeigen und Helfenden in der Ukraine Zeit schenken – in Form von Urlaub. Ähnliche Solidaritätsbekundungen finden teilweise in Krankheitsfällen statt, wo Arbeitnehmer etwa Urlaub zusammenlegen, um Kollegen die Pflege kranker Kinder zu ermöglichen.
So gut gemeint das sein mag – urlaubsrechtlich wird das nicht zulässig sein, jedenfalls nicht für den gesetzlichen Mindesturlaub. Urlaub dient dem Erholungszweck, nicht der Verrichtung von Angelegenheiten Dritter, ja, streng genommen nicht einmal der Unterstützung Flüchtender an der Grenze. Streng genommen droht dem Arbeitgeber, der das zulässt, dann die Doppelinanspruchnahme. Da ist es womöglich klüger, gleich von Anfang an großzügig zu sein und vertraglichen Sonderurlaub auszuloben, der dann nicht den Zweck der Erholung hat, sondern den Zweck, Gutes zu Tun. In welcher Form das geschieht, muss im Einzelfall geprüft werden – neben Einzelzusage kommt sicher eine Gesamtzusage in Frage, aber auch eine Betriebsvereinbarung dürfte geeignet sein (dazu den Beitrag von Reich/Weller in dieser Reihe).
Ausblick und Notwendigkeit gesetzgeberischen Handelns
Das Individualarbeitsrecht ist hinreichend ausgestattet, die Herausforderungen des Krieges arbeitsrechtlich zu bewältigen. So dringend nun nicht nur die Exekutive, sondern auch die Legislative gefordert ist, so wenig betrifft das derzeit das Individualarbeitsrecht.
Bedarf besteht anderswo, etwa im Aufenthaltsrecht, das geflüchteten Ukrainerinnen schnell und sicher eine Perspektive im hiesigen Arbeitsmarkt einräumen muss (vgl. hierzu nur den Appell von BVAU-Präsident Zumkeller).