Das Thema
Am 1. Januar 2021 ist das neue Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs– und Insolvenzrechts (SanInsFoG) in Kraft getreten. Dessen zentraler Bestandteil sind die Normen des Gesetzes über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen (StaRUG). Durch das StaRUG wird die EU-Restrukturierungsrichtlinie, Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019, in nationales Recht umgesetzt. Nunmehr erlangen Unternehmen die Chance, einen Sanierungs- oder Restrukturierungsprozess frühzeitig anzustoßen, um eine Insolvenzsituation überhaupt erst zu vermeiden.
Pflicht zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement
§ 1 Abs. 1 StaRUG statuiert die allgemeine und rechtsformübergreifende Pflicht für Geschäftsleiter juristischer Personen oder Gesellschaften ohne eigene Rechtspersönlichkeit (insbesondere der GmbH & Co. KG), ein System zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement einzurichten. Geschäftsleiter müssen fortlaufend über Entwicklungen, welche den Fortbestand des Unternehmens gefährden können, wachen.
Die Pflicht zur Einrichtung eines Risikofrüherkennungs- und -überwachungssystems ist indes nicht neu: Eine solche galt bereits vor Inkrafttreten des StaRUG etwa für Vorstände einer Aktiengesellschaft nach § 91 Abs. 2 AktG. Gleichsam verpflichtet waren aufgrund der Ausstrahlungswirkung der Vorschrift auch Geschäftsleitungsorgane anderer haftungsbeschränkter Unternehmen. § 1 Abs. 3 StaRUG stellt sicher, dass bereits bestehende spezialgesetzliche Regelungen und Grundsätze auch weiterhin gelten. Neben den Pflichten nach § 91 Abs. 2 AktG trifft Geschäftsleitungen etwa gem. § 92 Abs. 1 AktG, § 49 Abs. 3 GmbHG auch die Pflicht zur Einberufung einer Versammlung der Anteilsinhaber, wenn die Hälfte des Grund- bzw. Stammkapitals verloren ist. §§ 15a f. InsO treffen darüber hinaus Regelungen im Stadium der Insolvenzreife. Verstößt ein Geschäftsleiter gegen diese Pflichten, drohen ihm Schadensersatzforderungen nach § 93 Abs. 2 AktG oder § 43 Abs. 2 GmbHG. Vor diesem Haftungsrisiko sollen sich Geschäftsleiter bereits im Stadium der Unternehmenskrise, also schon vor Bestehen einer Insolvenzantragspflicht unter Einhaltung der Grundsätze der business judgment rule schützen können.
Abweichungen zur bisherigen Rechtslage
Anders als bisher trifft Geschäftsleiter nunmehr die zusätzliche Pflicht, geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen, sollten sie unternehmensgefährdende Entwicklungen beobachten (§ 1 Abs. 1 S. 2 StaRUG). Dabei steht ihnen ein Beurteilungsspielraum zu. Darüber hinaus haben sie den zur Überwachung der Geschäftsleitung berufenen Organen (etwa dem Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft) hierüber unverzüglich Bericht zu erstatten. Vor dieser Verschärfung hatten die Geschäftsleiter lediglich geeignete Maßnahmen zur Unterbindung der Krise zu erarbeiten. Über die Maßnahmen beschlossen haben letzten Endes die Anteilseigner. Entschieden sie sich etwa dagegen, so traf die Geschäftsleiter kein Pflichtverstoß. Betreffen die zu ergreifenden Maßnahmen der Geschäftsleiter gegenwärtig die Zuständigkeiten anderer Organe, so haben sie unverzüglich auf deren Beschlussfassung hinzuwirken (§ 1 Abs. 1 S. 3 StaRUG).
Einen ganz wesentlichen Unterschied zur bisherigen Rechtslage stellt der modifizierte Sorgfaltsmaßstab für Geschäftsleiter ab Anzeige eines Restrukturierungsvorhabens beim zuständigen Restrukturierungsgericht dar. Ab diesem Zeitpunkt haben die Geschäftsleiter die Restrukturierungssache nämlich mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsführers zu betreiben und die Interessen der Gläubigergesamtheit zu wahren, § 32 Abs. 1 S. 1 StaRUG. Andernfalls haften sie gegenüber der Gesellschaft in Höhe des den Gläubigern entstandenen Schadens, § 43 Abs. 1 S. 2 StaRUG. Dabei wird ein Verschulden der Geschäftsleitung vermutet, was zur Folge hat, dass sich die Geschäftsleitung im Schadensersatzprozess entlasten muss.
Schließlich wird die Außenhaftung des Geschäftsleiters durch § 57 S. 1 StaRUG erweitert: Dieser haftet den betroffenen Gläubigern persönlich, wenn der Schuldner die Stabilisierungsanordnung schuldhaft durch unrichtige Angaben erwirkt hat.
Keine Haftungsverschärfung bei drohender Zahlungsunfähigkeit
Sah der Regierungsentwurf (StaRUG-RegE) noch besondere Geschäftsleiterpflichten im Stadium drohender Zahlungsunfähigkeit vor, bestehen solche in seiner finalen Fassung nicht mehr. So sollten etwa die Geschäftsleiter einer juristischen Person oder einer haftungsbeschränkten Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit ab Eintritt drohender Zahlungsunfähigkeit durch § 2 StaRUG-RegE bereits angehalten werden, die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger zu wahren. Im Ergebnis hätte dies nichts anderes als eine Modifizierung der in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG gesetzlich verankerten business judgment rule bereits im Vorfeld einer bestehenden Insolvenz zur Folge gehabt. Bemerkenswert war insbesondere der Umstand, dass nach § 2 Abs. 4 StaRUG-RegE den Gläubigerinteressen im Konfliktfall der Vorrang gegenüber den Interessen anderer Unternehmensbeteiligter (und somit auch der Gesellschafter) einzuräumen gewesen wäre. Im Falle einer Pflichtverletzung sollte die Innenhaftung nach § 3 StaRUG-RegE greifen. Begründet wurde die Streichung dieser Vorschriften mit dem unklaren Verhältnis zu den Sanierungspflichten im Gesellschaftsrecht. Darüber hinaus sei ein hinreichender Gläubigerschutz durch die gesellschaftsrechtlichen Haftungsnormen bereits gewährleistet.
Ungeklärte Fragen
Geschäftsleiter haben mit Wirksamwerden des StaRUG die Gesellschafts- und Gläubigerinteressen stets in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. Was das genau bedeutet oder wie eine Gewichtung aussehen soll, bleibt jedoch unklar. Auch die Gesetzesbegründung enthält keine Angaben hierzu. Eine Ausdifferenzierung der Grundsätze der Geschäftsleiterhaftung in Krise und Insolvenz des Unternehmens bleibt somit der Rechtsprechung überlassen. Der angemessene Ausgleich von widerstreitenden Gläubiger- und Gesellschafterinteressen wird wohl eine der größten zu bewerkstelligenden Hürden für Geschäftsleiter von Krisenunternehmen sein.
Handlungsempfehlungen und Ausblick
Mit § 1 StaRUG werden Geschäftsleiter nunmehr verpflichtet, Systeme zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement in ihre Unternehmensorganisation einzubetten. Überwachungsorgane müssen dabei auf die Implementierung solcher Systeme hinwirken.
Geschäftsleitungen ist daher anzuraten, in Abstimmung mit einem externen Fachberater schnellstmöglich ein Risikofrüherkennungs- und -überwachungssystem zu implementieren sowie Unternehmenslage, Sanierungskonzepte und Entscheidungsprozesse sorgfältig zu dokumentieren. Dadurch können sie potenziellen, durch das StaRUG verschärften Haftungsrisiken entgehen.
Durch die Streichung der §§ 2 und 3 StaRUG-RegE wurde zwar der Vorrang der Gläubigerinteressen ab dem Eintritt drohender Zahlungsunfähigkeit beseitigt. Gleichwohl werden die Gläubigerinteressen bei Managemententscheidungen im Krisenunternehmen zukünftig stärker zu berücksichtigen sein.