Das Thema
Dieser Beitrag stellt ein Update zum Beitrag vom 27.03.2023 dar. Die Parteien stritten darüber, ob die Beklagte wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der geschlechtsbezogenen Diskriminierung beim Entgelt verpflichtet ist, an die Klägerin ein höheres monatliches Grundentgelt sowie eine Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG zu zahlen.
Der Fall
Die Beklagte betreibt ein Unternehmen im Bereich der Metall- und Elektroindustrie. In ihrem Unternehmen beschäftigte sie im Jahr 2016 drei Vertriebsmitarbeiter im Außendienst. Hiervon verließ ein Mitarbeiter das Unternehmen Ende 2016 und ein weiterer Vertriebsmitarbeiter schied im Oktober 2017 altersbedingt aus dem Unternehmen aus. Die Beklagte schrieb zunächst eine Stelle aus, worauf sich eine männliche Person bewarb, die zum 01.01.2017 die Stelle als Außendienstmitarbeiter im Vertrieb antrat.
Die Klägerin arbeitet seit dem 01.03.2017 ebenfalls als Außendienstmitarbeiterin im Vertrieb des Unternehmens. Die Grundvergütung betrug zum Tätigkeitsbeginn der Arbeitnehmerin 3.500,00 Euro brutto, zuzüglich einer – allerdings erst ab dem 01.11.2017 geschuldeten – umsatzabhängigen Provision. Dem männlichen Kollegen hatte die Arbeitgeberin zunächst auch eine Grundvergütung in Höhe von 3.500,00 Euro brutto angeboten sowie die umsatzabhängige Provision ab 01.11.2017. Mit diesem Vorschlag war der männliche Kollege nicht gänzlich einverstanden und verlangte bis zum 31.10.2017, dem Zeitpunkt in der er noch keine Provisionen verdienen konnte, ein erhöhtes Grundgehalt. Dem stimmte das Unternehmen zu, sodass der männliche Arbeitnehmer auf Grund seines guten Verhandlungsgeschicks ein erhöhtes Grundgehalt in Höhe von 4.500,00 Euro brutto erhielt. Dies begründete die Arbeitgeberin unter anderem mit der Ausbildung des Arbeitnehmers sowie damit, dass der Arbeitnehmer besser verhandelt habe.
Mit ihrer Klage machte die Arbeitnehmerin die Zahlung rückständiger Vergütung für die streitgegenständliche Zeit von März 2017 bis Juli 2019 in Höhe der jeweiligen Differenz zwischen ihrem Gehalt und dem Gehalt des männlichen Kollegen geltend. Die Arbeitnehmerin begründete ihr Begehren damit, dass sie ein ebenso hohes Grundgehalt verdiene wie ihr männlicher Kollege, da beide die gleiche Arbeit verrichten. Daneben verlangte die Arbeitnehmerin die Zahlung einer angemessenen Entschädigung in Höhe von mindestens 6.000,00 Euro, da sie hinsichtlich des Gehalts auf Grund ihres Geschlechts benachteiligt wurde. Vor dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht wurde die Klage abgewiesen.
Das BAG erklärte die Revision der Arbeitnehmerin für ganz überwiegend begründet (Urt. v. 16.02.2023 – 8 AZR 450/21). Es sprach der Arbeitnehmerin einen Anspruch auf Zahlung der rückständigen Vergütung für den Zeitraum vom 01.03.2017 bis 31.10.2017 in Höhe von 8.000,00 Euro zu.
Gleiches Entgelt bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit
Als Anspruchsgrundlage nannte das BAG Art. 157 AEUV sowie § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG. Art. 157 AEUV besagt, dass jeder Mitgliedstaat die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicher zu stellen hat.
Im Rahmen der Prüfung musste das BAG gemäß den Anforderungen des Art. 157 AEUV mithin zwei grundlegende Voraussetzungen prüfen: Liegt Entgelt im Sinne des Art. 157 AEUV, §§ 3 Abs. 1, 7 Abs. 1 EntgTranspG vor und haben die Arbeitnehmerin und ihr männlicher Kollege gleiche oder gleichwertige Arbeit im Sinne der Vorschriften verrichtet? Diese Voraussetzungen bejahte das BAG für den streitgegenständlichen Fall:
Die Arbeitnehmerin erhielt in dem Zeitraum vom 01.03.2017 bis 31.10.2017 von der Arbeitgeberin ein Grundgehalt in Höhe von 3.500,00 Euro brutto, wohingegen ihr männlicher Kollege in dieser Zeit ein Grundgehalt in Höhe von 4.500,00 Euro brutto monatlich erhielt. Das BAG hat für diesen Zeitraum festgestellt, dass die Arbeitnehmerin ein um 1.000,00 Euro brutto geringeres monatliches Entgelt im Sinne von § 3 Abs. 1, § 7 EntgTranspG erhielt, als ihr männlicher Kollege. Diesbezüglich stellte das BAG fest, dass das Grundgehalt Entgelt im Sinne des § 3 Abs. 1, § 7 EntgTranspG sei. Gemäß § 5 Abs. 1 EntgTranspG umfasst der Begriff des „Entgelts“ Grund- oder Mindestarbeitsentgelte sowie alle sonstigen Vergütungen, die unmittelbar oder mittelbar in bar oder in Sachleistungen aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses gewährt werden. Ausgehend von diesem Begriffsverständnis stellt das Grundgehalt der Arbeitnehmerin und das des männlichen Kollegen Entgelt im Sinne des § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG sowie im Sinne von Art. 157 Abs. 2 AEUV dar.
Nach den Feststellungen des BAG haben die Arbeitnehmerin und ihr männlicher Kollege auch gleiche Arbeit im Sinne von Art. 157 Abs. 1 AEUV, § 4 Abs. 1 EntgTranspG verrichtet. Dies ist gemäß § 4 Abs. 1 EntgTranspG dann der Fall, wenn weibliche und männliche Beschäftigte an verschiedenen Arbeitsplätzen oder nacheinander an demselben Arbeitsplatz eine identische oder gleichartige Tätigkeit ausführen. Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG üben weibliche und männliche Beschäftigte eine gleichwertige Arbeit aus, wenn sie unter Zugrundelegung einer Gesamtheit von Faktoren als in einer vergleichbaren Situation befindlich angesehen werden können. Zu den zu berücksichtigenden Faktoren gehören unter anderem die Art der Arbeit, die Ausbildungsanforderungen und die Arbeitsbedingungen. Es ist von den tatsächlichen, für die jeweilige Tätigkeit wesentlichen Anforderungen auszugehen, die von den ausübenden Beschäftigten und deren Leistungen unabhängig sind. Mit dem Begriff der „gleichwertigen Arbeit“ werden verschiedenartige Arbeiten unter Zugrundelegung einer Gesamtheit von Faktoren daraufhin verglichen, ob sie von gleichem Wert sind.
Unter Zugrundlegung dieser Definitionen haben die Arbeitnehmerin und ihr männlicher Kollege gleiche Arbeit geleistet, da sie an verschiedenen Arbeitsplätzen einer gleichartigen Tätigkeit nachgegangen sind. Dies begründete das BAG damit, dass sowohl die Arbeitnehmerin als auch ihr Kollege als Außendienstmitarbeiter im Vertrieb mit gleicher Verantwortung und gleichen Befugnissen tätig waren.
Der dem entgegenstehende Vortrag der Arbeitgeberin führt nach den Feststellungen des BAG zu keiner anderen Bewertung. Die Arbeitgeberin hatte nicht substantiiert vorgetragen, dass der unterschiedliche Kundenstamm oder die unterschiedlichen Ausbildungen eine andere Bewertung tragen könnten. Laut BAG können zwar Anforderungen an eine Ausbildung für die Frage relevant sein, ob Arbeitnehmer/innen gleiche Arbeit verrichten. In dem streitentscheidenden Fall wurde für die Tätigkeit im Vertriebsaußendienst allerdings keine bestimmte Ausbildung verlangt.
Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts
Die unterschiedliche Bezahlung begründet gemäß § 22 AGG die Vermutung, dass die Arbeitnehmerin die unmittelbare Entgeltbenachteiligung wegen ihres Geschlechts erfahren habe. § 22 AGG beinhaltet eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes sowie eine Beweislastumkehr. Nach dieser Regelung hatte die Arbeitgeberin nunmehr darzulegen und zu beweisen, dass kein Verstoß gegen Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen haben. Diesen Nachweis konnte die Arbeitgeberin nach Ansicht des BAG nicht erbringen. Die Arbeitgeberin hatte unter anderem vorgetragen, dass die höhere Zahlung zur Mitarbeitergewinnung erforderlich gewesen sei. Allerdings hat die Arbeitgeberin laut BAG nicht ausreichend vorgetragen, dass Personalgewinnungsschwierigkeiten für diese Stelle bestanden.
Darüber hinaus hatte sich die Arbeitgeberin insbesondere auf das Verhandlungsgeschick des männlichen Kollegen gestützt und wollte mit dem diesbezüglichen Vortrag die Vermutung gemäß § 22 AGG widerlegen. Das BAG führte hierzu aus (Rn. 56):
„Der Umstand, dass sich Arbeitsvertragsparteien im Rahmen ihrer Vertragsfreiheit auf ein höheres Entgelt verständigen als der Arbeitgeber mit einem Mitarbeiter/einer Mitarbeiterin des anderen Geschlechts mit gleicher oder gleichwertiger Arbeit vereinbart, ist für sich allein betrachtet nicht geeignet, die Vermutung einer geschlechtsbezogenen Entgeltbenachteiligung zu widerlegen. In einem solchen Fall wird nämlich gerade nicht ausgeschlossen, dass das Geschlecht mitursächlich für die Vereinbarung der höheren Vergütung war. Würde dennoch allein der Umstand der Einigung auf eine höhere Vergütung genügen, könnte der Grundsatz des gleichen Entgelts für Frauen und Männer iSv. Art. 157 Abs. 1 AEUV, Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54/EG sowie iSv. § 3 Abs. 1, § 7EntgTranspG auch nicht effektiv umgesetzt werden.“
Im Ergebnis stellte das BAG fest, dass, wenn sich die Parteien eines Arbeitsvertrags auf ein höheres Entgelt verständigt haben als der Arbeitgeber einer Arbeitskraft des anderen Geschlechts mit gleicher oder gleichwertiger Arbeit vereinbarungsgemäß zahlt, dies gerade die Vermutung im Sinne des § 22 AGG begründet, dass die Arbeitskraft des anderen Geschlechts die Entgeltbenachteiligung aufgrund des Geschlechts erfahren hat.
Die gleichen Feststellungen machte das BAG auch für eine rückständige Vergütung für den Monat Juli 2018 und sprach der Arbeitnehmerin noch weitere 500,00 EUR brutto für diesen Monat zu.
Angemessene Entschädigung
Hinsichtlich der von der Arbeitnehmerin verlangten angemessenen Entschädigung für die Benachteiligung erklärte das BAG den Anspruch für teilweise begründet und hielt eine Entschädigung in Höhe von 2.000,00 EUR für angemessen. Der Anspruch auf eine angemessene Entschädigung folgt aus § 15 Abs. 2 AGG. Gemäß § 15 Abs. 1 AGG ist der Arbeitgeber bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Mithin setzt der Anspruch aus § 15 Abs. 2 AGG zunächst einen Verstoß gegen das in § 7 Abs. 1 AGG geregelte Benachteiligungsverbot voraus, wobei § 7 Abs. 1 AGG sowohl unmittelbare als auch mittelbare Benachteiligungen verbietet. Den Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot begründete das BAG insbesondere mit der geschlechterspezifischen Benachteiligung, die die Arbeitnehmerin auf Grund der schlechteren Bezahlung erfahren hat. Für die Berechnung der konkreten Höhe führte das BAG aus, dass nach ständiger Rechtsprechung des EuGH die Härte der Sanktionen der Schwere des Verstoßes entsprechen muss, indem sie insbesondere eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber gewährleistet, zugleich aber den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt. Sie muss auf jeden Fall in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen. Laut BAG ist die Arbeitnehmerin durch eine Entschädigung in Höhe von 2.000,00 EUR für den durch die unzulässige Entgeltdiskriminierung erlittenen immateriellen Schaden angemessen entschädigt.
Praxishinweis
Sofern eine Arbeitnehmerin aufzeigen kann, dass ein männlicher Kollege trotz gleicher oder gleichwertiger Arbeit mehr verdient, ist dies nach den Feststellungen des BAG ausreichend, um eine Benachteiligung wegen des Geschlechts zu vermuten. Zur Widerlegung dieser Vermutung stellt das Verhandlungsgeschick eines Arbeitsnehmers für sich allein betrachtet kein geeignetes objektives Differenzierungskriterium dar. Laut BAG wird in einem solchen Fall nämlich gerade nicht ausgeschlossen, dass das Geschlecht mitursächlich für die Vereinbarung des erhöhten Grundgehalts war.
Es ist laut BAG dann die Aufgabe der Arbeitgeber, darzulegen und zu beweisen, dass die ungleiche Bezahlung nicht auf Grund des Geschlechts erfolgt ist, sondern auf anderen objektiven Differenzierungskriterien beruht. Die Vermutung der geschlechterspezifischen Benachteiligung ist – wie die Entscheidung des BAG zeigt – für Arbeitgeber sehr schwierig zu widerlegen. Daher sollten Arbeitgeber darauf achten, unterschiedliche Vergütungen allein auf die in § 3 Abs. 3 S. 2 EntgTranspG genannten „arbeitsmarkt-, leistungs- und arbeitsergebnisbezogene(n) Kriterien“ stützen zu können.