Das Thema
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 30. März 2023 (2 AZR 309/22) entschieden, dass die Kündigung des Arbeitsverhältnisses einer nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpften medizinischen Fachangestellten nicht gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB verstößt, wenn wesentliches Motiv für die Kündigung nicht die Impfverweigerung ist, sondern der beabsichtigte Schutz der Krankenhauspatienten und der übrigen Belegschaft vor einer Infektion durch nicht geimpftes medizinisches Fachpersonal (Zur #EFAR-News vom 3. April 2023).
Sachverhalt: Mitarbeiterin schlägt Impfangebote aus
Die Klägerin war seit dem 01. Februar 2021 als medizinische Fachangestellte bei der Beklagten beschäftigt, welche ein Krankenhaus betreibt. Sie wurde während ihrer Tätigkeit auf verschiedenen Stationen zur Versorgung der Patienten eingesetzt. Die Klägerin war nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpft und schlug entsprechende Impfangebote der Beklagten aus.
Mit Schreiben vom 22. Juli 2021, der Klägerin zugegangen am 24., Juli 2021, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis innerhalb der sechsmonatigen Wartefrist des § 1 Abs. 1 KSchG ordentlich mit Wirkung zum 31. August 2021.
Gegen diese Kündigung erhob die Klägerin Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Ludwigshafen. Sie war der Auffassung, die Kündigung verstoße gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB, da sie bei ihrer Entscheidung gegen eine Corona-Impfung in zulässiger Weise von ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht Gebrauch mache. Ferner sei die Kündigung sittenwidrig und verstoße gegen den Grundsatz von Treu und Glauben.
Das Arbeitsgericht Ludwigshafen (Urteil vom 18. November 2021 – 8 Ca 1008/21) gab der Klage statt. Die Entscheidung der Klägerin, sich nicht gegen das Corona Virus impfen zu lassen, sei von deren allgemeinem Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützt. Dies gelte umso mehr, da zum streitgegenständlichen Zeitpunkt keine gesetzliche Pflicht für Pflegekräfte zur Impfung gegen Corona bestand.
Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (Urteil vom 7. Juli 2022 – 5 Sa 461/21) hat der von der Beklagten eingelegten Berufung entsprochen und die Klage abgewiesen.
Die Klägerin verfolgte ihr Begehren daher mit der Revision zum Bundesarbeitsgericht weiter.
Bundesarbeitsgerichts sieht keinen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot gemäß § 612a BGB
Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Kündigung nicht wegen Verstoßes gegen das Maßregelungsverbot gemäß § 134 BGB in Verbindung mit § 612a BGB nichtig ist. § 612a BGB regelt, dass der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht deshalb bei einer Maßnahme benachteiligen darf, weil dieser in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Dieses Benachteiligungsverbot soll die Willensfreiheit des Arbeitnehmers bei der Entscheidung darüber schützen, ob er ein ihm zustehendes Recht ausübt oder nicht und stellt einen Sonderfall der Sittenwidrigkeit dar.
Ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB liegt nach ständiger Rechtsprechung dann vor, wenn die zulässige Rechtsausübung des Arbeitnehmers der tragende Beweggrund, mithin das wesentliche Motiv für die benachteiligende Maßnahme ist. Es sei nicht ausreichend, dass die Rechtsausübung durch den Arbeitnehmer nur den äußeren Anlass für die arbeitgeberseitige Maßnahme bietet. Liegt der Entscheidung des Arbeitgebers über die Maßnahme ein Motivbündel zugrunde, so sei auf das wesentliche Motiv abzustellen. Dass die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses eine Maßnahme im Sinne des § 612a BGB sein kann, entspricht ebenfalls der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. z.B. BAG Urteil vom 18. November 2021 – 2 AZR 229/21).
Die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen des § 612a BGB liege bei dem klagenden Arbeitnehmer. Dieser habe zu dem Kausalzusammenhang zwischen der benachteiligenden Maßnahme und der zulässigen Rechtsausübung substantiiert vorzutragen und dessen Vorliegen zu beweisen.
Im vorliegenden Fall fehle es an dem erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen zulässiger Rechtsausübung durch den Arbeitnehmer und der vom Arbeitgeber vorgenommenen benachteiligenden Maßnahme. Die Rechtsausübung der Klägerin sei in der Ablehnung einer Impfung gegen das Coronavirus zu sehen, da eine solche Impfung zum maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung für Arbeitnehmer im Gesundheits- und Pflegebereich noch nicht gemäß § 20a IfSG verpflichtend war. Diese zulässige Rechtsausübung stellte nach den Feststellungen des Bundesarbeitsgerichts jedoch nicht das wesentliche Motiv für den Ausspruch der Kündigung durch den Arbeitgeber dar. Dessen wesentliches Motiv sei vielmehr der beabsichtigte Schutz der Krankenhauspatienten und der übrigen Belegschaft vor einer Corona-Infektion durch nicht geimpftes medizinisches Fachpersonal gewesen.
BAG sieht auch keinen Verstoß der Kündigung gegen die Generalklauseln
Nach den Feststellungen des Bundesarbeitsgerichts stehe die Kündigung auch mit den Wertungen der Generalklauseln in Einklang. Die körperliche Unversehrtheit der Krankenhauspatienten sowie der übrigen Belegschaft genieße Vorrang vor den betroffenen Grundrechtspositionen der Klägerin.
Das Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes werde durch die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG geschützt. Das Grundrecht der Berufsfreiheit gewähre zwar keinen unmittelbaren Schutz gegen den Verlust des Arbeitsplatzes aufgrund privater Disposition, jedoch ergebe sich aus diesem eine staatliche Schutzpflicht. Der objektive Gehalt dieses Grundrechts sei daher bei der Auslegung und Anwendung der zivilrechtlichen Generalklauseln zu berücksichtigen. Es dürfe jedoch nicht soweit kommen, dass die Wartezeitkündigung eines Arbeitgebers nach § 1 Abs. 1 KSchG über die Generalklauseln faktisch dem auf diese nicht anwendbaren Maßstab der Sozialwidrigkeit aus § 1 Abs. 2 KSchG unterworfen wird. Während der sechsmonatigen Wartezeit sei das Vertrauen des Arbeitnehmers auf den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses vielmehr dadurch beschränkt, dass dieser mit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses ohne den Nachweis von Gründen rechnen muss. Auf der anderen Seite habe der Arbeitgeber bei der Einstellung eines Arbeitnehmers regelmäßig ein berechtigtes Interesse daran, zu prüfen, ob dieser seinen Vorstellungen entspricht.
Keine Sittenwidrigkeit der Kündigung nach § 138 BGB
Die Kündigung sei insbesondere nicht als sittenwidrig einzustufen und daher nicht nach § 138 BGB nichtig. Bei dem Motiv des Arbeitgebers, einen möglichst umfassenden Gesundheitsschutz für die Patienten und die Belegschaft sicherzustellen, indem ausschließlich gegen das Corona-Virus geimpftes medizinisches Personal beschäftigt wird, handele es sich um einen legitimen Zweck.
Ferner bestünden keinerlei Anhaltspunkte für eine besondere Verwerflichkeit des Handelns des beklagten Arbeitgebers.
Kein Verstoß gegen Treu und Glauben nach § 242 BGB
Auch ein Verstoß gegen Treu und Glauben gemäß § 242 BGB wird seitens des Bundesarbeitsgerichts verneint.
Es sei zunächst kein Verstoß des Arbeitgebers gegen das aus dem Grundsatz von Treu und Glauben folgende Verbot des widersprüchlichen Verhaltens („venire contra factum proprium“) gegeben. In der fehlenden Kündigung anderer nicht geimpfter Belegschaftsmitglieder sei kein derartiges widersprüchliches Verhalten zu sehen, da bei diesen die Wartezeit bereits abgelaufen war und sie mit der Klägerin daher bereits nicht vergleichbar waren.
Auch im Übrigen sei die Kündigung nicht treuwidrig. Vielmehr habe die Beklagte die Grundrechte der Klägerin aus Art. 12 Abs. 1 GG sowie Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG angemessen berücksichtigt. Schutzwürdiger sei jedoch das Grundrecht der Patienten auf körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, da diese allenfalls eingeschränkt dazu in der Lage seien, ihr Infektionsrisiko durch eine Impfung selbst zu reduzieren. Die Patienten seien in ungleich größerem Ausmaß als andere Personen darauf angewiesen, dass Übertragungsketten frühzeitig unterbrochen werden. Dies gelte umso mehr, da die Inanspruchnahme der Leistungen eines Krankenhauses weit überwiegend nicht zur freien Disposition der Pateienten steht, sondern typischerweise deren essentielle Grundbedürfnisse betrifft. Aus diesem Grund können sich die Patienten nicht ohne Weiteres von Krankenhäusern fernhalten, um dadurch ihr Infektionsrisiko zu senken und seien aus diesem Grund in besonderem Maße schutzwürdig.
Praxishinweis; BAG stützt spätere Entscheidung des Gesetzgebers
Es handelt sich insgesamt um eine begrüßenswerte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts.
Ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot aus § 612a BGB liegt richtigerweise dann vor, wenn die zulässige Rechtsausübung des Arbeitnehmers das wesentliche Motiv für die Benachteiligung durch den Arbeitgeber darstellt. Das war vorliegend nicht der Fall. Das wesentliche Motiv für die Kündigung war gerade nicht die Entscheidung der Klägerin gegen eine Corona-Impfung, sondern vielmehr der Schutz der Patienten sowie der übrigen Krankenhausbelegschaft vor der Infektionsgefahr, die durch eine nicht geimpfte Pflegekraft ausgelöst wird.
Auf die Frage, ob die Kündigung sozial gerechtfertigt war, kam es aufgrund der Einhaltung der sechsmonatigen Wartefrist aus § 1 Abs. 1 KSchG nicht an. Denn Sinn und Zweck dieser Wartefrist ist es, den Parteien des Arbeitsverhältnisses für eine gewisse Zeit die Prüfung zu ermöglichen, ob sie sich auf Dauer binden wollen.
Zwischenzeitlich hatte der Gesetzgeber zudem mit dem Erlass von § 20a IfSG reagiert, der eine Impfpflicht für medizinisches Personal in Krankenhäusern, Einrichtungen für ambulantes Operieren sowie Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen vorsah. Der Erlass dieser Vorschrift zeigt, dass das Ergebnis der vom Bundesarbeitsgericht im hiesigen Fall vorgenommenen Grundrechtsabwägung von der Gesetzgebung ebenfalls gestützt wird.
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