Das Thema
Das Bundesarbeitsgericht bestätigte mit seinem Urteil vom 12.12.2018 (AZ 4 AZR 123/18) seine erst kürzlich geänderte Rechtsprechung zur Verdrängung von Sanierungstarifverträgen durch arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln. Die Entscheidung zementiert damit den Rechtsprechungswechsel hinsichtlich der Auslegung von Bezugnahmeklauseln. Arbeitgeber sollten diesen Aspekt bei der Vertragsgestaltung berücksichtigen.
Sofern in einem Sanierungsfall Arbeitnehmer mit „echten“ Bezugnahmeklauseln betroffen sind, dürfte der derzeit einzige rechtssichere Weg zur Anwendung des Sanierungstarifvertrags dessen ergänzende individualvertragliche Vereinbarung mit den Arbeitnehmern sein. Andernfalls droht stets eine Aushebelung über das Günstigkeitsprinzip.
Sanierungstarifvertrag und Bezugnahmeklauseln: Ein Problem
Sanierungstarifverträge stellen für (ehemals) tarifgebundene Unternehmen in der betrieblichen Praxis ein beliebtes Instrument zur Bewältigung von Unternehmenskrisen dar. Im Gegenzug für einen Entgeltverzicht der Belegschaft werden in der Regel Beschäftigungsgarantien gewährt. Fragen wirft allerdings das Verhältnis eines solchen (Haus-)Sanierungstarifvertrags zu den aufgrund einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel geltenden Flächentarifverträgen auf.
Ein Rechtsprechungswechsel des BAG im Jahr 2018 hebelt das Instrument des (Haus-)Sanierungstarifvertrags nunmehr insoweit aus, wie in dem Unternehmen Bezugnahmeklauseln verwendet werden, die nicht lediglich als Gleichstellungsabreden auszulegen sind. So hat das BAG bereits im Juli 2018 (Urt. v. 11.07.2018 – 4 AZR 533/17) entschieden, dass eine Bezugnahmeklausel auf Flächentarifverträge in der Regel keine Haustarifverträge erfasse. Etwas anderes ergebe sich – in ausdrücklicher Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung – auch nicht aus der zusätzlichen Inbezugnahme von Betriebsvereinbarungen, da es sich hierbei um andersartige Normenwerke handele.
Einsatz von Sanierungstarifverträgen für bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern unmöglich?
Aufgrund der Verbreitung derartiger Bezugnahmeklauseln wird hierdurch ein effektiver Einsatz von Sanierungstarifverträgen zumindest für bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern nahezu unmöglich gemacht. Infolge dieser Rechtsprechung soll für tarifgebundene Arbeitnehmer der Sanierungstarifvertrag zwar aufgrund der Tarifbindung gelten, daneben sollen über die Bezugnahmeklausel aber auch die Flächentarifverträge mit den in der Regel höheren Entgelten weitergelten und den Sanierungstarifvertrag im Wege des Günstigkeitsvergleichs verdrängen.
Dabei sei nach dem BAG die Beschäftigungssicherung nicht in den Vergleich einzubeziehen, sondern dieser auf Arbeitszeit und -entgelt zu beschränken mit der Folge, dass der Sanierungstarifvertrag in aller Regel verdrängt wird. Für nicht-tarifgebundene Arbeitnehmer sollen über die Bezugnahmeklausel ohnehin nur die Flächentarifverträge gelten.
BAG verteidigt Rechtsprechungswechsel gegen Kritik im Schrifttum
Mit seiner Entscheidung aus Dezember 2018 (Urteil vom 12.12.2018 (AZ 4 AZR 123/18)) hat sich das BAG noch einmal vertiefend mit den Themenfeldern Bezugnahmeklausel und Günstigkeitsvergleich bei Sanierungstarifverträgen auseinandergesetzt und seinen Rechtsprechungswechsel gegen die Kritik im Schrifttum bestätigt.
Worum ging es genau?
Die Beklagte betreibt ein Einzelhandelsunternehmen mit Filialen im ganzen Bundesgebiet. Die Klägerin, Mitglied der Gewerkschaft ver.di, ist bei der Beklagten als Kassiererin beschäftigt. Der Arbeitsvertrag enthält eine Bezugnahmeklausel auf die Tarifverträge für den Hamburger Einzelhandel in ihrer jeweiligen Fassung. Seit ihrem Austritt aus dem Arbeitgeberverband im Jahr 2013 zahlte die Beklagte an die Klägerin nur noch ein Entgelt auf Grundlage des damals geltenden Gehaltstarifvertrags. Im Dezember 2016 schloss die Beklagte mit der Gewerkschaft einen Haustarifvertrag ab, der eine Aussetzung der Entgelterhöhungen des Flächentarifvertrags bis 2016 sowie kennzahlenabhängige Entgelterhöhungen ab dem Jahr 2017 vorsah. Im Gegenzug wurde eine Beschäftigungssicherung vereinbart.
Die Klägerin vertrat, dass ihr seit Mai 2013 ein Anspruch auf die höheren Entgelte des Flächentarifvertrags zustehe, da dieser über die vertragliche Bezugnahmeklausel weiterhin Anwendung finde und den Haus-TV im Rahmen eines Günstigkeitsvergleichs verdränge. Die Beklagte war der Ansicht, dass auch der Haus-TV von der Bezugnahmeklausel umfasst werde, zumindest aber die bestehende Lücke im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung geschlossen werden könne.
Günstigkeitsprinzip löst parallele Anwendbarkeit von Sanierungstarifvertrag und Flächentarifvertrag
Das BAG gab der Klägerin Recht und sprach ihr nach dem Günstigkeitsprinzip einen Anspruch auf die höheren Entgelte des Flächentarifvertrags zu. Dabei bestätigte es die Grundsätze aus der Entscheidung aus Juli 2018, wonach eine Bezugnahme auf Flächentarifverträge Haustarifverträge auch dann nicht erfasse, wenn zusätzlich Betriebsvereinbarungen des Arbeitgebers in Bezug genommen werden.
Aufgrund der in der Literatur geäußerten Kritik an der Entscheidung aus Juli 2018 setzte sich das BAG auch mit der Frage einer ergänzenden Vertragsauslegung auseinander und stellte fest, dass eine solche in Ermangelung einer planwidrigen Regelungslücke nicht in Betracht komme. Der Abschluss von Haustarifverträgen sei keineswegs unüblich und damit vorhersehbar, zudem könnten Flächen- und Haustarifverträge aufgrund der unterschiedlichen Parteien auf Arbeitgeberseite nicht gleichgesetzt werden. Auch die Entgegennahme von Leistungen aus dem Sanierungstarifvertrag seitens der Klägerin könne nicht zu dessen Anwendbarkeit führen, da ein späteres Verhalten der Klägerin nicht zur Auslegung der Bezugnahmeklausel herangezogen werden könne und die Entgegenahme auch keine konkludente Vertragsänderung darstelle.
Das BAG kam daher erneut zur parallelen Anwendbarkeit sowohl des Haustarifvertrags als auch der Flächentarifverträge, welche nach dem Günstigkeitsprinzip zu lösen sei. Dabei ließ das BAG immerhin offen, ob die Tarifvertragsparteien einen von der grundsätzlich anzuwendenden Sachgruppe „Arbeitszeit und -entgelt“ abweichenden Maßstab im Haustarifvertrag festlegen und die Beschäftigungssicherung einbeziehen können. Die vorliegend verwendete Formulierung, wonach die Beschäftigungssicherung im Gegenseitigkeitsverhältnis zur Entgeltabsenkung stehe, sei hierfür jedenfalls nicht ausreichend.
“Echte” Bezugnahmeklauseln werden zum Problem in der Praxis
Die Entscheidung des BAG aus dem Dezember 2018 zementiert den Rechtsprechungswechsel hinsichtlich der Auslegung von Bezugnahmeklauseln. Arbeitgeber sollten diesen Aspekt daher bei der Vertragsgestaltung berücksichtigen.
Soweit Bezugnahmeklausel ausdrücklich nur als Gleichstellungsabreden formuliert oder als solche auszulegen sind, da sie vor dem Jahr 2002 vereinbart wurden, besteht das vorstehend dargestellte Problem nicht. In diesem Fall verdrängt der speziellere Haustarifvertrag die Flächentarifverträge. Sollen hingegen „echte“ Bezugnahmeklauseln verwendet werden, dürften gute Gründe dafür sprechen, diese ausdrücklich auch auf Haustarifverträge und unternehmensbezogene Verbandstarifverträge zu erstrecken.
Sofern in einem Sanierungsfall Arbeitnehmer mit „echten“ Bezugnahmeklauseln betroffen sind, dürfte der derzeit einzige rechtssichere Weg zur Anwendung des Sanierungstarifvertrags dessen ergänzende individualvertragliche Vereinbarung mit den Arbeitnehmern sein. Andernfalls droht stets eine Aushebelung über das Günstigkeitsprinzip.
Zwar können und sollten die Parteien der Sanierungstarifverträge versuchen, die Beschäftigungssicherung ausdrücklich in den Günstigkeitsvergleich einzubeziehen. Die Erfolgsaussichten sind allerdings ebenso ungeklärt wie bei einem Abschluss unternehmensbezogener (Sanierungs-)Verbandstarifverträge, über deren Einbeziehung durch die Bezugnahmeklausel das BAG noch nicht entschieden hat.
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