Das Thema
Der EuGH hatte am 14. März 2017 in gleich zwei Fällen (Rechtssachen C-157/15 und C-188/15) zu entscheiden, ob und wann Arbeitgeber einer Frau verbieten können, ein Kopftuch am Arbeitsplatz zu tragen (Pressemitteilung des EuGH vom 14. März 2017)
Der Tenor der Entscheidungen: Eine unternehmensinterne Regel, die das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens verbietet, stellt keine unmittelbare Diskriminierung dar (Rs C-157/15). Unternehmen können also Vorgaben zu Kleidungsvorschriften machen, auch wenn davon – wie im Falle des Kopftuchverbots – vorwiegend Musliminnen betroffen sind, und es sich damit um eine mittelbare Diskriminierung handelt. Allein der Wunsch eines Kunden, Leistungen nicht von einer Frau mit Kopftuch erbringen zu lassen, genügen allerdings nicht für ein Verbot durch den Arbeitgeber, vor allem wenn dieser keine unternehmensinterne Regel aufgestellt hat (Rs C 188/15).
Aus der arbeitsrechtlichen Blogosphäre zum Thema
Die Entscheidungen schlugen hohe Wellen, vor allem aus gesellschaftspolitischer Sicht. Einen guten Überblick über Meinungen und Kommentare in der deutschen Presse bietet Focus Online.
Betrachten wir (ausschließlich) die Reaktionen in der arbeitsrechtlichen Blogosphäre zum Thema, halten diese sich in Grenzen, zumal spätestens zum Zeitpunkt der Schlussanträge am EuGH das Thema juristisch vertieft wurde:
Mit den Schlussanträgen der Generalanwältinnen, die – wie so oft – den Ausgang der Verfahren vermuten lassen, setzte sich etwa Prof. Dr. Markus Stoffels im Beck-Block bereits im Juni 2016 (RS C-157/ 15) bzw. im Juli 2016 (Rs C-188/15) auseinander.
Erste arbeitsrechtliche Kommentare der nun im März ergangenen EuGH-Entscheidungen folgten beispielsweise auf Legal Tribune Online (LTO) .
Nicht erst seit dem 14. März 2017 spielen Kleidungsvorschriften in Unternehmen eine Rolle: Der Blog Arbeitsrecht.Weltweit von Kliemt & Vollstädt thematisierte am 15. März 2017 – mit den EuGH-Entscheidungen als Aufhänger – das Thema von Kleidungsvorschriften im Betrieb aus allgemeiner Sicht .
Weiterführende Informationen
Prof. Dr. Markus Stoffels setzte sich etwa im September 2014 auch schon mit dem letzten „Kopftuch-Urteil“ des BAG im Beck-Blog auseinander: der 5. Senat (Urteil vom 24. September 2014 – 5 AZR 611/12) hatte dort über einen Fall zu entscheiden, der eine besondere Zuspitzung dadurch erfahren hatte, dass die Klägerin in einem Bochumer Krankenhaus beschäftigt war, das sich der Evangelischen Kirche zugehörig sah. Das BAG gab dem Krankenhaus recht: „Das Tragen eines Kopftuchs als Symbol der Zugehörigkeit zum islamischen Glauben und damit als Kundgabe einer abweichenden Religionszugehörigkeit ist regelmäßig mit der arbeitsvertraglichen Verpflichtung einer in einer Einrichtung der Evangelischen Kirche tätigen Arbeitnehmerin zu neutralem Verhalten nicht vereinbar.“
Die Frage wird nun sein, wie das BAG bei nächster Gelegenheit die EuGH-Urteile – die Sachverhalte aus Frankreich und Belgien – in der eigenen Rechtsprechung berücksichtigt und umsetzt. Prof. Dr. Gregor Thüsing äußerte bereits in der Printausgabe der FAZ am 15. März 2017 die Vermutung, dass das BAG sich vollumfänglich der Rechtsauffassung des EuGH anschließen wird.
Vielleicht bietet sich eine solche Gelegenheit „bald“: erst im Februar 2017 hat das LAG Berlin-Brandenburg einer Kopftuch tragenden Lehrerin nach Nichteinstellung eine Entschädigung in Höhe von zwei Monatsgehältern zugesprochen (Urteil vom 09.02.2017 – 14 Sa 1038/16). Das LAG hat in der Ablehnung der Bewerbung im Zusammenhang mit dem muslimischen Kopftuch eine Benachteiligung der Klägerin im Sinne des § 7 des AGG gesehen. Das “Berliner Neutralitätsgesetz” (Gesetz zu Artikel 29 der Verfassung von Berlin vom 27.01.2005, GVBl. 2005, 92) half dem beklagten Land nicht. Das LAG hat für das Land Berlin die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.
[Update, 1. Mai 2017]: Das ein Streit um ein Kopftuch am Arbeitsplatz nicht gerade einen Einzelfall darstellt, zeigt auch ein weiterer aktueller Fall, über den die FAZ am 19. April 2017 berichtete: eine Mitarbeiterin der Drogeriemarktkette Müller erschien nach Ihrer Elternzeit wieder am – mit Kopftuch. Im Mai treffen sich die Parteien wieder vor einem Schlichter.