Das Thema
Ist das Entgelt einer Frau geringer als das vom Arbeitgeber nach §§ 10 ff. EntgTranspG mitgeteilte Vergleichsentgelt der männlichen Vergleichspersonen, wird nach einem aktuellen Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 21. Januar 2021 (widerlegbar) vermutet, dass eine Benachteiligung beim Entgelt wegen des Geschlechts erfolgt. Die #EFAR-Redaktion berichtete bereits. Dieses Urteil sorgt – vor allem noch vor Veröffentlichung der vollständigen Urteilsgründe – für gehörig Unruhe in den Unternehmen. Warum das so ist und welche Folgefragen nun in der Praxis entstehend, zeigt dieser Beitrag.
Wie das Gesetz Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern erreichen will
Das Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) soll die Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern durchsetzen. Hierzu wurde im Wesentlichen die Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts verboten (§ 3 EntgTranspG). Flankiert wird dies durch einen Auskunftsanspruch des oder der vermeintlich Benachteiligten zur Überprüfung der Entgeltgleichheit (§ 10 EntgTranspG). Ungeregelt ist im Gesetz jedoch, welche konkreten Ansprüche der oder dem benachteiligten Beschäftigten zustehen.
Das BAG hat sich bereits an verschiedenen Stellen mit dem Entgelttransparenzgesetz beschäftigt. Erst mit Urteil vom 25. Juni 2020 entschied es, dass § 5 Abs. 1 Nr. 2 EntgTranspG – entgegen des vermeintlich eindeutigen Wortlauts – auch arbeitnehmerähnliche Personen erfasst. Darüber hinaus schaffte das BAG Klarheit hinsichtlich bislang umstrittener Fragen zum Umfang und Inhalt des Auskunftsanspruchs gemäß § 10 EntgTranspG.
Zudem wurde ausgeführt, dass eine unzutreffende Adressierung des Auskunftsverlangens nichts an der ordnungsgemäßen Ausübung des Verlangens ändert. Deswegen kann sich die oder der Beschäftigte praktisch an jede der im Gesetz vorgesehenen Stellen im Unternehmen wenden. Hierzu haben wir bereits kürzlich berichtet.
Warum ein bisher blasses Gesetz plötzlich zum scharfen Schwert wird
Das bis dato von den Unternehmen wenig beachtete Entgelttransparenzgesetz entpuppt sich wegen der sich ausdifferenzierenden BAG-Rechtsprechung zunehmend als durchaus scharfes Schwert gegen Entgeltungleichheit: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können ihr Auskunftsverlangen an eine beliebige Stelle im Unternehmen richten und so auch den Betriebsrat „mit ins Boot holen“.
Nach der neuen Entscheidung des BAG vom 21. Januar 2021 (8 AZR 488/19, aktuell nur als Pressemitteilung veröffentlicht) wird Betroffenen nun auch die sich an die Auskunft anschließende Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) erleichtert. Stellt sich nach der Auskunft des Arbeitgebers eine unterschiedliche Entlohnung heraus, ist dies (bereits) ein Indiz für eine Diskriminierung.
Was war der aktuellen Entscheidung vorausgegangen
Die als Abteilungsleiterin beschäftigte Arbeitnehmerin erhielt im August 2018 von der Beklagten eine Auskunft nach §§ 10 ff. EntgTranspG zum Vergleichsentgelt der bei ihr beschäftigten männlichen Abteilungsleiter. Entsprechend den Vorgaben in § 11 Abs. 3 EntgTranspG wurde der Klägerin das durchschnittliche monatliche Vergleichsentgelt in Form des übertariflichen Grundentgelts sowie der Zulage mitgeteilt. Diese Auskunft belegte die ungleiche Bezahlung, und zwar in einem Umfang von 8 Prozent. Das Vergleichsentgelt war sowohl hinsichtlich des Grundgehalts, als auch der Zulage bei den männlichen vergleichbaren Kollegen höher, als das Entgelt der Klägerin. Mit ihrer Klage machte die Klägerin daher die Zahlung der Differenz zwischen dem höheren Entgelt der männlichen Kollegen einerseits und ihrem Gehalt und der gezahlten Zulage andererseits gegen die Beklagte für einen Zeitraum von sechs Monaten geltend.
Bundesarbeitsgericht stützt Arbeitnehmer(in) und gibt ihr Recht
Die Revision der Klägerin vor dem BAG hatte Erfolg. Während das Arbeitsgericht (ArbG) der Klage stattgegeben hatte, änderte das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen mit Urteil vom 1. August 2019 (5 Sa 196/19) das Urteil ab und wies die Klage mit der Begründung ab, es seien keine ausreichenden Indizien ersichtlich, die auf eine Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts schließen lassen würden. Das LAG stellte fest, „dass eine Auskunft, der zufolge das Gehalt des klagenden Mitarbeiters unter dem Median der Vergleichsgruppe liegt, für sich genommen nicht ausreichend ist, um eine Beweiserleichterung auszulösen“. Entgegen der Ansicht der ArbG sei dies auch nicht der Fall, wenn die Vergütungsdifferenz erheblich sei.
Der Achte Senat des BAG entschied nunmehr zugunsten der Klägerin und stellte fest, dass die Begründung des LAG nicht ausreiche, um die Klage abzuweisen. Aus der bislang lediglich vorliegenden Pressemitteilung des BAG ergibt sich, dass eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts gemäß § 3 Abs. 2 S. 1 EntgTranspG widerlegbar zu vermuten sei, weil das mitgeteilte Vergleichsentgelt als Median-Entgelt der Vergleichsperson höher sei, als das Entgelt der Klägerin. Die Schlussfolgerung des LAG, diese Feststellung sei für die Vermutung einer Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts nicht ausreichend, sei unzutreffend. Die Sache wurde vom Achten Senat an das LAG zurückverwiesen. Die Beklagte sei nunmehr darlegungs- und beweispflichtig, diese Vermutung den Vorgaben von § 22 AGG in unionsrechtskonformer Auslegung entsprechend zu widerlegen.
BAG stellt klar: Geringeres Entgelt deutet auf Benachteiligung hin
Bislang war – wie auch die voneinander abweichenden Entscheidungen der Vorinstanzen zeigen – umstritten, ob allein ein geringeres Vergleichsentgelt, das mittels der Auskunft nach § 10 EntgTranspG bekannt wird, ein Indiz im Sinne des § 22 AGG darstellt und mithin zu einer Beweiserleichterung führt.
Die Entscheidung des BAG schafft hier nun Klarheit: Ein geringeres Vergleichsentgelt genügt als Indiz einer Benachteiligung und löst die Beweiserleichterung des § 22 AGG aus. Den Arbeitgeber trifft nun die volle Beweislast, dass sein Verhalten nicht gegen das AGG verstößt, also sachliche Gründe die Ungleichbehandlung rechtfertigen. Gelingt ihm dies nicht, ist die Ungleichbehandlung rechtswidrig.
Und der Gegenbeweis ist nicht leicht, muss aber geführt werden
Wie die gerichtlichen Entscheidungen zu § 22 AGG zeigen, ist es für Arbeitgeber in aller Regel in der Praxis schwer, das Indiz einer Benachteiligung beweisbar zu widerlegen. Da § 11 Abs. 3 EntgTranspG die Bemessung des Vergleichsentgelts dezidiert regelt, wird es der Arbeitgeber regelmäßig schwer haben, darzulegen, dass eine Differenzierung trotz gleicher oder gleichwertiger Arbeit andere Gründe als das Geschlecht hat. Gemäß § 3 Abs. 3 S. 2 EntgTranspG können zwar insbesondere arbeitsmarkt-, leistungs- und arbeitsergebnisbezogene Kriterien ein unterschiedliches Entgelt rechtfertigen, sofern der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet wurde.
Auch eine höhere Qualifikation (EuGH, Urteil vom 11. Mai 1999 – C‑309/97) oder eine Unterscheidung nach Betriebszugehörigkeitsdauer (EuGH, Urteil vom 3. Oktober 2006 – C-17/05) können einen sachlichen Grund für eine Ungleichbehandlung darstellen. Allein der Umstand, dass ein Differenzierungsmerkmal nach Gesetz oder Tarifvertrag im Grundsatz denkbar ist, reicht jedoch nicht als Rechtfertigung aus. Denn der Arbeitgeber wird nicht nur darlegen müssen, dass der Differenzierungsgrund tatsächlich gegeben ist (also bspw. die Frau eine kürzere berufliche Erfahrung hat). Entscheidend wird insbesondere sein, dass dieses Differenzierungsmerkmal widerspruchsfrei umgesetzt ist, woran es in der Praxis häufig scheitern wird. Denn wenn in der Vergleichsgruppe der Männer bspw. die geringere berufliche Erfahrung nicht ebenso zu einem in gleicher Weise geringeren Gehalt führt, wird man sich gegenüber der geringer vergüteten Frau nicht darauf berufen können.
Eine Einzelfallbetrachtung, wie sie das LAG durchführte und die zum Beispiel berücksichtigt, dass und warum der Klägerin keine Gehaltserhöhung gewährt wurde, ist voraussichtlich nach der Entscheidung des BAG nicht mehr möglich. Ebenso bleibt außer Betracht, ob die oder der jeweilige Anspruchstellende am unteren Rand des Vergütungsniveaus „ihrer“ oder „seiner“ Vergleichsgruppe steht und lediglich aus diesem Grund ein niedrigeres Entgelt als die andersgeschlechtliche Vergleichsgruppe erhält, obwohl beide Vergleichsgruppen im Gesamtdurchschnitt ein gleiches Entgelt beziehen.
Konsequenzen für Arbeitgeber
Arbeitgeber sollten sich bewusst sein, dass eine Entgeltungleichheit zu erheblichen Schadensersatzansprüchen und Nachzahlungspflichten führen kann. Daher sollten Arbeitgeber darauf achten, Vergütungsstrukturen diskriminierungsfrei auszugestalten bzw. sollten Entgeltdifferenzierungen nur dort erfolgen, wo dies durch belegbare Gründe gerechtfertigt werden kann.
Vor diesem Hintergrund kann Arbeitgebern zu Folgendem geraten werden:
- Mit einem transparenten, nachvollziehbaren und auf sachlichen Gründen beruhenden Entgeltsystem, das vom Arbeitgeber in der Praxis auch angewendet wird, kann eine Benachteiligung verhindert werden. Zudem ist ein transparentes Entgeltsystem geeignet, dem Vorwurf einer Diskriminierung im Streitfall beweisbar entgegenzutreten.
- Weiter sollten Arbeitgeber prüfen, ob ein etwaiges Auskunftsverlagen berechtigt ist. Beispielsweise müssen im Betrieb regelmäßig mehr als 200 Beschäftigte bei demselben Arbeitgeber tätig sein (§ 12 Abs. 1 EntgTranspG) und die oder der Beschäftigte muss bestimmte Mindestangaben im Auskunftsersuch liefern (§ 10 Abs. 1 S. 2 EntgTranspG).
- Laut BAG liegt in der Angabe des Vergleichsentgelts durch den Arbeitgeber nach den Vorgaben des EntgTranspG zugleich die Mitteilung der maßgeblichen Vergleichsperson. Deswegen sollte der Arbeitgeber genau prüfen, welche Gehälter bzw. Personengruppe er angibt. Dass die Lohnunterschiede auf einer unterschiedlichen Tätigkeit beruhen, dürfte sodann nur noch sehr schwer bewiesen werden können, da der Arbeitgeber mit der Auskunft nach § 10 EntgTranspG die Vergleichsgruppe selbst definiert.
- Offenbart die Auskunft eine Ungleichbehandlung, sollte geprüft werden, ob und in welchem Umfang arbeitsmarkt-, leistungs- und arbeitsergebnisbezogene Kriterien die Differenzierungen rechtfertigen können. Dabei sollten die maßgeblichen Erwägungen genau hinterfragt werden, denn die Kriterien einer Differenzierung müssten in einen etwaigen Gerichtsprozess anhand beweisbarer Tatsachen eingeführt werden. Dies zeigt, dass geschlechtsspezifische Entgeltdifferenzierungen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit, wenn sie nicht im Einzelfall vermieden werden können, jeweils auf Fälle beschränkt bleiben sollten, in denen die Lohnunterschiede tatsächlich durch taugliche Gründe gerechtfertigt werden können.
- Für die Vergangenheit besteht ein Erfüllungsanspruch hinsichtlich des Entgelts, das die andersgeschlechtliche Vergleichsperson erhalten hat. Für die Zukunft kann der Arbeitgeber das Entgelt aber diskriminierungsfrei auf einem anderen Niveau festlegen. Zudem wird der Anspruch für die Vergangenheit durch die Verjährung begrenzt. Der Arbeitgeber sollte mithin prüfen, in wie weit er die Verjährungseinrede erheben kann.