Das Thema
Der demografische Wandel wird sich in Deutschland in den kommenden Jahren deutlich beschleunigen: Nach aktuellen Angaben des statistischen Bundesamtes wird bis Mitte der 2030er Jahre die Zahl der Menschen im Rentenalter um etwa 4 Millionen auf mindestens 20 Millionen steigen und zugleich die Zahl der Personen im Erwerbsalter um 4 bis 6 Millionen sinken. Bereits jetzt sind über 50 % aller Menschen im Erwerbsalter über 45 Jahre. Es wird eine immer größere Herausforderung sein, ältere Menschen in Arbeit zu halten und für die Anforderungen des Arbeitsmarktes zu qualifizieren.
Dies ist mit ein Grund, weshalb der Bundestag am 23. Juni 2023 das Gesetz zur Weiterbildungsförderung verabschiedet hat. Aber auch auf Freiwilligenprogramme und Sozialpläne wird diese Entwicklung Auswirkungen haben (müssen). Dieser Beitrag beleuchtet die rechtliche Ausgangssituation, weist auf erforderliche Änderungen hin und schließt mit konkreten Hinweisen für eine zukunftsorientierte Gestaltung.
Denn eins ist klar: die tatsächlichen Entwicklungen zeigen, dass bei den Betriebsparteien ein Umdenken stattfinden muss. Wenn einerseits über Arbeits- und Fachkräftemangel gesprochen wird, wirken andererseits hochdotierte Sozialpläne vor dem Hintergrund ihrer zukunftsbezogenen Überbrückungsfunktion immer deplatzierter.
Annahmen zur Berechnung von Abfindungen überholt?
Schon in den letzten Jahren hat sich die Beteiligung älterer Menschen am Erwerbsleben signifikant geändert: Nach dem im April 2022 veröffentlichten Bericht der Bundesagentur für Arbeit „Situation Älterer am Arbeitsmarkt“ nahm die Erwerbsbeteiligung der 60- bis 64-Jährigen so stark wie in keiner anderen Altersgruppe zu und stieg rapide von 44 % (2011) auf 61 % (2021). Diese Entwicklung wird sich in den kommenden Jahren fortsetzen.
Abfindungsberechnungen der vergangenen Jahrzehnte waren und sind von scheinbar unverrückbaren Glaubenssätzen geprägt: Wer lange dabei ist hat „Anspruch“ auf eine sehr hohe Abfindung , gleiches gilt mit zunehmendem Lebensalter. Konkrete Arbeitsmarktperspektiven werden selten in den Blick genommen und die bislang im Unternehmen üblichen Abfindungsformeln gelten als „Mindestanspruch“. Es fällt ebenso schwer, sich von großzügigen Frühverrentungsprogrammen der Vergangenheit zu lösen. Diese werden vielmehr als eine übliche Erweiterung der betrieblichen Altersversorgungssysteme verstanden.
Angesichts der demografischen Entwicklungen und dem erheblichen Fachkräftemangel wirken diese Glaubenssätze wie aus der Zeit gefallen. Wenn statt Erhalt des Arbeitsplatzes ein interner „Wettlauf“ um Sozialplanleistungen beginnt, ist das Ziel verfehlt, weil dann die High-Performer abwandern, hohe Abfindungen kassieren und im Anschluss eine neue Beschäftigung aufnehmen können. Dies hat fatale Folgen auch für die Arbeitsmoral der verbleibenden Belegschaft.
Sozialplan: Lebensalter, Betriebszugehörigkeit und Abfindungshöhe
Eine Abfindung – auf welcher Rechtsgrundlage sie auch beruht – soll nach der Rechtsprechung regelmäßig die mit dem Verlust des Arbeitsplatzes verbundenen Nachteile abfedern und stellt kein zusätzliches Entgelt für die in der Vergangenheit erbrachte Arbeit dar. Auch Sozialpläne haben folglich eine zukunftsbezogene Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion, sie sind daher kein „nachgelagerter Bonus“ für die Leistungen der Vergangenheit.
In der Praxis bestimmt sich die Höhe der Abfindung regelmäßig nach einer abstrakten Formel, die bestimmte Kriterien einbezieht und mit einem Faktor bzw. Divisor verrechnet. Dabei kann man folgende „übliche“ Formeln unterscheiden:
- Faktorformel: Faktor × Betriebszugehörigkeit x Bruttomonatsgehalt
- Divisorformel: Alter x Betriebszugehörigkeit × Bruttomonatsgehalt / Divisor
Bei beiden Formeln kommt dem Lebensalter der Beschäftigten ein erhebliches Gewicht zu, zumal es auch mittelbar in die typischerweise längere Betriebszugehörigkeit einfließt. Im Hinblick auf die Überbrückungsfunktion der Abfindung drängt sich zwangsläufig die Frage auf, warum die Betriebszugehörigkeit bei einer zukunftsbezogenen Funktion der Abfindung neben dem Lebensalter so maßgebliche Bedeutung besitzen soll.
Lässt sich beim Lebensalter zumindest eine mittelbare Verbindung zu den Chancen auf den Arbeitsmarkt herleiten, ist die Dauer der Betriebszugehörigkeit vielmehr ein in die Vergangenheit gewandtes Kriterium.
Zum rechtlichen Rahmen: Lebensalter (nur) als Hilfskriterium
In rechtlicher Hinsicht stellt die Orientierung der Abfindung am Lebensalter oder der Betriebszugehörigkeit eine (mittelbare) Differenzierung nach dem Alter dar. Allerdings erlaubt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (§ 10 S. 3 Nr. 6 AGG) den Betriebsparteien eine nach Alter oder Betriebszugehörigkeit gestaffelte Abfindungsregelung vorzusehen, in der sie
- die wesentlich vom Alter abhängenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt durch eine verhältnismäßig starke Betonung des Lebensalters erkennbar berücksichtigen (Alt. 1)
- oder Beschäftigte von den Leistungen des Sozialplans ausschließen, weil diese, gegebenenfalls nach Bezug von Arbeitslosengeld I, rentenberechtigt sind (Alt. 2).
Der Gesetzgeber hat dem Lebensalter also eine ambivalente Funktion beigemessen: Einerseits können sich die Chancen auf dem Arbeitsmarkt mit zunehmendem Alter vermindern, andererseits reduziert sich das Überbrückungsbedürfnis je näher die Person an die Altersrente heranrückt. Das Renteneintrittsalter bildet damit – wenn man die Überbrückungsfunktion einer Abfindung ernst nimmt – gleichzeitig eine Höchstgrenze der Abfindung.
Das Lebensalter ist folglich kein absoluter Faktor, sondern (allenfalls) ein Hilfskriterium für ein mehr oder weniger bestehendes Bedürfnis nach Ausgleich. Ein isoliertes Abstellen auf das Alter losgelöst von den eigentlichen Faktoren – also den Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt oder die Entfernung zur Rente – greift zu kurz und wird der Funktion eines Sozialplans nicht gerecht.
Zulässige Gestaltung von Altersgruppen in Sozialplänen
Die von den Betriebsparteien gewählte Sozialplangestaltung muss geeignet sein, das mit § 10 S. 3 Nr. 6 AGG verfolgte Ziel tatsächlich zu fördern und darf die Interessen der benachteiligten (Alters-)Gruppe nicht unverhältnismäßig stark vernachlässigen. In diesem Sinn wurden bisher bspw. folgende Gestaltungen in Sozialplänen von der Rechtsprechung als zulässig eingestuft:
- gestaffelte Alterszuschläge mit dem Erreichen des 45. und des 50. Lebensjahres zusätzlich zu der auf Basis der Betriebszugehörigkeit und des Arbeitsverdiensts errechnenden Grundabfindung (BAG, 12.4.2011 − 1 AZR 743/09),
- altersbezogenen Faktoren, wonach Beschäftigte erst ab dem 40. Lebensjahr die volle Abfindung erhalten, Beschäftigte ab dem 30. bis zum 39. Lebensjahr dagegen nur 90 % und bis zum 29. Lebensjahr nur 80 % (BAG, Urt. v. 12.4.2011 − 1 AZR 764/09),
- Ausschluss oder Einschränkung von Abfindungsansprüchen aufgrund der Möglichkeit, eine gesetzliche Rente in Anspruch zu nehmen (BAG, Urt. v. 7.5.2019 – 1 ABR 54/15),
- Reduzierung der Abfindung wegen der alsbaldigen Möglichkeit des Bezugs einer – auch vorgezogenen – Altersrente (BAG, Urt. v. 16.7.2019 – 1 AZR 842/16).
Da die Erhöhung der Abfindung mit zunehmendem Lebensalter spiegelbildlich eine Begrenzung der Abfindung bei jüngeren Personen mit sich bringt, müssen diese gegenläufigen Positionen in einen verhältnismäßigen Ausgleich gebracht werden.
Demographische Veränderungen und rechtliche Auswirkungen
Berücksichtigt man die dargestellten Entwicklungen des Arbeitsmarktes wird der Zusammenhang zwischen dem Alter und den Arbeitsmarktchancen perspektivisch deutlich schwieriger zu begründen. Zahlreiche Branchen gehen bereits dazu über, durch eine attraktivere Gestaltung der Arbeitsplätze gerade ältere Menschen weiter im Beruf zu halten. Dieser Trend wird sich nach den Angaben des statistischen Bundesamtes weiter verschärfen, wenn bis zum Ende der 2030er-Jahre die starken Geburtenjahrgänge aus dem Erwerbsleben ausscheiden.
Die Rechtsprechung räumt den Betriebsparteien in diesem Punkt allerdings einen weiten Bewertungsspielraum ein. Da die Chancen auf dem Arbeitsmarkt von einer Vielzahl nicht genau feststellbarer subjektiver und objektiver Umstände abhängen, ist von den Betriebsparteien nur eine pauschalierende und typisierende Bewertung vorzunehmen (BAG 12.4.2011 − 1 AZR 764/09). Ausgehend von diesem Maßstab wird man wohl auch künftig davon ausgehen können, dass die Arbeitsmarktchancen mit zunehmendem Alter verhältnismäßig schlechter werden und vor allem ein statistisch gesehen höheres Risiko von Langzeitarbeitslosigkeit besteht (vgl. dazu auch Bericht der Bundesagentur für Arbeit „Situation Älterer am Arbeitsmarkt“). Mit anderen Worten: Auch in Zukunft wird eine Berücksichtigung des Lebensalters als abfindungserhöhender Faktor nicht zur Unwirksamkeit der Sozialplanregelung führen.
Begrenzende Regelungen müssen Einzug in die Sozialplangestaltung halten
Allerdings ist zu berücksichtigten, dass aufgrund der Doppelfunktion des Lebensalters begrenzende Regelungen Einzug in die Sozialplangestaltung halten müssen. So sind Stichtagsregelungen rechtlich wirksam für rentennahe Jahrgänge, die sofort oder im Anschluss an Leistungen der Arbeitslosenversicherung – ggf. auch vorgezogenes – Altersruhegeld in Anspruch nehmen können (BAG, 20.1.2009 – 1 AZR 740/07).
Ähnliches gilt für Höchstbetragsregelung (Abfindungsdeckel), diese beinhalten zwar eine mittelbare Benachteiligung älterer Beschäftigter, da sie typischerweise eine höhere Abfindung erhalten, allerdings ist diese durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt. Die Höchstbetragsregelungen dienen der Sicherstellung von Verteilungsgerechtigkeit des begrenzten Sozialplanvolumens. Solche Regelungen beschränken lediglich die durch die an Lebensalter und Betriebszugehörigkeit anknüpfende Berechnung bewirkte Begünstigung älterer Beschäftigter (BAG 7.12.2021 – 1 AZR 562/20).
Rechtspolitische und strategische Erwägungen: Warum bei den Betriebsparteien ein Umdenken stattfinden muss
Unabhängig von rechtlichen Bewertungen zeigen die tatsächlichen Entwicklungen, dass bei den Betriebsparteien ein Umdenken stattfinden muss. Wenn einerseits über Arbeits- und Fachkräftemangel gesprochen wird, wirken andererseits hochdotierte Sozialpläne vor dem Hintergrund ihrer zukunftsbezogenen Überbrückungsfunktion immer deplatzierter. Die eingangs dargestellten Abfindungsformeln geben – wenn überhaupt – nur noch eine abstrakte Prognose wieder, die in vielen Branchen weit von der Wirklichkeit entfernt sein wird. Wenn sich beispielsweise ein Unternehmen für das Outsourcing der IT-Abteilung entscheidet, wird es aufgrund der aktuellen Arbeitsmarktsituation und der guten Vermittlungschancen kaum angemessen sein, für die betroffene Belegschaft hochdotierte Sozialpläne bereitzustellen.
Dabei wird nicht verkannt, dass durch den Strukturwandel in vielen Bereichen eine Veränderung der Tätigkeit eintritt und gerade in diesen Sektoren ältere Personen stärker betroffen sein können. Allerdings lassen sich diese strukturbedingten Nachteile nicht oder nur sehr begrenzt durch hohe Abfindungen abfedern. Vielmehr bietet der Qualifizierungssozialplan und die in der Praxis umfangreich bestehenden Fördermöglichkeiten für Weiterbildungen die richtige Antwort. Das Erfordernis der Qualifizierung und Weiterbildung spiegelt sich auch in dem am 23. Juni 2023 verabschiedeten Gesetz zur Weiterbildungsförderung sowie der Fachkräftestrategie der Bundesregierung wider (vgl. Fachkräftestrategie der Bundesregierung, Oktober 2022, S. 17).
Hochdotierte Vorruhestandsmodelle vor dem Aus?
Ein weiteres Feld bilden die nach wie vor insbesondere bei größeren Personalabbaumaßnahmen zu beobachtenden hochdotiere Vorruhestandmodelle. Ihre Rechtfertigung speisen sie aus den Annahmen, dass ältere Menschen im Rahmen der Sozialauswahl oft besser geschützt sind und ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt schlechter sind.
Während das Argument der Sozialauswahl – mit Ausnahme der sehr rentennahen Jahrgänge – sicherlich weiterhin zutrifft, wird man die Chancen auf dem Arbeitsmarkt mir guten Argumenten anders bewerten können. Hinzu kommt, dass selbst im Fall einer unwirksamen Kündigung das Führen eines Kündigungsschutzprozesses und ein „Warten“ auf hohe Annahmeverzugslohnansprüche durch die Rechtsprechung begrenzt wird.
So muss sich der Arbeitnehmer auf seinen Annahmeverzugslohnanspruch einen böswillig unterlassen anderweitigen Erwerb anrechnen lassen (§ 11 Nr. 2 KSchG). Das LAG Berlin-Bandenburg hat zuletzt sogar angenommen, dass der Arbeitnehmer nach einer Kündigung Bewerbungsbemühungen „im zeitlichen Umfang einer Vollzeitstelle“ hätte entfalten müssen (Urteil vom 30. September 2022 – 6 Sa 280/22).
Lösungsansätze – Arbeitsmarktchancen in den Fokus nehmen
Der Vorteil herkömmlicher Abfindungsformeln in Sozialplänen liegt sicherlich darin, dass diese allen Beteiligten bekannt und ggf. auch schon im Unternehmen „erprobt“ sind. Dies erleichtert Verhandlungen und erlaubt vielfach schnelle Lösungen. Die Praxis zeigt, dass die dabei für Abfindungen veranschlagten Gelder häufig an anderer Stelle besser investiert wären und zudem personalpolitisch falsche Signale an die verbleibende Belegschaft gesendet werden.
Möchte man die Funktion des Sozialplans wieder in den Fokus rücken ist auch klar, dass es die „One size fits all“-Lösung nicht gibt und Verhandlungen häufig langwieriger sein können. Wenn Unternehmen aber bereit sind, in diesem Bereich Abstriche zu machen, kann etwa eine Einteilung der betroffenen Beschäftigten in Tätigkeitsgruppen Sinn ergeben. Für diese lassen sich bei der Bundesagentur für Arbeit anhand dort gemeldeter Arbeitsstellen statistische Vermittlungschancen für Berufszweige ermitteln. Die Bundesagentur stellt auf ihrer Webseite eine nach Wirtschaftszweigen untergliederte Übersicht zu den gemeldeten Arbeitsstellen zur Verfügung. Dies ermöglicht auch einen stärkeren regionalen Fokus, da sich die Arbeitsmarktlage in bestimmten Regionen deutlich unterscheiden kann. Orientiert sich das Gesamtvolumen an den auf diese Weise zu ermittelnden Chancen auf dem Arbeitsmarkt kann innerhalb der zu entlassenen Beschäftigten das Alter Berücksichtigung finden, da sich darin nach wie vor die verhältnismäßig schlechtere Vermittlungschancen widerspiegeln.
Auf diese Weise kann eine stärkere Fokussierung auf den Zweck des Sozialplans gelingen, der allen Beteiligten zugutekommt: So profitieren Beschäftigte nicht überobligatorisch von Abfindungszahlungen, Unternehmen können gesparte Gelder sinnvoller einsetzen und die eigene Attraktivität steigern.